Tagebuch eines Hilflosen. Francis Nenik

Tagebuch eines Hilflosen - Francis Nenik


Скачать книгу

      In den USA erwägt Heimatschutzminister Kelly Familien zu trennen, wenn sie illegal die Grenze überqueren.

      In Deutschland hat sich die Kelly Family wiedervereint und will demnächst auf große Tour durch mehrere Länder gehen.

      Irgendwie ist immer alles verkehrt.

       18.03.2017

      Baden-Baden hat den amerikanischen Finanzminister Steven Mnuchin empfangen. Die Stadt gibt das Beste, was sie hat – eine dicke Schicht alteuropäischer Patina für den Spieler aus der Neuen Welt. Sie wird helfen, aus dem Goldjungen einen Staatsmann zu machen.

       19.03.2017

      Sie kommen aus dem Big Business.

      Sie gehen in die große Politik.

      Sie gründen ihr eigenes Politik-Business.

      Sie gieren.

      Sie agieren.

      Sie re-gieren.

       20.03.2017

      Am 26. August 1941 besucht der Schriftsteller Thomas Mann eine Abendgesellschaft in L. A. Es gibt gepflegte Cocktails und wilde Konversationen. Nach einer Weile ruft irgendein Typ: »America first!« Und: »We are the hope of the world!« Als die Party fast schon vorbei ist, taucht schließlich Erich Maria Remarque auf. 27.600 Tage später gibt es im Westen noch immer nichts Neues.

       21.03.2017

      Ich weiß nicht, warum, aber die Vorstellung, dass Donald Trump jetzt auch das Staatsoberhaupt von Puerto Rico ist, will mir einfach nicht in den Kopf.

       22.03.2017

      Ein Impeachment für das alternde Pfirsichgesicht? Es scheint, als ziele man auf den Kern, doch sind es in Wahrheit Fruchtfleischattacken. Die Haute Couture der modernen Politik: Das Abziehen der Haut im Zeitalter der Show. Pyrrhus trifft Potus, Potjomkin ruft Putin. Wo man einst ganze Häuser entkernte, werden heute nur noch die Kulissen verrückt.

       23.03.2017

      Wenn Trump spricht, verwendet er oft die Worte: »… but that’s okay.« Meist stehen sie am Ende eines Satzes, in dem er erklärt, dass er irgendetwas getan hat, was andere nicht mochten oder erwartungsgemäß nicht mögen werden.

      »A lot of people are going to be angry that they are not a priority, but that’s okay.« (28. Februar 2017 anlässlich der Unterzeichnung eines Präsidialerlasses, der eine Vergrößerung des Budgets für die Historically Black Colleges and Universities vorsieht.)

      Aber die Worte funktionieren auch als Punchline ganz gut: »You know, in the old days, when I made this speech I got paid a lot of money. Now I have to do it for nothing. Not a good deal, but that’s okay.« (17. Februar 2017 anlässlich einer Rede im Boeing-Werk in North Charleston/South Carolina.)

      Die Worte fungieren aber auch als eine Art sprachliches Schulterzucken, dem die übliche Selbststilisierung zum Opfer innewohnt. Die Worte sind dann meist an seine politischen Gegner gerichtet, deren Handlungen Trump nicht weiter kümmern …

      »I haven’t been treated properly. And that’s okay …« (Interview mit Fox News am 27. Februar 2017.)

      Aber ich schreibe das hier nicht auf, um eine Analyse der Trump’schen Rhetorik zu unternehmen. Dafür ist später noch Zeit, zumal die Menge des Materials dann um einiges größer und die Ausbeute ergiebiger sein wird. Nein, ich schreibe es auf, weil mich das Wörtchen »okay« interessiert, schließlich hat es heute vor 178 Jahren zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt, schwarz aufscheinend in der Boston Morning Post auf der zweiten Seite, in der zweiten Spalte, in Form von zwei kursiv gesetzten Kleinbuchstaben – zur Feier des Tages akklamiert von einem Ausrufezeichen: »o. k.!« Direkt dahinter stand auch die Auflösung dieser damals noch unbekannten Abkürzung, und der Leser erfuhr, dass »o. k.« »all correct« bedeutet. Was freilich ein wenig verwunderlich ist, denn in der Abkürzungslogik hätte »all correct« eigentlich »a. c.« ergeben müssen. Aber damals war es schwer in Mode, sich in der Kurzform auf eine falsche Schreibweise zu beziehen. Die Gleichung lautete deshalb: all correct = oll korrect = o. k.

      Erfinder der Abkürzung und Verfasser des dazugehörigen Textes war ein gewisser Charles Gordon Greene von der Anti-Bell Ringing Society, einer Vereinigung, die angetreten war, das allgemeine Klingelstreichwesen zurückzudrängen und als Freizeitbeschäftigung stattdessen das Umbuchstabieren bekannter Wörter propagierte. Greenes Absicht war es, die Verschreiber samt echt falscher Abkürzung in die Zeitung zu bringen, schließlich wünschten er und seine New-Speller sich nichts mehr, als dass ihr neu ausgedachtes Kürzel »zwischen den schwarzen Lettern Funken schlagen, die Köpfe der Leser in Flammen setzen und ihre Münder entzünden« würde.

      Eine ziemlich abgefahrener Wunsch, but that’s okay …

       24.03.2017

      Der Unterschied zwischen Fake und Fakt ist nicht groß. Bei mir beträgt er gerade mal 3,7 cm.

      (Nein, es ist nicht »Na, Sie wissen schon, was«, sondern der Abstand zwischen dem »e« und dem »t« auf der Tastatur des Computers, mit dem ich dieses Tagebuch schreibe.)

       25.03.2017

      In Kalifornien schlägt sich die Anhängerschaft Trumps mit Gegnern. In Florida schlägt Melania allein auf einem Fundraising-Dinner auf. In Virginia schlägt Donald Trump stundenlang auf Golfbälle ein. Amerika ist in Schläglage geraten.

       26.03.2017

      Ich suche nach Inspirationen für meinen heutigen Tagebucheintrag, aber alles, was ich finde, ist ein Artikel in der Huffington Post. Titel: »11 praktische Wege, um voll und ganz im Hier und Jetzt zu leben.« Empfehlung Nummer 9 lautet: »Schreiben Sie ein Tagebuch.«

      Diese huffnungslosen Typen wissen nicht, wovon sie reden! Mein Hier und Jetzt dauert schon viereinhalb Stunden, und ich habe noch immer keine Idee, was ich schreiben soll. Ich bin ein Hilfloser, der das Tagebuch eines Hilflosen füllen muss. In Punkt 9 heißt es weiter: »Es gibt Tage, an denen es schwer ist, in der Gegenwart zu leben.« Falsch! Es gibt Tage, an denen es schwer ist, die verdammte Gegenwart loszuwerden!

       27.03.2017

      Ich sitze im Park in der Sonne und lese über somalische Flüchtlinge, die in den USA Asyl beantragt haben und denen das US-Außenministerium daraufhin einen Platz in Alaska zugewiesen hat. Inzwischen gibt es so viele Somalier in Alaska, dass sich dort eine eigenständige somalische Gemeinde etabliert hat.

      Es ist das Leben und das Lesen. Es ist die imaginierte Wärme einer Gemeinschaft von Afrikanern im kalten Alaska, während ich im frühlingshaften Leipzig allein in der Sonne sitze und die Haut auf meinem Gesicht langsam verbrennt.

       28.03.2017

      Manche Menschen suchen in Büchern nach der Lösung des Welträtsels, nach geheimen Bibelcodes und gigantischen Verschwörungskomplotts. Ich dagegen bin ein einfacher Geist, und deshalb frage ich meinen selbstgebauten Anagramm-Generator, was er über Edward Scott Pruitt, den Chef der Umweltschutzbehörde EPA, weiß.

      Er sagt, Pruitt sei traurig, höhnisch und korrupt.

       sad twitted corrupt

      Aber


Скачать книгу