Albrechts Chroniken IV. Friedrich S. Plechinger

Albrechts Chroniken IV - Friedrich S. Plechinger


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ballte meine Faust. Erik hatte in diesem Sommer Rauks Dorf niedergebrannt und jeden getötet, der dort wohnte, Frauen, Kinder, Alte. Besonders Olaf Raukson war es nicht besser ergangen wie den Mönchen in Schottland. Er war ebenso rituell mit ausgerissenen Lungen hingerichtet worden. Meine Wut und mein Entsetzen nahmen kein Ende. Nach diesen Worten ergriff ich wieder das Wort und änderte das Urteil.

      „So sei es. Ich überlasse die Hinrichtung den isländischen Brüdern Rauk, Enar und Lars, die alle ihre Liebsten in der Heimat durch die Hände dieser gottlosen Bastarde verloren haben. Der Tod durch den Strang ist zu milde bemessen und somit sollen sie selbst das Leid der Getöteten spüren!“

      Rauk, Enar und Lars sahen mich dankbar und mit geröteten Augen an.

      „Ascanio, bringt die Bastarde an Bord, segelt zehn Meilen hinaus und verfüttert diesen Abfall nach der Hinrichtung an die Haie!“

      „Kommt Ihr etwa nicht mit, mein Admiral?“

      „Natürlich komme ich mit. Sagt mir, wenn ihr so weit seid. Richard, zu mir!“

      „Mein Admiral!“

      „Du und Rutherford bereitet alles für eine Feuerbestattung unserer gefallenen Brüder vor. Gebt ihnen die letzte Ölung und lasst einen Stein mit ihren Namen meißeln, auf dass sie unvergessen bleiben. Dieser wird nach der Bestattung in der Mitte der Basis aufgestellt. Habt Ihr verstanden?“

      „Zu Befehl, mein Admiral!“

      „Wir wären so weit, mein Admiral!“, rief Ascanio leise und traurig, als er mir die Nachricht brachte, dass die Magdalena so weit sei. Ihm als wahrem Christen und aus einer tiefgläubigen italienischen Familie stammend würde das, was nun folgte, für immer im Gedächtnis bleiben.

      „Lichtet den Anker und setzt die Rahsegel!“, rief Ascanio.

      Gernot stand neben Ralf und neben Cortez zu meiner Rechten. Die Magdalena nahm sanft Fahrt auf und wir glitten in den inzwischen angebrochenen Tag des 30. Dezember 1137 hinaus aufs Meer, um eine Tat zu begehen, die Gott uns niemals verzeihen würde. Ich wusste nicht, für welche Hinrichtungsart sich die isländischen Sergeanten entschieden hatten, doch ich war überzeugt, es würde kein schöner Tod für die Verurteilten werden. Doch welcher Tod war schon schön. Als wir dann die zehn Meilen erreichten, erschien Ralf bei mir mit der Übersetzung der Isländer. Sie lautete:

      „Erik wird durch dieselbe Art hingerichtet, wie sein Vater hingerichtet wurde. Durch das Entreißen der Lungen über den Rücken. Die anderen zwei werden kielgeholt und langsam wieder hochgezogen, jedoch erst, wenn Eriks Blut ins Meerwasser fließt, um Haie anzulocken.

      Welcher Einfallsreichtum. Diese Burschen waren keinen Hauch besser als die Barbaren aus dem Vynland. Ich zuckte nur leicht mit den Schultern und sagte: „Von mir aus!“

      „Lasst fallen Anker!“, und schon fiel die Trosse über Bord und der Kahn blieb wie angenagelt stehen.

      Erik wurde zur Mitte des Decks geholt und sein Hemd wurde zerrissen. Sein Haar wurde geschoren und ins Meer geworfen. Die Hände wurden nach vorne um einen Block gebunden und man zwang ihn in die Knie. Sein Kopf wurde mit einem Lederriemen nach unten gezogen. Enar und Lars überreichen Rauk zwei große Messer und ich hörte ein leises Wimmern aus Eriks Mund. Die anderen beiden fielen auf die Knie vor Angst und einer pisste sich voll. Ascanios Unterlippen zitterten vor Traurigkeit.

      „Oh Dio perdonali. Perdona anche a noi!“, gab er von sich.

      Rauk hielt beide Messer in die Höhe und schrie etwas auf Isländisch, was so viel hieß wie: „Dies ist für unser Volk. Dies ist für unsere Mütter, unsere Brüder, unsere Schwestern, unsere Frauen, unsere Kinder und unsere Väter!“

      Dann rammte er beide Messer in den Rücken des Verurteilten, brach von hinten Eriks Brustkorb auf, warf die blutigen Messer aufs Deck und brachte beide Lungenflügel sozusagen durch die Hintertür zum Vorschein. Ralf de Saddeleye übergab sich sofort, andere ließen sich dabei etwas Zeit. Ich blieb zu meinem Erstaunen eiskalt, denn ich sah Bruce vor mir, den Kartäusermönch, der auf eben diese Art und Weise gestorben war und nie jemandem etwas zuleide getan hatte. Nein, ich fühlte Gerechtigkeit. So blieb ich stehen, und eisige Kälte durchdrang meine Augen und Ohren, als ich beobachten musste, wie dieser Massenmörder da schrie und ausblutete.

      Dann wurde sein noch lebendiger Körper über Bord geworfen. Es dauerte nicht lange, bis sich Haie durch Eriks Blut angezogen fühlten. Als sie sich um das Boot herum daran labten, wurde der Erste der beiden über Bord geworfen und Kiel geholt. Ich konnte mir ungefähr ausmalen, was sich nun unter der Magdalena abspielte. Etwas später wurde ein halber menschlicher Rumpf an Deck gehievt. Entsetzt schrie der Zweite, der nun über Bord geworfen wurde, doch seine Schreie dauerten nicht lang.

      Am Ende wurde ein leeres Seil hochgezogen. Auch er war in den Bäuchen der Haie verschwunden. Der übrig gebliebene Rumpf wurde über Bord geworfen, genauso, wie die anderen sechsundfünfzig feindlichen Gefallenen, die im Wald den Tod gefunden hatten.

      „Wischt das Blut vom Deck! Wirds bald?“, schrie Ascanio und sein Befehl duldete keine Widerworte.

      Als das Deck sauber gewischt war, sanken wir auf die Knie, beteten zu Gott und baten um Vergebung, wohlwissend, dass er uns niemals vergeben würde dafür, dass wir nichts Besseres waren als die, die wir verurteilt und ins Meer geworfen hatten. Die Scheinheiligkeit, uns hier von all den Sünden reinwaschen zu wollen nach dieser wohlgemerkt außergewöhnlichen und nicht alltäglichen Hinrichtung, würde unserer Arroganz und Ignoranz noch teuer zu stehen kommen. Ascanio war so außer sich, dass er nicht in der Lage war, irgendein Kommando zu rufen. Erst als er sich gesammelt und die Tränen weggewischt hatte, war er fast wieder der Alte. Cortez sagte nichts. In einer Welt, wo die Sünde wohnte und wir die Sünde ins Paradies gebracht und dessen Boden mit Blut entweiht hatten, hatte er nichts anderes erwartet. Vernunft ist ein Begriff von Menschen erdacht. Vergebung ist etwas, das nur ein Gott fähig war auszuführen, und wir waren keine Götter.

      Die Magdalena ankerte wieder in der Bucht, und wir bemerkten nicht, dass die Sonne langsam unterging. Richard und Rutherford hatten den Gedenkstein fertig meißeln lassen und die toten Körper unserer gefallenen Brüder wurden auf Holzgestellen aufgebahrt. Gerne hätten wir sie begraben, doch Wölfe hätten sie wieder ausgegraben und sich an unseren Brüdern gelabt. Auch wollte ich sichergehen, dass sich keine Keime oder Seuchen über das Lager verbreiten würden.

      „Wir nehmen nun Abschied von unseren treuen und tapferen Brüdern, die hier und heute für das Wohl dieses Landes und eben unserer Basis gefallen sind. So sagen wir ein letztes Mal adieu den Brüdern Sven Johansson, Thiere Thorson, François Vermont, Raul de Vasquez, Robert Lacroix, Carlo di Ponza, Martin zu Marsberg, Henrique Cerron, Guillaume van Duiven, Rudolf Stein, Fabio Rotua und Conrado Efantil. Ihre Namen wurden auf diesem Stein verewigt. Damit unsere Spur niemals in der Zukunft von anderen unwürdigen Nacheiferern gefunden wird, sind diese Namen verschlüsselt und in unserem Geheimalphabet geschrieben. Nie dürfen die Menschen, die wir einst verließen, erfahren, wo wir uns befanden und wo unsere Brüder gefallen sind. Bruder Rutherford, sprecht das Gebet, bevor wir die Toten dem Feuer übergeben.“

      Chaplain Rutherford wie auch Richard Cornwall falteten ihre Hände, während wir auf die Knie fielen. Erst jetzt fühlte ich Trauer in mir aufsteigen. Meine Männer wurden zu meinen Söhnen, und hier und heute hatte ich zwölf Kinder verloren.

      „Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme …!“

      Leidenschaftlich hielt Rutherford die Messe ab, und wir beteten mit. Ich war dem Wahnsinn nah. Wir waren nur noch dreiundzwanzig Mann, und an eine Rückkehr war nicht zu denken. Wie sehr hatte ich diesen Moment gefürchtet, und nun war er eingetreten. Das Gebet ging zu Ende und man reichte mir die Fackel, um die Schreine anzuzünden.

      Die Nacht wurde zum Tag, und wie sehr erschrak ich, als ich die aufrechten Silhouetten der Chinook im Hintergrund entdeckte. Ein sehr besorgter Kimey schaute mir traurig und enttäuscht in die Augen, und ich wusste, dass nichts mehr so sein würde, wie es vorher war.

       ENTWEIHTE ERDE


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