Führen Sie schon oder herrschen Sie noch?. Heinz Siebenbrock

Führen Sie schon oder herrschen Sie noch? - Heinz Siebenbrock


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wird jedoch spätestens seit Karl Marx insbesondere auf den unterdrückenden Einsatz von Menschen in Produktionsprozessen bezogen. Heute wird unter Ausbeutung ein besonders abscheulicher Arbeitseinsatz wie Versklavung und Kinderarbeit verstanden. Bezeichnenderweise wird dieser deutlich negativ besetzte Begriff in einigen Standardwerken der Betriebswirtschaftslehre im Zusammenhang mit der Nutzung von Produktionsfaktoren völlig bedenkenlos verwendet. Zugutehalten muss man den Autoren allerdings, dass sie sich nicht auf den Produktionsfaktor Arbeit, sondern eher auf Materialien oder Investitionsgüter beziehen.

      Abzocke und Ausbeutung und mithin Gewinnmaximierung fordern also dazu auf, sich die Notlage Dritter zu Nutze zu machen.

      Wie bereits erwähnt, ist es gleichwohl die Aufgabe von Unternehmen, Gewinne zu erwirtschaften. Deshalb sei vorgeschlagen, diese wichtige unternehmerische Zielsetzung eben nicht mit der wenig operationalen, radikalen Ergänzung ,Maximierung‘ zu belegen. Als Ersatz für die Zielsetzung ,Gewinnmaximierung‘ könnten die Begriffe ,Gewinnerzielungsabsicht‘ oder ,Erzielung eines angemessenen Gewinns‘ verwendet werden.

      „Um zu gewinnen, muss man aber nicht andere besiegen.

      Nur einfache Gemüter definieren sich einzig

      über den direkten Kampf, den Wunsch, zu besiegen.“22

      ,Albatros‘ Michael Groß, Schwimmweltmeister

      und Olympiasieger

      Die Volkswirtschaftslehre geht von der Grundannahme aus, dass Wettbewerb das beste Leistungsangebot hervorbringt. Fehlender Wettbewerb führt zu höheren Preisen, schlechteren Angeboten und schlimmstenfalls zu einer Unterversorgung der Bevölkerung.

      Grundannahme der VWL

      Aus dieser Grundannahme leitet sich für die Betriebswirtschaftslehre die Forderung ab, dass Unternehmen wettbewerbsfähig sein müssen, um zu überleben. Um im ökonomischen ‚Survival of the fittest‘ bestehen zu können, muss das Unternehmen langfristig besser sein als die Konkurrenz, ansonsten muss es vom Markt verschwinden.

      Im Wettbewerb bestehen bedeutet, zu Ende gedacht, den Wettbewerber zu besiegen. ‚The winner takes it all!‘

      Auch dieser Gedanke ist neben der Gewinnmaximierung zu einem wesentlichen Leitmotiv des Managements herangereift: „Die Wettbewerbsfähigkeit ist zu einem Glaubensbekenntnis geworden, zum neuen Evangelium jener Bevölkerungsgruppen, die heute über die Welt herrschen.“23 In Sonntagsreden, Geschäftsberichten und angesichts notwendig gewordener Reorganisationsmaßnahmen beten viele Führungskräfte und Politiker das immer gleiche Mantra der Wettbewerbsorientierung. Dazu bemerkt der italienische Soziologe Riccardo Petrella, der sich als Gegner der Privatisierung von Trinkwasser einen Namen gemacht hat, dass der Wettbewerbskult längst aus dem Unternehmenskontext herausgelöst wurde und bereits weite Teile der Gesellschaft erreicht hat: „Das Gebot des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen und den Nationen hat das Denken, die Strategien und die Entscheidungen der Bildungsminister, der Universitätsleiter, der Gewerkschaftsführer, Parlamentarier und Bürgermeister, der TV-Produzenten und Journalisten stark geprägt und bestimmt sie auch weiterhin.“24

      Dem Leitmotiv Wettbewerbsorientierung ist es wohl auch zuzuschreiben, dass die Wortwahl von Managern und sogar Wirtschaftswissenschaftlern sehr oft an eine Sprache erinnert, die ursprünglich für die Beschreibung besonders brutaler Ereignisse wie Kriege und Verbrechen geprägt wurde. Der Kampf um Marktanteile klingt in der deutschen Sprache noch vergleichsweise harmlos, während im Englischen der Spruch ,Business is War‘ als geflügeltes Wort zur Zustandsbeschreibung der Wirtschaft gilt.25 Und bei der Suche nach begabten Berufsanfängern befinden sich die Unternehmen in einem ,War for Talents‘. Auch in das deutsche Wirtschafts-Vokabular haben sich völlig unverdächtig klingende Begriffe wie ,Strategie‘, ,Taktik‘ und ,Logistik‘ eingeschlichen, die Carl von Clausewitz (1780–1831), ein preußischer General, ursprünglich zur Beschreibung kriegerischer Auseinandersetzungen benutzt hatte. Bruno Wagner zeigt sogar an vielen Beispielen, dass nicht nur die Wortwahl, sondern auch die Handlungen von Managern an Kriegsführung erinnern.26 Schließlich trägt das Buch von Matthias Weik und Marc Friedrich, in dem das Verhalten von Politik und Finanzwelt angeprangert wird, den bezeichnenden Titel: „Der größte Raubzug der Geschichte“.27

      Wettbewerb ist Kampf

      Jedenfalls ist Wettbewerb Kampf, Wettbewerb ist ein Gegeneinander. Die Aufgabe von Unternehmen ist es jedoch, miteinander und mit Konsumenten Geschäfte zu machen. Unternehmen haben Kunden, sie arbeiten also primär nicht gegen, sondern für jemanden oder für etwas. Nur sekundär arbeitet man gegen den Wettbewerber. Insofern erstaunt es, dass die Wettbewerbsorientierung einen derart hohen Stellenwert genießt, während die Kundenorientierung selbst von seriösen Unternehmen sehr häufig stiefmütterlich behandelt wird. Die ,Servicewüste Deutschland‘ wird in regelmäßigen Abständen beklagt und ihre Existenz mit Hilfe diverser Studien belegt, ohne dass nachhaltige Verbesserungen erkennbar wären.

      Manager bezeichnen sich mit Blick auf den Sport gern als Mannschaft oder als Team. Zwischen einem Sportteam und einem Unternehmen besteht jedoch ein gewaltiger Unterschied: Die meisten Sportteams sind im Gegensatz zu Unternehmen tatsächlich fundamental wettbewerbsorientiert ausgerichtet: Fußball-, Handball- und Hockeyteams wollen ihre Gegner bezwingen. Sie brauchen einen Gegner, sonst macht dieser Sport keinen Sinn.

      Nur wenige Sportarten kommen völlig ohne Gegner aus, wenn auch gelegentlicher Wettbewerb einen gewissen Kick auslöst. Gemeint sind zum Beispiel Segeln und Bergsteigen. Hier steht, wie übrigens auch bei Individualsportarten wie Laufen und Schwimmen, ein Ziel im Vordergrund, für das man sich anstrengt. An allererster Stelle steht, dass man auf dieses Ziel hinarbeitet. Als Teil einer Segel-Crew oder als Läufer ständig den Gegner im Auge zu behalten, bindet zu viele Kräfte, die anders zweckmäßiger eingesetzt werden. Das Ziel und nur das Ziel steht im Mittelpunkt; dem Gegner widmet man sich bestenfalls, wenn das Ziel erreicht ist.

      Das Kernziel eines Unternehmens besteht eben nicht darin, jemanden zu besiegen oder aus dem Rennen zu schlagen. Würde der Läufer jemanden im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Rennen schlagen, würde er wegen grober Unsportlichkeit disqualifiziert. Vor diesem Hintergrund drängt sich der Gedanke geradezu auf, das heute in vielen Unternehmen noch weit verbreitete und als notwendig empfundene Bekämpfen und Attackieren von Wettbewerbern als fragwürdig zu betrachten. Die Erwägung aggressiven Wettbewerbsverhaltens als taktische oder strategische Alternative gehört nach meiner Ansicht in die Mottenkiste der Managementliteratur.

      Unternehmerisches Handeln sollte vor allen Dingen von dem Kernziel geprägt sein, einen Kunden zufriedenzustellen.

      Eine übertriebene Wettbewerbsorientierung bindet Ressourcen, die zweckmäßiger eingesetzt werden könnten. Außerdem verstellt eine übertriebene Wettbewerbsorientierung den Blick für die Bedürfnisse des Kunden.

      Die Entlarvung des Wettbewerbs als unzweckmäßiges Leitmotiv wird schließlich auch durch Erkenntnisse aus der Psychologie gestützt. Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann verweist auf ein interessantes Experiment, „bei dem zwei Gruppen von Probanden ein Spiel spielen. Bei der einen heißt es ,Gemeinschaftsspiel‘, bei der anderen ,Wettbewerbsspiel‘. Im ersten Fall werden die Leute hilfsbereit, im anderen egoistisch – und das, obwohl es beide Male dasselbe Spiel ist.“28

      „Rein monetäres Wachstum ist fragwürdig,

      dieses Wachstum wird bezahlt mit einem Riss

      in der Gesellschaft.“

      Friedhelm Hengsbach29, deutscher Jesuit und Sozialethiker

      Grenzen des Wachstums

      „Die Grenzen des Wachstums“ (engl. Originaltitel: The Limits to Growth) ist eine viel beachtete, im Jahre 1972 veröffentlichte Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft. Die Studie wurde im Auftrag des Club of Rome erstellt. Donella und Dennis L. Meadows und deren Mitarbeiter am Jay W. Forrester‘s Institut für Systemdynamik führten dazu Untersuchungen und Computersimulationen mit verschiedenen Szenarien durch.

      Die zentrale Schlussfolgerung der Studie ist: Wenn die gegenwärtige Zunahme


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