Das Eisenbett. Ana Contrera

Das Eisenbett - Ana Contrera


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beim Abtransport helfen. Was dann tatsächlich gelaufen war, wusste Pedro aber nicht.

      »Na, wird’s bald?« rief der Kommissar ungeduldig. Pedro spürte einen leichten Schlag gegen seinen Hinterkopf und zuckte zusammen.

      »Der Name sagt mir nichts!« fingierte Pedro mit kleinem, hilflosem Lachen.

      Eine schallende Ohrfeige fegte ihn vom Stuhl. Er landete auf dem Fußboden und spürte die kühlen Fliesen. Der schwarze Stiefel des Kommissars drückte seinen Kopf zu Boden.

      »Beschwere dich nicht, wir hätten’s nicht im Guten versucht. Ab jetzt reden wir unter Männern, verstehst du! Das hier ist ausschließlich deine Schuld.«

      Der Kommissar packte Pedro an den Oberarmen und zog ihn wieder auf den Stuhl. Die anderen Uniformierten standen jetzt im Kreis um Pedro. Jemand klickte die Handschellen an der Stuhllehne um seine Handgelenke. Pedro schwirrte der Kopf. Die Carabinera tauchte direkt vor seinem Gesicht auf. Ihr Grinsen hatte etwas Beunruhigendes. Er bemerkte, dass sie Sommersprossen im Gesicht hatte. Dann zog sie ihm eine dunkle Augenbinde über den Kopf.

      Er spürte, wie sie seine Fußgelenke festbanden und etwas an die großen Fußzehen klemmten.

      »Gib her!« sagte eine Stimme.

      »Die?« fragte die Stimme der Frau.

      »Nein, die anderen beiden!«

      Pedro spürte Finger an seinem Geschlechtsteil. Zwei Krokodilklemmen am Hodensack. Er versuchte, die Beine zusammenzupressen. Es half nichts. Die Klemmen saßen fest.

      Kurzes Stühlerücken. Dann war herrschte gespannte Ruhe im Raum.

      Pedro schwitzte vor Angst. Sein Atem ging schnell und flach.

      »Wer ist Victor?« Der Kommissar wiederholte ungerührt die Fragen von vorhin.

      »Ich weiß es nicht!« rief Pedro aufgeregt.

      Er hörte ein surrendes Geräusch, dann zuckte der erste Stromstoß in seine Fußzehen, raste hinauf in die Hoden und verließ seinen Körper durch die dort angebrachten Klemmen. Pedro schrie kurz auf. Mehr aus Überraschung als aus Schmerz.

      »Das ist Magneto, unser kleiner Helfer.« erklärte der Kommissar in einem Ton, als würde er eine Küchenmaschine vorstellen.

      Pedro fing sich schnell. Es hatte weh getan, war aber zu ertragen. »Resistir« fiel ihm wieder ein. Widerstehen war möglich!

      »Wer ist Victor?«

      Pedro nahm sich vor, kein Wort zu gestehen. Er presste die Lippen aufeinander und wartete mutig auf Magneto.

      »Aaaaaaaauuaah! Jesus! Er … er ist in einer Gruppe … Aaaah!« Der Stromstoß war viel stärker als der letzte. Als Pedro wieder klar denken konnte, wurde ihm bewusst, dass er geredet hatte. Fieberhaft suchte er nach einem Weg, aus der Geschichte wieder herauszukommen. Doch die Carabinera hakte schon nach:

      »Von welcher Gruppe redest du?«

      Noch bevor Pedro antworten konnte, raubte ein furchtbarer Stromschlag ihm fast das Bewusstsein. Er sprang in die Höhe, riss den Stuhl hinter sich her. Die Ketten an den Fußgelenken hielten ihn zurück.

      »Gütiger Gott!« rief die Carabinera entsetzt.

      »Pass’ doch auf, nicht so viel, du Unmensch!« rief der Kommissar. »Bin halt abgerutscht.« entschuldigte sich eine Männerstimme.

      »Grobian! Lass die Señora ran, die macht das mit mehr Gefühl!«

      Pedro schnappte nach Luft – als hätte ihm jemand voll in die Eier getreten. Er brauchte einige Sekunden, bevor er wieder vernehmungsfähig war.

      »Noch mal: Welche Gruppe?«

      Pedro lernte schnell, dass er nach jeder Frage nur zwei Sekunden hatte. Wenn er bis dahin nicht redete, drehten sie an der Kurbel des Generators. Wenn er leeres Zeug redete, um Zeit zu gewinnen, auch.

      Das Verhör wurde durch dieses Verfahren beschleunigt, und der Kommissar kam mit seinen Fragen schnell voran.

      »Wann hast du Victor das letzte Mal gesehen?«

      Pedro spürte seine Fußzehen bald nicht mehr. Wenn die Klammern am Geschlecht Strom führten, brannte es wie glühende Kohlen. Seine Oberschenkel zuckten unkontrollierbar. Im Mund spürte er einen metallischen Geschmack.

      Bröckchen für Bröckchen gestand er, was er über Victor T. wusste.

      Zum Glück hatte die Führung der Widerstandsgruppen darauf Wert gelegt, dass die Teilnehmer von Aktionen immer nur das Allernotwendigste erfuhren. Es war eiserne Regel, dass die Teilnehmer nicht wussten, wie die Kontaktkette jenseits der nächsten Person weiterging. Über Victor T. hinaus konnte Pedro nichts sagen, auch als die Behandlung härter wurde.

      Nach zwanzig Minuten Befragung und der Beihilfe von Magneto sah sich der Kommissar bezüglich des Falles hinreichend im Bilde. Die Carabinera entfernte die Klemmen und zog dem Verdächtigen die Augenbinde vom Gesicht.

      »Alles gut. Du hast es überstanden!« sagte sie tröstend. Pedro glaubte, ein spitzbübisches Lächeln in ihrem Gesicht zu erkennen.

      Der Kommissar öffnete die Handschellen und bedeutete Pedro mit einer Handbewegung aufstehen. Der Wachsoldat warf er ihm seine Kleidung hin. Zitternd zog Pedro sich wieder an. Man brachte ihn nach oben in einen Warteraum.

      Wieder musste er warten. Pedro erholte sich langsam. Er fragte sich, warum die Carabineros nicht weiter nach den beiden Mitstudentinnen gefragt hatten. Hatten sie sich einfach auf diesen Victor eingeschossen? Musste er nachher noch mal in den Verhörraum? Welche Folgen würde es für Victor haben, dass Pedro »gesungen« hatte. War das bereits Verrat an einem Compañero? Eigentlich, so befand er, hatte der Kommissar doch gar nicht viel Neues von ihm erfahren. Schließlich waren er und seine Leute über Viktor schon vorher umfangreich informiert gewesen.

      Der stämmige Carabinero von heute mittag betrat den Raum.

      »Noch mal Glück gehabt! Der Kommissar lässt dich laufen.« Er lächelte. Pedro fragte sich, ob das mit dem Glück ironisch gemeint war. Der Carabinero legte seine Hand auf Pedros Schulter.

      »Nimm’s nicht persönlich, Junge. Es sind halt rauhe Zeiten. Das ist alles eine große Maschine. Und wir sind die Rädchen, die sich drehen müssen. Mach’ kein Drama draus. Ist doch alles noch glimpflich abgelaufen, oder?«

      Pedro sah ihn etwas ratlos an.

      Der Mann richtete sich auf und ging zur Tür.

      »Ich bringe dich zum Ausgang.«

      Pedro atmete auf. Draußen auf dem Flur gestikulierte der Carabinero, als wolle er das alles noch einmal rechtfertigen:

      »Der Kommissar muss halt die Wahrheit herausfinden. Nimm es wie ein Mann. Geh’ nach Hause und red’ nicht mehr drüber – und sei in Zukunft vorsichtig! Du bist jetzt registriert.«

       Claudia und Inés 17. Februar 1974

       1 Instituto Pedagógico

      Claudia Lidia Morales war Studentin im vierten Semester an der Universidad Catholica de Chile. In der Avenida Mackenna teilte sie sich ein Wohnheimzimmer mit Inés Flores Cardenas, einer Studentin aus der Fakultät für Soziologie.

      Wie viele junge Menschen ihrer Zeit waren beide politisch aktiv und suchten nach einer gerechteren Zukunft für ihr Land. Schon in den Jahren von Allende hatten sie sich in den Hochschulgremien engagiert. Nach dem Militärputsch wurde die Arbeit solcher Organisationen verboten. Viele politische und religiöse Organisationen setzten jedoch die Arbeit im Untergrund fort. Ihre Anführer stellten die Aufgabe: »Widerstand, Kampf und fortgesetzte Verteidigung der Interessen des Volkes und der Arbeiter«. Tausende treuer Anhänger folgten diesem Ideal unter hohem persönlichen Einsatz.

      Auch Claudia und Inés spürten, dass sie sich entscheiden mussten. Sie schlossen sich einer Jugendorganisation an, die der Partido Christiano de Chile nahestand Dort engagierten sie sich in der


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