Miryams Geheimnis. Ruth Gogoll

Miryams Geheimnis - Ruth Gogoll


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      Ruth Gogoll

      MIRYAMS GEHEIMNIS

      Roman

      © 2021

       édition el!es

      www.elles.de [email protected]

      Alle Rechte vorbehalten.

      ISBN 978-3-95609-333-3

      Coverfoto:

       iStock.com/oversnap

      1

      Ella erwachte und stöhnte. Ihr Kopf schmerzte, als hätte sie ein Bulldozer überfahren.

      Mühsam versuchte sie, die Augen zu öffnen. Grelles Licht traf sie, und noch mehr stöhnend schloss sie sie wieder.

      »Ach, das ist gut. Sie sind wach.«

      Diesmal öffnete Ella vorsichtig nur ein Auge zu einem Schlitz.

      Eine fremde Frau stand mit einem Pappkaffeebecher in der Hand vor ihrem Bett.

      Bett? Sie lag im Bett? War sie nicht eben noch auf der Straße gewesen? Im Regen? Bei Gewitter?

      Sie öffnete auch das zweite Auge zu einem Schlitz. »Wer . . . Wo . . .?« Sie stöhnte erneut. »Was ist passiert?«

      »Kann ich nicht sagen. Ich habe Sie im Straßengraben gefunden.« Die Frau lächelte sie an. »Da ich nicht warten wollte, bis eine Ambulanz kommt, habe ich Sie ins Krankenhaus gebracht.« Sie trank einen Schluck und schaute dann auf ihre Uhr. »Jetzt muss ich aber los. Ich war eigentlich auf dem Weg zu einem Termin.« Während sie Ella zuwinkte, drehte sie sich um, warf im Hinausgehen ihren Kaffeebecher in den Papierkorb und war verschwunden.

      Ella hätte gern den Kopf geschüttelt, denn das alles erschien ihr mehr wie eine Vision denn wie die Wirklichkeit, aber als sie es versuchte, grub sich der Schmerz dermaßen in ihre Schläfen, dass sie sofort wieder erstarrte.

      Kurz darauf betrat eine Krankenschwester ihr Zimmer. »Wie geht es uns denn?«

      Waren Krankenschwestern nicht herzig? dachte Ella sarkastisch. Immer teilten sie das Leid ihrer Patienten.

      »Was ist passiert?«, fragte sie zurück. »Ich kann mich an nichts erinnern.«

      »Offenbar hat jemand Sie von der Straße abgedrängt. Sind Sie tatsächlich bei diesem Wetter Motorroller gefahren?«

      Das klang so, als wäre Ella selbst schuld. Sie hätte ein Auto nehmen sollen.

      »Ich habe leider nichts anderes«, sagte Ella und verzog die Lippen. Das ging halbwegs, anscheinend war sie dort nicht verletzt. Sie hatte ja auch einen Helm getragen. »Und irgendwie muss ich schließlich von einem Ort zum anderen kommen.«

      Die Schwester legte ihr eine Blutdruckmanschette an und stülpte ein anderes Messgerät über ihren Finger. »Also ein Roller . . .« Anscheinend kam sie immer noch nicht darüber hinweg. »Da würde ich lieber den Bus nehmen. Und dann noch bei Regen und Gewitter. Ein Blitz hätte Sie treffen können.«

      Ella seufzte. »Fragt sich, was schlimmer ist.«

      Auf einmal erinnerte sie sich: Sie hatte eine Art Vorahnung gehabt. Irgendein Wagen war ihr gefolgt, immer näher gekommen, sie hatte die Scheinwerfer in ihren Rückspiegeln gesehen, sie hatten sie geblendet. Die Regentropfen und die Dunkelheit hatten noch mehr zu ihrer Unsicherheit beigetragen. Deshalb war sie ein wenig an den Straßenrand ausgewichen, und das war offensichtlich ein Fehler gewesen.

      Normalerweise fuhr sie mit Absicht in der Mitte der Spur oder so weit wie möglich zur Straßenmitte hin, denn Autofahrer waren Zweiradfahrern gegenüber leider selten rücksichtsvoll. Sie quetschten sich mit wenigen Zentimetern Abstand an ihrem Roller vorbei, und schon des Öfteren hätte sie ihnen dabei gern die Scheibe eingeschlagen.

      Bis jetzt hatte sie einen Unfall immer vermeiden können, aber diesmal hatte das Schicksal sie erwischt. Glücklicherweise war diese Frau vorbeigekommen . . .

      Sie versuchte, sich stirnrunzelnd an das Gesicht zu erinnern, und zuckte erneut zusammen, weil ihr Kopf auf einmal wie mit Nadeln gespickt erschien.

      »So«, sagte die Schwester in diesem Augenblick und zog den Clip von Ellas Finger, »das war’s. Noch etwas erhöht, aber das ist normal.«

      Ella wollte leicht den Arm anheben, um ihr das Abnehmen der Blutdruckmanschette zu erleichtern, aber da folterte sie ein weiterer Schmerz. Sie gab einen gequälten Laut von sich.

      »Tja, das Schlüsselbein ist gebrochen«, verkündete die Schwester augenscheinlich vergnügt. »Den Arm werden Sie eine Weile nicht bewegen können.« Sie hob die Bettdecke an. »Und den Fuß auch nicht.«

      Entsetzt starrte Ella auf ihren fest einbandagierten Knöchel. Erst jetzt nahm sie richtig wahr, dass sie eine Art Schlinge um den Hals trug, in der ihr Arm fixiert war.

      Oh Gott! Es war nur ein innerer Aufschrei, denn ihre Lippen waren vor Bestürzung versiegelt. »Was . . . Wie . . . Wie lange . . .?«, stammelte sie, als die Schwester schon wieder auf dem Weg nach draußen war.

      »Na, so zwei, drei Monate müssen Sie schon rechnen. Besonders für den Knöchel«, teilte ihr die Schwester ungerührt mit. »Aber das kann Ihnen der Arzt genauer sagen.« Und schon war sie verschwunden.

      Ella blieb allein zurück und musste sich erst einmal sammeln. Zwei oder sogar drei Monate konnte sie nicht arbeiten? Sie hatte mehrere kleine Jobs, die – nun ja – nicht mit dem Luxus einer Versicherung verbunden waren, und sie brauchte das Geld. Sie hatte keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, da sie ihr Studium abgebrochen und noch nie versicherungspflichtig gearbeitet hatte.

      Bisher hatte sie keinerlei Hilfe vom Staat nötig gehabt, sie hatte sich ihren Lebensunterhalt immer selbst verdienen können. Zwar stellten viele Unternehmen keine neuen Leute fest ein, aber nicht feste Jobs ohne Sozialabgaben für den Arbeitgeber gab es genug.

      Leichte Panik ergriff sie. Wie lange war sie schon hier? Inka . . .

      Ihre Augen schweiften hektisch über den fahrbaren Tisch neben ihrem Bett. War da vielleicht ihr Handy drin? Dann konnte sie ihre Nachbarin anrufen –

      Als Nächstes entrang sich wieder ein lautes Stöhnen ihren Lippen. Der Nachttisch stand rechts, auf der Seite, auf der sie sich das Schlüsselbein gebrochen hatte. Sie konnte ihn nicht erreichen, da sie weder den Arm heben noch die Schulter drehen konnte.

      Sie versuchte, sich aufzurichten und den linken Arm zu benutzen, aber auch das war unmöglich. Schwer keuchend sank sie ins Kissen zurück. Der Knopf, um die Schwester zu rufen, war ebenfalls rechts am Bett befestigt. Sehr schlau.

      Eine Uhr schien es hier im Zimmer nicht zu geben. Ihre Armbanduhr war von ihrem Handgelenk verschwunden, vielleicht durch den Unfall kaputtgegangen. Ihre Gedanken stolperten hektisch durch ihren Kopf.

      Aber nein, so lange konnte sie noch nicht hier sein. Die Frau, die sie hergebracht hatte, hatte gesagt, sie wäre auf dem Weg zu einem Termin gewesen. Und offenbar konnte sie den noch wahrnehmen.

      Ihr rasender Herzschlag beruhigte sich ein wenig. Auch hatte sie das Gefühl, sie wurde schläfrig. War das vielleicht der Tropf, der an ihrem Arm hing?

      Mit aller Gewalt versuchte sie gegen die Müdigkeit anzukämpfen, riss immer wieder die Augen auf, auch wenn das Licht wie ein Messer durch ihre Kopfhaut stach.

      Warum musste es in Krankenzimmern nur so hell sein?

      2

      Sinnend saß Miryam an ihrem Schreibtisch. Aber sie sann nicht über ihren Beruf nach, über die Pläne, die vor ihr auf dem Bildschirm prangten.

      Was ungewöhnlich war. Denn wenn sie sich in ihrem Büro aufhielt, beschäftigte sie sich normalerweise ausschließlich damit. Sie trennte Beruf und Privates, soweit es möglich war.

      Heute jedoch ging ihr einfach nicht mehr aus dem Sinn, was gestern passiert war. Es war früh, ihre Mitarbeiter waren noch nicht da, also konnte sie


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