Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg
Taktik führen müssen.“10 Er konstatierte, die italienische Regierung habe nicht gewagt, die von den Arbeitern besetzten Fabriken anzugreifen, da die Arbeiter gut bewaffnet seien. Entsprechende Kampfmethoden seien für Deutschland nötig.
Neben seiner Tätigkeit als Privatdozent an der Universität unterrichtete Rosenberg an der Berliner Volkshochschule und publizierte Beiträge zur Arbeiterbildung, so die kleine, ganz auf Nicht-Akademiker ausgerichtete Schrift Demokratie und Klassenkampf im Altertum, in der er jedoch Kategorien der modernen Sozialgeschichte – ganz entgegen seiner bisherigen Arbeitsweise – recht grob auf die so andersgeartete Realität der alten Welt anwandte.11 Anfang 1921 wurde er zum kommunistischen Stadtverordneten für Groß-Berlin gewählt. Er wurde durch seine Auftritte auf KPD-Parteitagen bekannt. Im August 1921 erklärte er: „Wir gehen großen Perioden heftiger Kämpfe entgegen“; dies werde „zu großen Zusammenstößen mit der Staatsgewalt führen; das ist vollkommen klar.“12 Er ignorierte die Tatsache, dass diese Politik der putschistischen Märzaktion von 1921 zugrunde gelegen und zu einer Katastrophe für die deutschen Kommunisten geführt hatte, da diese von der Mehrheit der deutschen Arbeiter vollkommen isoliert geblieben waren. Sogar die neuerliche Niederlage im Herbst 1923 konnte seine Haltung, dass Deutschland für eine kommunistische Revolution reif sei, nicht erschüttern. Folglich gehörte er zur Linksopposition um Ruth Fischer und Arkadij Maslow, die sich gegen die realistischere Politik Heinrich Brandlers, des Parteivorsitzenden, und August Thalheimers, des damals bedeutendsten Theoretikers der Partei, wandten.
Im Frühjahr 1924 übernahm die bisherige Linksopposition 1924 die Parteiführung. Nunmehr rückte Rosenberg innerhalb der KPD rasch auf. Noch 1924 wurde er in die Leitung des Parteibezirks Berlin-Brandenburg, einer der wichtigsten Bezirksorganisationen, gewählt. Im gleichen Jahr stieg er auf dem Frankfurter Parteitag in die Parteizentrale auf. Im Mai 1924 wurde er Reichstagsabgeordneter und übte sein Mandat bis zu den Wahlen von 1928 aus. Auf dem 5. Kongress der Kommunistischen Internationale (Komintern) wurde er im Juli 1924 zum Präsidiumskandidaten des Exekutivkomitees (EKKI) gewählt. Auch schrieb er zahlreiche Artikel für die Komintern-Presse zu Fragen der internationalen Beziehungen.
In der KPD bestimmte Rosenberg mit Ruth Fischer und Werner Scholem zunächst den ultralinken Kurs. In einer Rede vor der Chemnitzer Parteiorganisation erklärte er, „daß es nicht von Bedeutung sei, ob die Partei ein oder zwei Millionen Stimmen bei dem „parlamentarischen Affentheater“ verliere. Die einzige Aufgabe sei die Bewahrung des Geistes der Revolution und der proletarischen Organisation.13 Im April 1925 kritisierten Rosenberg, Scholem und Iwan Katz sogar Fischer und Maslow, die in Übereinstimmung mit der Komintern-Führung eine „relative Stabilisierung“ der kapitalistischen Weltordnung konstatiert hatten.14
Rosenberg hielt bis zum Herbst 1925 an dieser ultralinken Haltung fest. Seitdem aber rückte er davon ab. In der Atmosphäre der Stabilisierung in der Mitte der zwanziger Jahre begriff er, dass für revolutionäre Abenteuer jede Voraussetzung fehlte. Im November 1925 schrieb er einen Artikel, in dem er klar feststellte, dass die KPD nur bei einer Minderheit der Arbeiter über Einfluss verfüge; die Mehrheit folge weiterhin den Sozialdemokraten, der katholischen Zentrumspartei und sogar nationalistischen Kräften. In einer nichtrevolutionären Situation vertrete die SPD die Interessen der Arbeiter besser und effektiver als die KPD. Für eine solche Lage, schrieb Rosenberg, habe die KPD eine ernsthafte, sachliche Strategie nicht gefunden. Die Mehrheit der arbeitenden Menschen würde die Partei „für einen konfusen Haufen von Thesenfabrikanten, Radaumachern und Putschisten halten.“15
Diese Art der Kritik und Selbstkritik brachte Rosenberg in Kontakt mit der von Ernst Thälmann geführten Fraktion. Thälmann, früher ein Ultralinker, schien jetzt für die Strömung in der KPD zu stehen, die sich mehr an der Realität orientierte. Rosenberg hoffte auch, dass eine KPD-Führung mit Thälmann gegenüber der sowjetischen Parteiführung eine unabhängigere Position beziehen werde, was eine völlige Fehleinschätzung war.
Unterdessen entwickelte Rosenberg im Reichstag eine Reihe von Initiativen. Seine wichtigste parlamentarische Aktivität war seine Mitarbeit im Reichstagsausschuss zur Untersuchung der Ursachen des deutschen Zusammenbruchs im Weltkrieg. Durch die Mitgliedschaft im vierten Untersuchungsausschuss erhielt er Zugang zu einer Vielzahl von Primärquellen und Dokumenten, die sein Interesse für Zeitgeschichte verstärkten.
Doch nahm Rosenberg besorgt die immer stärkere Unterordnung der KPD unter das Regime Stalins wahr. Am 26. April 1927 trat er deshalb aus der Partei aus. In einem Brief an die Parteiführung, den die SPD-Presse am folgenden Tag veröffentlichte, nannte er die kommunistische Niederlage in China und die Unterwerfung der verschiedenen kommunistischen Parteien unter die Moskauer Politik als Gründe für seinen Schritt.16 Er blieb fraktionsloser Abgeordneter des Reichstages. Nunmehr kritisierte Rosenberg die KPD und ihre „romantische Phraseologie, die nicht im Entferntesten eine reale Bedrohung der bestehenden Staatsordnung darstellt. […] Durch diese Romantik werden Millionen Arbeiter davon abgelenkt, in realer sachlicher Weise ihre Tagesinteressen zu vertreten. Der Kampf gegen die Romantik bringt eine außerordentliche Energieverschwendung für die übrigen Tendenzen und Richtungen der Arbeiterbewegung mit sich […].“17
Nach den Reichstagswahlen von 1928 verlor Rosenberg sein Abgeordnetenmandat. Um seine Familie – seine Frau Ella und die Kinder Liselott und Wolfgang – ernähren zu können, nahm er eine Stelle als Lehrer am Köllnischen Gymnasium an, wo der spätere Agrarökonom Theodor Bergmann zu seinen Schülern zählte.18 Die von Siegfried Kawerau geleitete Schule war durch die progressiven Bildungsreformen der SPD-geführten preußischen Regierung und des Berliner Magistrats geprägt. Gleichzeitig unterrichtete er als Privatdozent an der Berliner Universität. Unter seinen Hörern war der spätere Historiker der französischen Revolution, Walter Markov.19 Nunmehr publizierte Rosenberg in verschiedenen SPD-nahen Organen und wurde Mitglied der Deutschen Liga für Menschenrechte. Gegen den Widerstand der konservativen Berliner Fakultät ernannte ihn der preußische Kultusminister Adolf Grimme 1930 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor.
Der 30. Januar 1933 veränderte Arthur Rosenbergs Leben völlig. Der Marxist jüdischer Herkunft musste aus Hitler-Deutschland fliehen. Im März 1933 verließ er mit seiner Familie Berlin. Über Konstanz, wo Verwandte seiner Frau lebten, ging er nach Zürich, dann unter großen Schwierigkeiten 1934 nach London und von dort nach Liverpool, wo ihm die dortige Universität einen Lehrauftrag in Alter Geschichte anbot. Aber die Universität sah sich nicht imstande, ihm eine dauerhafte akademische Stellung zu geben. Nach dem Ende seines Dreijahresvertrages verließ Rosenberg 1937 England und ging in die Vereinigten Staaten, der letzten Station seines Lebens.
Im November 1937 erreichte die Familie New York. Einige Wochen später nahm Rosenberg seine althistorische Lehrtätigkeit am Brooklyn College wieder auf. Die Stelle, für die sich der Präsident des College, Jesse Clarkson, und die Historikerin Madeleine Robinton eingesetzt hatten, war zwar schlecht bezahlt, doch erhielt Rosenberg finanzielle Unterstützung sowohl vom Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars als auch von der Carl Schurz Foundation. Zum 1. Januar 1941 stellte ihn das Brooklyn College fest als Instructor an. Die schlechte Bezahlung bedeutete jedoch, dass er weiterhin von der Gehaltsaufbesserung durch die Stipendien abhing. Politisch blieb er aktiv: Im Frühjahr 1942 trat er der von KPD-nahen Emigranten, darunter seinem Freund Felix Boenheim, gegründeten German American Emergency Conference bei, die sich mit Planungen für ein Deutschland nach Hitler befasste.
Doch wurde Rosenberg, der bis dahin seiner jüdischen Herkunft keine große Bedeutung beigemessen hatte, nunmehr auch zum sozialistischen Zionisten. 1939 publizierte er eine Reihe von Aufsätzen in der linkszionistischen New Yorker Monatszeitschrift Jewish Frontier. Die britischen Spezialisten für den Nahen Osten, so Rosenberg im Juni 1939, seien gewiss keine Antisemiten im Sinne Hitlers. Sie seien auch keine Feinde der jüdischen Kapitalisten, aber hassten die jüdische Gewerkschaft, die Histadruth, und „die freie Selbstverwaltung der jüdischen Bauern und Arbeiter. Wenn die Juden fähig wären, eine funktionierende Demokratie in Palästina aufzubauen, dann könnten sie durch dieses Beispiel den ganzen Nahen Osten ‚entgiften‘. Die armen arabischen Arbeiter und Bauern würden vielleicht entdecken, dass sie auch menschliche Wesen sind und würden sich gegen ihre einheimischen Unterdrücker und deren britische