Die Urgeschichte Europas. Reinhard Pohanka
die Wichtigkeit dieser Verbindungen der Gruppen untereinander belegen.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Zeit hatten sich ab 30.000 v. Chr. grundsätzlich geändert. Hatte der Neandertaler noch geschickt die natürlichen Gegebenheiten ausgenutzt, die sich ihm boten, so verfolgte der Cro-Magnon-Mensch eine geplante und organisierte Strategie in der Nahrungsversorgung. Vermutlich verfügte er über eine Reihe unterschiedlicher Jagdstrategien mit geplanten Hinterhalten, die jedem Jagdteilnehmer eine Rolle zuwiesen, vielleicht verwendete er schon neben den natürlichen Gegebenheiten Zäune, um das Jagdwild in eine Richtung zu treiben, wo es dann von den Jägern erwartet wurde. So war der Fundort von Solutré in Frankreich eine Schlucht ohne Ausgang, hier wurden Herden von Pferden hineingetrieben und abgeschlachtet. Die Menschen nutzten die Jahreszeiten und die Wanderungen der Herden, man jagte Großwild bevorzugt im Herbst, wenn man das Fleisch in Eisgruben speichern konnte. Die Menschen unternahmen lange Wanderungen, um in bestimmten Gegenden zu speziellen Zeiten zu jagen. Man errichtete dafür kurzlebige Lagerplätze, in denen zahlreiche Menschen zusammenkamen, man hatte Werkplätze, um bestimmte Steinvorkommen gemeinsam zu nutzen, daneben scheint es auch einfache erste Siedlungen gegeben zu haben, die das ganze Jahr hindurch genutzt wurden. Vermutlich war in diesen Siedlungen ein dauerndes Kommen und Gehen von Jagdgruppen, nur im Winter, wenn man von gespeicherten Vorräten leben konnte, scheinen sich größere Gruppen dauerhaft zusammengefunden zu haben. Der Fund von großen Feuerstellen belegt die Wichtigkeit des Feuers zum Auftauen und Kochen der Jagdbeute. Man machte Gebrauch von fast allem, was die Natur bot, in einigen Regionen scheint man sich auf besondere Tiere als Beute konzentriert zu haben, im Osten auf Pferde und im Westen auf Rentiere. Man kannte bereits geknotete Netze vermutlich zum Fangen von Hasen und verwendete Speerschleudern, um die Reichweite der Jagdwaffen zu verlängern. Ob man auch schon mit Pfeil und Bogen gejagt hat, ist noch unsicher, die ältesten Pfeilspitzen aus der Höhle von Parpallo bei Valencia werden in das Solutréen etwa 22.000–18.000 v. Chr. datiert.40
Die bedeutendste Veränderung des Menschen des Jungpaläolithikums fand im Bereich der Kunst statt. Der Grund für diese Entwicklung ist Gegenstand einer breiten Diskussion, eine einfache Erklärung für das Volumen der künstlerischen Manifestationen, von gravierten Steinen über dekorierte Knochen und Elfenbeinstatuetten bis hin zu den Höhlenmalereien des Magdaléniens, gibt es nicht. Mögliche Erklärungen hat man in ersten Aufzeichnungen über die Abfolge der Jahreszeiten oder über Phänomene der Natur gesehen, man hat versucht, in der Kunst Ausdruck von Planung und Erziehung zu sehen, Repräsentation von Schamanen und Totems oder einfach den Wunsch nach Dekoration und der Verbesserung des Lebens. Andere Gründe wie Jagdzauber kann man eher ausschließen, da die mögliche Beute zu selten dargestellt ist, und wegen der Abwesenheit von Jagdszenen oder von verwundeten Tieren.
In die Zeit des Jungpaläolithikums fällt auch der Beginn von Begräbnissen mit Grabbeigaben, die sowohl in Höhlen wie auch im offenen Gelände gefunden werden. Es ist dies kein Beseitigen des Leichnams mehr, wie man es eher dem Neandertaler zuschreibt, sondern die neuen Grabsitten scheinen die Gedanken der Menschen über ein Leben nach dem Tode auszudrücken. Manche Gräber enthalten mehrere Bestattungen, was vermuten lässt, dass man im Winter die Toten wegen der gefrorenen Erde nicht beerdigen konnte. Grabbeigaben wie Schmuck, Werkzeuge und Waffen sowie kleine Figurinen finden sich nun vermehrt in den Begräbnissen.
Um etwa 18.000 v. Chr., am Höhepunkt der letzten Eiszeit, wurde die Kultur des Solutréen von der des Magdalénien abgelöst. Diese verdankt ihren Namen der Abris-Siedlung von La Madeleine, die nahe Les Eyzies-de-Tayac in der Dordogne an den Ufern des Vézère-Flusses liegt. Das Magdalénien dauerte bis um 10.000 v. Chr. und brachte die intensivsten Veränderungen in der Lebensweise der Menschen im gesamten Jungpaläolithikum. Der Mensch hatte sich zu dieser Zeit perfekt an die klimatischen Verhältnisse der Eiszeit angepasst. Seine handwerkliche Geschicklichkeit in der Bearbeitung von Steinen und Knochen waren am Höhepunkt und ab etwa der Zeit vor 15.000 bis 12.000 Jahren v. Chr. entstanden 80 Prozent aller bekannten Höhlenmalereien.
Das Klima in dieser Zeit war starken Schwankungen unterworfen. Nach dem Höhepunkt der Eiszeit etwa um 18.000 v. Chr. kam es um 12.700 v. Chr. zu einer starken Erwärmung, wobei Klimawerte erreicht wurden, die etwa den heutigen entsprechen. Um 10.800 v. Chr. wurde es schnell wieder kälter mit einem letzten Vorstoß der Gletscher, aber um 9.800 v. Chr. stiegen die Temperaturen wieder deutlich an. Jede dieser klimatischen Veränderungen hatte einen deutlichen Einfluss auf die Flora und Fauna Europas und damit auch auf die hier siedelnden Menschen.
Die Menschen des Magdalénien waren in erster Linie Jäger des Großwildes, besonders von Rentieren, die im Fundmaterial zu fast 90 Prozent dominierend sind. Da die Rentierherden je nach Jahreszeit umherwanderten, war es für die Menschen des Magdalénien notwendig, mit diesen zu ziehen, oft über weite Strecken von bis zu 1.000 Kilometern. Man kann ihre saisonal nomadische Lebensweise mit der von heutigen Rentierjägern in der Tundra Sibiriens vergleichen. Wieweit sie dazu übergingen, ihre Jagdtiere auch zu domestizieren, ist noch nicht ganz geklärt, vielleicht war es ihnen schon möglich, Rentiere zur Milchversorgung oder als Lasttiere zu gebrauchen.
Elfenbeinschnitzereien aus der Zeit lassen vermuten, dass neben Rentieren auch Pferde domestiziert wurden, besonders da auf einigen Figurinen halterähnliche Gegenstände im Bereich des Kopfes von Pferden aufscheinen. Das könnte belegen, dass man Pferde nicht nur als Lasttiere, sondern auch schon zum Reiten verwendet hat. Der Vorgang der Domestizierung könnte so gewesen sein, dass man bei der Jagd Jungtiere verschonte, sie aufzog und so an den Menschen gewöhnte. Dadurch konnten nicht nur Last- und Reittiere gewonnen werden, die Tiere standen auch als Fleischreserve für magere Zeiten zur Verfügung.
Die verbesserten Jagdtechniken des Magdaléniens führten zum Aussterben von Großwild wie der Moschusochsen und Riesenhirschen. Neue Techniken in der Jagd kamen auf. Kleine Steinspitzen deuten darauf hin, dass man diese an Pfeilen befestigt hat und vermehrt mit Pfeil und Bogen auf die Jagd ging. Eventuell hat man in Europa auch schon Hunde als erste Spezies domestiziert, die der Mensch in seinen Haushalt aufnahm.41
Nicht außer Acht lassen darf man den Umstand, dass der Mensch des Magdalénien höchst unterschiedliche Lebensbedingungen vorfand. An den Küsten der Meere war die Nahrungsversorgung durch Muscheln und Fische ständig gewährleistet, was zu einer gewissen Sesshaftigkeit beigetragen haben mag. Im Inneren des Kontinentes folgte man den großen Rentierherden auf ihren Wanderungen. In Westeuropa gab es vermutlich mehr pflanzliche Nahrung, im Osten hingegen war der Fleischkonsum vorherrschend. Alle diese Faktoren führten zu einem unterschiedlichen Bevölkerungswachstum und zur Ausbildung verschiedener Gesellschaftsstrukturen.
Das Ansteigen der Bevölkerung, im Magdalénien wuchs die Zahl der Menschen in Südfrankreich vermutlich auf das Dreifache an, machte neue Formen sozialer Organisation notwendig. Die Menschen teilten sich in verschiedene Gruppen, Stämme oder Familien auf, die eine bestimmte Größe haben mussten. Diese hing einerseits davon ab, wie viele Menschen friedlich miteinander leben konnten, wieweit eine Region eine Gruppe versorgen konnte oder wie groß eine Gruppe sein musste, um Inzucht zu vermeiden. Notwendig war es daher, dass sich diese Gruppen ab und zu wieder zusammenfanden, sei es um Ideen, Material oder auch heiratsfähige Menschen auszutauschen. Besonders in Südfrankreich scheint man bestimmte Plätze als Versammlungsorte genutzt zu haben, in denen sich das soziale Leben abgespielt hat.
Die Lebenserwartung der Menschen des Magdalénien war nur kurz. Nach der Untersuchung von 76 Gräbern des Jungpaläolithikums scheint nur die Hälfte der Menschen ein Alter erreicht zu haben, das höher als 21 Jahre lag, nur 12 Prozent waren älter als 40 Jahre, und es gibt kein Skelett einer Frau, die älter als 30 Jahre war. Viele Skelette wiesen Zeichen von Mangelerkrankungen wie etwa Rachitis auf, zahlreiche Knochenbrüche ließen sich ebenfalls nachweisen.
Die Ausstattung der Gräber wie die von Sungir oder die Kindergräber aus der »Grotte des Enfants« bei Balzi Rossi in Italien legen die Vermutung nahe, dass die Menschen begannen, sich in verschiedene soziale Schichten aufzuteilen. Soziale Stellung dürfte vielleicht auch schon als Erbe weitergegeben worden sein und äußerte sich beim Tode in reichen Beigaben in den Gräbern. Da man offenbar besonderen Wert auf Begräbnisse legte, muss es auch Menschen gegeben haben, die als Schamanen diese leiteten und den Kontakt zum Jenseits, vielleicht auch zu einer Gottheit, herstellten.