Von kommenden Dingen. Walther Rathenau

Von kommenden Dingen - Walther Rathenau


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geistete Kraft sich des innern Lebens bemächtigt, wo die gewaltig entfesselte Bewegung verantwortungslos aus der dienenden Bindung sich befreit, um den Menschen und sein Geschlecht, den Herrn des Getriebes, zum Knecht seines eigenen Werkes zu erniedern. Hier quillt Unfreiheit, sinnloses Mühen, Feindschaft, Not und geistiges Sterben.

      Doch dem Menschen ist es gegeben, sich zu besinnen und mit dem Lichte seiner übersinnlichen Ahnung die Wirrnis zu durchleuchten. Die Me- [54] chanisierung als materielle Ordnung wird er nicht preisgeben, solange nicht neue Ereignisse und Einsichten ihn gelehrt haben, den Naturkräften anders als durch organisierte Arbeit und Forschung entgegenzutreten. Die Mechanisierung als geistige Herrscherin des Daseins wird er bekämpfen und kann er vernichten, sobald er die Praxis vom Zweck zum Mittel mäßigt, sobald er des Notzwangs und Blutlohns nicht mehr bedarf, sobald er vorzieht, aus freiem Willen zu leisten, was heute der Zwang ihm erpreßt, und den ärmlichsten Teil seines unedlen Sonderglücks um Menschheitssegen einzutauschen.

      Daß es nur eines Umsteuerns des Geistes bedarf, nicht des Maschinellen, begreifen wir aus innerster Tiefe, sobald wir nochmals die Mechanisierung als Erscheinung verlassen und sie als Geistesevolution von innen ergreifen. Hier erscheint sie uns als die gewaltige Steigerung des Erdengeschöpfes zum Intellekt, der in der beispiellosen Zahl seiner Träger, in der Schärfe und Nachhaltigkeit, Zielrichtung, Verzweigung und Sammlung seiner Organe ein ungeheures Maß niedersten Geistes in Bewegung hält. Dieses Maß reicht aus, um dem blinden Willen der Natur ein Gleichgewicht zu bieten; und die erste dankbare Regung der beschenkten Welt ist das kindliche Vertrauen, sie dürfe den überschwenglichen Kräften des Intellekts ihr Glück und ihre Freiheit anheimstellen. Hier beginnt Irrtum und Not und mit ihr die Heilung. Endlich hat die Steigerung des Denkens die kritische Einsicht gereift, daß Intellekt zum Ordnen der Begriffe taugt, nicht zum Erkennen; indem nun diese Einsicht sich zum Begreifen erhebt, die höchste [55] Pflicht der unteren Geisteskräfte sei Selbstbeschränkung, Selbstaufhebung, Verzicht auf alles Richten und Lenken: so ist alsbald der Boden für die reine Saat bereitet, die lebend von Anbeginn im Dunkel des Menschenherzens schlummert. Es ist Zeit zum Anbruch der Seele! Daß wir heute ihr Bild zu ahnen, ihren Mächten uns hinzugeben vermögen, verdanken wir der Not der intellektualen Weltepoche. Sie welkt, nachdem sie diese Frucht getragen; nicht in dem Sinne zwar, als solle die Menschheit künftig auf ihr Recht zu denken und zu formen verzichten: sie wird es pflegen und stärken, doch stets in dem Bewußtsein, daß es niedere Kräfte, zum Dienst geborene sind, deren sie in höherer Verantwortung und Sendung waltet. Berühren aber die ersten Strahlen der Seele die intellektuale Welt und ihre Verwirklichungsform, die mechanistische Ordnung, so ist es nicht entscheidend, welche der Starrnisse zuerst dahinschmelzen; denn nicht der Zusammenhang sekundärer Ereignisse, sondern die Sonnennähe transzendenter Ahnung führt den Frühling über die Welt. In diesem bescheidenen Sinne ist der aufbauende Teil der Erörterung zu verstehen: Nicht ein vollkommenes Verzeichnis irdischer Handlungen in zeitlicher Reihenfolge ist ihr letztes Ziel, sondern die Aufweisung pragmatischer Verwirklichungsformen des Gedankens: Daß Seelenrichtung des Lebens und Durchgeistung der mechanistischen Ordnung das blinde Spiel der Kräfte zum vollbewußten, freien und menschenwürdigen Kosmos gestaltet.

      [56] Noch schwebt unentschleiert und unbenannt die Aufgabe über unserm Haupt. Den Weltzustand, der uns umgibt, haben wir ermessen; die Richtung, die zur Freiheit führt, wurde erkennbar, das Gestirn, dem wir folgen, weist den Weg zur Seele. Nun liegt uns ob, die pragmatische Form zu gestalten, die den überstrebenden Gedanken irdisch umfaßt und unsrer Epoche greifbar vermittelt; die metaphysische Aufgabe soll uns ihr physisches Abbild enthüllen.

      Noch einmal muß zuvor ein Wort über materielle Einrichtungen und Entwürfe schlechthin gesagt werden.

      I. Welchen Gewinn des innern Lebens dürfen wir von Lebensbedingungen und Lebensformen und ihrer Änderung überhaupt verlangen? Die materialistische Auffassung antwortet: Jeden. Der Mensch verdanke alles seinen Zuständen und Umständen; Blut, Luft und Erde, Lage und Besitz umschreibe ihn so vollkommen, daß jedem Wechsel der äußern Bedingungen eine gleichwertige Änderung des innern Bestandes entsprechen müsse. Zum stärksten Rüstzeug des Materialismus gehört dieser verführerische Irrgedanke: denn die Geschichte scheint ihn allenthalben zu bestätigen. Haben nicht die Veränderungen der Erdkruste die Evolution der Geschöpfe erzwungen? Folgen die Strömungen und Wanderungen der Menschenvölker nicht physischen Gesetzen? Ist nicht Wesen und Schicksal der Nationen aus Stammesart, Land und Umwelt bestimmbar? Ist nicht der Einzelmensch selbst Geschöpf seiner Vorfahren und seines Lebenskreises? Unbestreitbar: die Zentren der höchsten Kulturen fielen stets zusammen mit den Zentren [57] der Macht, der Volksdichte, des Reichtums; Einsamkeit, Armut, Not, die heiligen Quellen geistlicher Erhebung haben niemals einem Volke Kunst und Gedanken beschert. Seevölker werden klug, so heißt es; Hellas, Rom, Venedig, Holland, England verdanken ihre Macht dem Meere; Deutschland wurde stark durch sein Blut, Frankreich durch seinen Boden, Amerika durch seine Lage. Alles dies scheint wahr.

      Verfolgen wir die Lehre mit ihren eigenen Mitteln, so verliert sie bald genug ihre Zuversicht. Welche Kraft war es denn, die bei allen Erdumwälzungen die Geschöpfe emportrieb? Der Wille zum Leben? Er allein konnte nicht Flossen schaffen noch Flügel wachsen lassen, nicht reden und nicht denken lehren. War es das Blut? Das kam ja erst durch jenen geheimnisvollen Willen zu seiner Adelung; auch der Urahn des Ariers war ein düsteres Geschöpf, weit tiefer stehend als Mongole und Neger. War es der Boden? Nun, es stand jedem frei, diesen Boden zu besetzen; der Stärkste und Erleuchtetste hat ihn genommen. Also doch wieder Stärke und Blut? Dann mag ein Zufall diese Vorzüge gebildet haben.

      Genug dieser Argumente. Sie setzen voraus, was sie zu beweisen haben, daß Leib das erste, Geist das zweite ist, daß Materie Geist formt. Glauben wir, daß wir Geschöpfe des Fleisches sind, so mag wer will das Leben versüßen und beschmeicheln; dann ist das Ringen um Gott und unsre Seele eitel, und es haben die das Wort, die um des Nützlichen und des Nutzens willen da sind. Glauben wir aber, daß der Geist sich seinen Körper formt, daß der Wille nach oben die Welt emporträgt, daß der [58] Funke der Gottheit in uns lebt: dann ist der Mensch sein eigenes Werk, dann ist sein Schicksal sein eigenes Werk, dann ist seine Welt sein eigenes Werk. Dann ist das Seevolk nicht das von der See beschenkte, sondern das Volk, das die See wollte; dann ist das Volk der Bodenschätze nicht ein glücklicher Finder, sondern ein Eroberer; dann ist das Volk, das zur kulturtragenden Dichte gelangt, nicht eine heckende Horde, sondern ein Stamm, der Nachkommen will und ihnen ein Land bereitet; dann ist das edle Blut nicht ein Spiel der Natur, sondern ein Werk der Selbstzucht strebenden Geistes.

      Darum darf dennoch nicht die Gegenfrage gestellt werden: Warum sollen wir Formen und Güter des Lebens achten und pflegen, wenn nicht sie, sondern Stille und Betrachtung das Höchste schaffen? Das irdische Leben bedeutet die Formation und Waffe, die dem Geiste verliehen ist, darin er um sein Recht, Dasein und Künftiges kämpfen soll; ist er tauglich zum unsichtbaren Kampf, so soll er auch zum sichtbaren Kampf tauglich sein. Das edle Geschöpf schafft sich Schönheit, das gesunde schafft sich Glück, das starke Macht; nicht um dieser Güter selbst willen, sondern als irdisches Kleid seines geistigen Daseins; nicht strebend und gierend, sondern selbstlos und selbstverständlich. Und wie der Träger die Waffe beherrscht, so wirkt die Waffe zurück auf den Träger; das Volk, das die Kraft hatte, schön zu werden, findet in seiner Schönheit einen neuen Ansporn zum innern Adel. Freilich steht dem Armen und Verachteten die Pforte des Seelenreiches doppelt offen; aber sein Wille sie zu suchen wird beflügelt, wenn ein edles [59] Volk von seiner Kraft und Sehnsucht ihm mitteilt. Unter Reichen freiwillig arm zu sein ist schön und trägt evangelischen Sinn; im Bettlervolk ein Bettler bildet keinen Kontrast und kein spezifisch sittliches Verdienst. Der Einzelmensch ist Endzweck; in ihm endet die Reihe der sichtbaren Schöpfung und beginnt die Reihe der Seele; ist in ihm die Seelenkraft erwacht, so bedarf er nicht mehr der irdischen Vorzüge und Vorteile; Armut, Krankheit, Einsamkeit müssen ihm dienen und ihn segnen; das Volk aber ist seine Mutter, die ihn im Erdendasein überlebt, sie braucht Schönheit, Gesundheit und Kraft zum ewigen Werke des Gebärens. Hier löst sich der Widerspruch: Was heißt es, nichts für sich begehren und dennoch für den Nächsten sorgen, der doch auch seinerseits nichts begehren sollte? Der Nächste und der Fernste sind unser aller Mutter und Brüder zugleich; damit sie leben und zeugen, ist unser Einzelleben ein geringer Preis. Deshalb ist es nicht unwürdig noch materiell befangen, der Gemeinschaft die Güter


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