Das purpurne Tuch. Wolfgang Wiesmann

Das purpurne Tuch - Wolfgang Wiesmann


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gut machen. Und eigentlich war auch alles gut gewesen, aber seit der letzten Nacht hatte sich ein Gefühl gemeldet, das Kafur wichtiger machte als die Mission.

      III Die Sage

      Kafur hatte das Schiff sicher zur Mündung des Avon geführt. Sie waren flussaufwärts gefahren und seit drei Tagen gingen sie zu Fuß Richtung Stonehenge. Kafur hatte Carruso gestanden, noch nie dort gewesen zu sein. Er habe aber ein fabelhaftes Gedächtnis und könne sich die Erzählungen anderer Seefahrer gut merken, sodass sie den Weg nicht verfehlen würden.

      Sie kamen nur langsam voran, denn der alte Handelsweg, auf dem sie sich befanden, musste erst von heruntergefallenen Ästen und Strauchwerk befreit werden. Als Packtiere hatten sie nur zwei Esel mitgenommen. Kafur hatte empfohlen, ein kleines Schiff zu wählen, da er wusste, dass sie auf ihrer Reise einen Fluss befahren würden. Auch Pferde waren nicht erlaubt.

      Kafur und Carruso gingen voraus, allerdings hatte Assuman auf Sichtweite bestanden. Kafur nutzte die Gelegenheit, ungestört mit Carruso sprechen zu können.

      „Assuman glaubt, dass er dich den Göttern der Kelten opfert. Ich weiß hingegen eine andere Geschichte. Wir Kelten herrschten über viele große Gebiete, vielleicht so groß wie das einstige Reich der Karthager, bevor die Römer kamen. Dann, vor etwa einhundert Sommern, brachen immer mehr Stämme auf, um neues Land zu suchen. Wir hinterließen große Städte und wanderten an die Küsten der Meere. Dabei kamen wir auch nach Stonehenge, blieben aber nicht dort, sondern zogen noch weiter, bis das unendliche kalte Meer uns stoppte.“

      „Aber dann hat Stonehenge keine Bedeutung mehr und die Mission ist gescheitert. Kafur, was willst du mir sagen? Ich verliere meinen Glauben. Das tut weh. Er ist alles, was ich noch habe.“

      Kafur sah sie tröstend an.

      „Der Sage nach traten die Götter in dem Zirkel von Stonehenge in Erscheinung und nahmen die Toten mit in ihr Reich. Viele Stammesfürsten ließen sich nach ihrem Tod dort hinbringen, aber nicht immer kamen die Götter und holten sie ab, sodass dort ihr Leichnam beerdigt wurde, damit die Götter ihn zu anderer Zeit mitnehmen konnten. Stonehenge war eine Gottesstätte, ein Tor zu den Freuden eines Lebens, ein Leben ohne Schmerzen, ein Leben voller Wein und Liebe.“

      „Und die Kelten? Warum sind sie nicht geblieben?“

      „Wir haben ein Gespür für das Göttliche wie kein anderes Volk und lassen uns deswegen zu sehr von unserem Glauben leiten, statt nachzudenken. Und da wir gerne unter uns bleiben, lassen wir uns sogar vertreiben, so von den Germanen und den Römern. Stonehenge wäre unser Zentrum geworden, aber wir waren auf der Flucht und sind dann weiter an die Küsten von Albion und Hibernia gezogen“

      „Werde ich den Göttern begegnen?“

      „Sie werden dort sein!“

      „Du verlierst nicht viele Worte.“

      „Und du willst Dinge wissen, die niemand wissen kann.“

      „Dann sag mir, was du weißt!“

      Kafur blickte sich um. Die Männer, die ihnen folgten, waren weit genug entfernt. Flüstern fiel ihm schwer, denn er konnte seine Stimme nur zu einem Grad reduzieren, der für andere immer noch verständlich war.

      „Tu genau, wie dir befohlen. Denn alles, was im Zirkel der Steine gesprochen wird, dringt durch das Tor bis zu den Göttern vor und Ungehorsam wäre kein gutes Omen für dein Schicksal. Also folge jeder Anordnung und du wirst den Tod nicht spüren.“

      IV Purpurne Lippen

      Sie erreichten Stonehenge, ohne auf feindliche Stämme zu stoßen. Assuman hatte befohlen, Händlern ihr Gut abzukaufen, statt es gewaltsam zu nehmen. Einige Säcke mit Getreide hatten sie erworben, Lachse aus dem Avon gefischt und einen Hirsch erlegt. Sie schlugen ihr Lager außerhalb der mächtigen Steinformation auf. Die Stätte wirkte verlassen, besonders jetzt im Winter. Spärlicher Graswuchs umsäumte die Steine. Moos kroch hoch bis in die Spitzen der mächtigen Felsen.

      Carruso nahm Abschied von Kafur. Assuman hatte angeordnet, Kafur und Carruso in der Nacht vor der Opferung zu trennen und von jeweils zwei Männern bewachen zu lassen. Die Nacht verlief ohne Zwischenfälle, aber die meisten taten kein Auge zu, denn Kafur hatte mit seinem Gesang begonnen. Die ganze Nacht hindurch sang er für die Karthager fremde Laute, Worte erklangen, die sie nie zuvor gehört hatten, und der harte abgehackte Rhythmus der Verse trat ihre Nerven mit Füßen. Wäre da nicht das Heulen der umherstreunenden Wölfe gewesen, hätte man glauben können, Kafur sei ein wildes unbezähmbares Wesen aus den finsteren Gefilden der Verdammnis und beschwöre den Niedergang der Welt. Nach acht Stunden, als der Morgen graute, beendete Kafur seinen Gesang. Ermattet rührten sich die Ersten, erlöst von der musikalischen Tortur, und sahen sich nach Essbarem um.

      Assuman blickte hinauf zu einem blauen Himmel. Die Sonne war aufgegangen und kratzte mit ihren morgenroten Strahlen über die kargen Wipfel des fernen Laubwaldes. Beim Höchststand der Sonne sollte die Opferung vollzogen werden.

      Carruso wachte wie benommen auf. Kafurs Gesang hatte sie in Trance versetzt und ihre wilden Träume verfolgten sie bis zu diesem Moment, in dem sie ihre Augen öffnete und nach ihm suchte. Er war nicht zu sehen. Einen Augenblick dachte sie, Assuman hätte ihn umbringen lassen, aber wie hätte Kafur bis eben singen können? Ihre Wachen wurden abberufen. Zwei Männer kamen auf sie zu, verneigten sich zu ihrem Erstaunen und gaben ihr prächtiges Geschmeide und kunstvoll bestickte Gewänder.

      „Unser Herr Assuman möchte, dass du diesen Schmuck und diese Kleider anlegst. Pflege dein Haar und lass deine Haut scheinen, dass sie einem Gott würdig ist. Komm dann zu Assuman und empfange deine Botschaft.“

      Die Männer überließen ihr das Gepäck. Carruso hielt Ausschau nach Kafur. Er würde bei Assuman sein, um von ihm Instruktionen über die Art und Weise ihrer Tötung zu empfangen, doch sie sah ihn nicht und ging zu Assuman.

      „Wo ist Kafur?“

      „Ich gewährte ihm die Bitte, in Abgeschiedenheit sein Schwert schärfen zu dürfen.“

      Carruso sah in Assumans Augen, dass er sie auf ihre Gefühle testen wollte. Sie war klug genug, den Spieß umzudrehen.

      „So wird er auch sein Herz in Einklang bringen müssen mit der Tat, die dir, Assuman, Kinder schenken wird, Kinder, die selbst Rom ins Staunen versetzen werden.“

      Carruso schöpfte Kraft aus der Vision des Mutterglücks, das Kafur ihr versprochen hatte. Durch ihren Tod sollte eine andere Frau Kinder gebären, und diese Kinder sollten Kafurs Verheißung zufolge Rom und damit die Welt beeindrucken. Assuman stand erhabenen Hauptes vor ihr. Sie wollte sehen, ob in seinem Gesicht ein Zweifel an der Mission herauszulesen war. Absichtlich hatte sie Bedenken an Kafurs bedingungsloser Loyalität ins Spiel gebracht, indem sie angedeutet hatte, dass er auch sein Herz auf die Opferung einzustimmen habe.

      Assuman lächelte selbstzufrieden.

      „Du hast weise gesprochen. Kinder, vor denen Rom Respekt hat, können nur Kinder Hannibals sein, denn er war der einzige Feldherr, der es geschafft hat, Rom in Angst und Schrecken zu versetzen.“

      Assuman umarmte Carruso.

      „Ich habe eine so gescheite Frau erwählt. Das werden die Götter mir lohnen. Gewiss ist ihnen deine Ankunft bereits bekannt. So gehe nun und kehre zurück im Liebreiz deiner Schönheit.“

      Carruso nahm ihre Kleider, ließ sich einen Eimer mit Wasser bringen und zog sich hinter nahegelegene Sträucher zurück. Dort wusch sie sich am ganzen Körper und bekleidete sich mit erlesenen Gewändern, legte den Schmuck an und trug rosenrotes Puder auf ihre Wangen auf. Ihr Haar formte sie zu Locken und ihre Hände rieb sie mit Kokosnussöl ein. Zuletzt bestrich sie ihre Lippen mit purpurnem Balsam. Als sie fertig war und sich im Spiegel des verbleibenden Wassers ansah, flossen Tränen, die ihr Spiegelbild verzerrten. Sie sah auf, wischte sich die Wangen trocken und kaschierte die Stellen mit einer neuen Lage Puder. Ein tiefer Schrecken durchfuhr sie, als sie plötzlich sah, dass Kafur, der


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