Reformierte Theologie weltweit. Группа авторов
Zeit gegeben haben. Die skizzierten theologischen Profile zeigen die Bedeutung des weltweiten Reformiertentums für Theologie, Kirche und Gesellschaft im 20. Jahrhundert.
Der vorliegende Band geht zurück auf ein im Frühjahrssemester 2011 an der Universität Bern im wöchentlichen Rhythmus (montags jeweils von 18.00–20.00 Uhr) angebotenes Vertiefungsseminar. Diese Veranstaltung traf auf ein grosses Interesse bei den Studierenden sowie Berner Pfarrerinnen und Pfarrern. Die methodische und thematische Anlage der Veranstaltung sah wie folgt aus: In jeder Sitzung haben Expertinnen und Experten jeweils das Porträt einer reformierten Theologin bzw. eines reformierten Theologen präsentiert, die/der sich der Frage nach der reformierten Identität angesichts der besonderen Herausforderungen ihrer/seiner Zeit in profilierter Weise gestellt hat. Nach jedem Referat erfolgte eine Besprechung, die dessen jeweiligen thematischen «Brennpunkt» zum Gegenstand hatte. Auf jedes Thema bereiteten sich die Studierenden im Vorfeld anhand von Texten (zumeist Quellentexten), welche die Referentinnen und Referenten zur Verfügung stellten, gezielt und unter Bildung von «Expertenteams» vor. Sämtliche Referate sind in einer erweiterten und überarbeiteten Fassung in diesem Buch vereint. Das grosse Engagement aller an dieser Veranstaltung beteiligen Personen, insbesondere das der Studierenden, hat uns dazu ermutigt, diesen Band zu publizieren.
Wir danken für vielfältige Anregungen, die wir insbesondere von den Professorinnen und Professoren Christine Lienemann-Perrin (Bern), Darrell Guder (Princeton), Frank Mathwig (Bern), Jürgen Moltmann (Tübingen) |8| und Georg Plasger (Siegen) erfahren haben. Im Blick auf die organisatorische Durchführung des Seminars danken wir sehr für die Unterstützung durch unseren Berner Institutsdirektor, Prof. Dr. Thorsten Meireis, und die studentische Hilfskraft des Instituts, Frau Martina Häsler. Frau Raphaela Meyer zu Hörste und Herr Jens Heckmann haben uns bei den Korrekturen in verdienstvoller Weise unterstützt. In finanzieller Hinsicht wurde das Projekt ermöglicht durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Für namhafte Druckkostenzuschüsse danken wir fernerhin der Reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, dem Synodalrat der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und der Schweizerischen Reformationsstiftung, für geduldige verlegerische Betreuung Frau Lisa Briner vom Verlag TVZ.
Ein herzlicher Gruss geht mit diesem Band nach Göttingen zu Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Eberhard Busch, der dort soeben seinen 75. Geburtstag feiern durfte und der sich um das mit diesem Band verfolgte Anliegen wie kaum ein zweiter verdient gemacht hat.1
Bern und Hannover,
im September 2012
Marco Hofheinz/Matthias Zeindler
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Was heisst eigentlich «reformiert»?
Einleitende Bemerkungen zur Frage nach der reformierten Identität und dem vorliegenden Buchprojekt
Marco Hofheinz/Matthias Zeindler
Die Frage nach der reformierten Identität ist virulent – auch und nicht zuletzt in der Schweiz. Aus den unterschiedlichsten Gründen tun sich viele äusserst schwer mit konfessioneller Identität:1 Sei es aus allgemeiner religiöser Indifferenz; sei es, dass sie reformierte Identität mit der jeweils eigenen vorfindlichen Kirchlichkeit gleichsetzen; sei es, dass sie konfessionelle Identität mit konfessioneller Spaltung2 und provinzialistischer Kleingeisterei identifizieren und sie als eine Art Hemmschuh von Ökumene,3 interkonfessioneller und interreligiöser Begegnung erachten;4 sei es, dass sie ein klares Profil und scharfe Konturen vermissen, da sich das Reformiertentum – anders als etwa das Luthertum oder der Katholizismus – nicht durch den Bezug auf einen Bekenntniskanon wie das Konkordienbuch (1580) oder den Verweis auf den höchsten Würdenträger im Vatikan bildet. Es wäre ignorant, wollten Theologie und Kirche den Befund bezweifeln, dass viele Menschen – bis in die Kreise der kirchentreuen |10| Gemeindeglieder und der Theologiestudierenden hinein – nicht wissen, warum sie reformiert sind, bzw. was es überhaupt bedeutet, reformiert zu sein. Eine zutreffende Definition des Wesens des Reformiertentums und seiner Erscheinungsweisen bereitet grosse Schwierigkeiten.5 Dementsprechend schiessen viele Vorurteile im Blick auf das Reformiertentum ins Kraut.6 Man wird dies nicht verübeln dürfen, zumal sich diese Frage nicht eilfertig durch (historisierende) Verweise auf das historische Erbe und auch nicht aus der empirischen Erhebung eines Ist-Zustandes beantworten lässt.
Nun ist es keineswegs so, dass die Frage nach der reformierten Identität eine völlig neue Frage darstellt,7 sondern vielmehr eine Frage, die bereits seit dem sogenannten konfessionellen Zeitalter8 virulent ist und auch in den verschiedenen theologischen und gesellschaftlichen Kontexten des 20. Jahrhunderts brisant wurde und zu neuen Antwortversuchen nötigte.9 So stellte etwa der Theologe Wilhelm Niesel in seiner vielbeachteten Schrift «Was heisst reformiert?»10 angesichts der Herausforderungen der |11| beginnenden nationalsozialistischen Herrschaft explizit diese Frage. Wenn man so will, zieht sich diese Frage wie ein roter Faden durch das gesamte 20. Jahrhundert und durch die verschiedenen Kontexte, in denen jeweils neu theologisch explorierte und geschichtlich, kulturell und gesellschaftlich vermittelte Antworten auf diese Frage gegeben wurden. Der vorliegende Band möchte diesen Antworten nachgehen und sie gleichsam in ihrem jeweiligen Kontext im 20. Jahrhundert aufsuchen.
Dies ist deshalb nötig, weil die Frage nach der konfessionellen Identität nicht unabhängig vom gesellschaftlichen Kontext gestellt werden kann, in dem sich die jeweilige Identität ausprägt(e). Reformierte Identität bildet sich im Oszillieren zwischen aktuellen, situativ im jeweiligen Kontext wahrgenommenen Herausforderungen, traditionellen Bindungen durch Kultur, Gesellschaft, konfessionelle Prägung und den lebendigen Bezügen auf die normativ vorgeordnete Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments.11 Reformierte Identität entsteht in dieser spezifischen Wechselwirkung, gleichsam im spannungsreichen Wechselverhältnis von Text und Kontext,12 die als Begründungs- und Entdeckungszusammenhang13 theologischer Erkenntnisse und Einsichten fungieren. Wer über die Identität reflektiert, ohne dabei den Kontext, in dem sie gebildet wird, zu berücksichtigen, gelangt unvermeidlich zu einem reduktiven, weil gleichsam «ortlosen» Begriff von Identität und damit häufig zu gravierenden Missverständnissen |12| über sich selbst. Hingegen ist für die Identität die Einbindung in den Kontext von konstitutiver Bedeutung.14 Diese Einsicht bildet die hermeneutische Grundlage des vorliegenden Bandes.
Da das Reformiertentum, genauer: die reformierte Konfessionsfamilie15 ein auf verschiedene Länder – wie etwa Südkorea, Südafrika, die USA und die Niederlande – bezogenes globales Phänomen darstellt,16 darf es nicht ausbleiben, die unterschiedlichen Kontexte auf verschiedenen Kontinenten aufzusuchen. Dies ist auch aus einem weiteren Grund unumgänglich, auf den Alasdair I.C. Heron aufmerksam macht:
«Schon der Begriff ‹reformiert› – wie etwa in ‹reformierte Kirche› oder ‹reformierte Theologie› – ist mehrdeutig, je nach dem, in welchem Zusammenhang bzw. von wem er verwendet wird. […] Die Assoziationen und Resonanzen des Wortes ‹reformiert› haben die Eigenart, in verschiedenen Kontexten verschiedene Schwingungen zu erzeugen.»17
Die Pluralität der Kontexte ist bereits charakteristisch für die Entstehung der nach Gottes Wort reformierten Kirchen,18 insofern jene «ein plurales |13| Ereignis»19 war. Das hat damit zu tun, «dass reformierte Gemeinden in heilsamer Weise gezwungen waren, ihren Glauben in Annäherung und Widerstand kontextuell zu bekennen und zu gestalten».20
Indes gilt dies nicht nur für die Genese, sondern auch die gegenwärtige Gestalt der reformierten Kirchen – einschliesslich ihrer jeweiligen Bekenntnistradition und Denkbewegungen: Es geht im reformierten Protestantismus
«immer um Bekenntnis, Kirche, Gottesdienstgestaltung und Theologie im Plural. Diese weltweite Pluralität in den kirchlichen Gestaltungsformen und theologischen Denkbewegungen kann geradezu als ein Wesensmerkmal des reformierten Protestantismus betrachtet werden».21
Ein Einheitsbekenntnis22 ist dem reformierten Protestantismus