Miryams Geheimnis. Ruth Gogoll

Miryams Geheimnis - Ruth Gogoll


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was hätten Sie dann getan? Sie einfach im Straßengraben liegen lassen?«, fragte da eine Stimme von der Tür her.

      »Nein, natürlich nicht.« Jetzt war die Angestellte des Krankenhauses noch mehr verärgert. »Wir leisten auf jeden Fall Erste Hilfe. Dazu sind wir verpflichtet.«

      »Aha«, sagte Miryam. »Aber zu mehr nicht. Ist das richtig?«

      Der Feldwebel schien überfordert.

      »Auf jeden Fall brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, wer dafür die Rechnung bezahlt«, fuhr Miryam ganz geschäftsmäßig fort. »Ich bürge dafür.« Sie zog eine Visitenkarte aus der Tasche und hielt sie der Verwaltungsangestellten hin. »Hier sind meine Daten. Die können Sie jetzt gleich in Ihre Unterlagen aufnehmen, damit sie . . . vollständig sind.«

      Schon vorher war die Schreibtischstute überfordert gewesen, jetzt sah man es ihr noch deutlicher an. »Sind Sie mit Frau Cziebinsky verwandt, Frau . . .«, sie blickte auf die Visitenkarte und las den Namen, »Marhold?«, fragte sie völlig verdattert.

      »Geht Sie das etwas an?«, fragte Miryam leicht süffisant zurück. »Ihnen geht es doch nur darum, dass Sie Ihr Geld bekommen. Und das werden Sie. Darauf können Sie sich verlassen.« Sie wies mit dem Kopf zur Tür. »Würden Sie jetzt bitte gehen? Ich glaube, hier ist für Sie alles erledigt.«

      Einen Augenblick zögerte die Angestellte noch, als ob Sie sich nicht entscheiden könnte, ob sie Miryam glauben sollte oder nicht, doch dann griff sie nach der Visitenkarte, klemmte sie auf ihr Brett, drehte sich um und verließ das Zimmer.

      »Das können Sie nicht tun«, protestierte Ella schon, als die Frau im dunklen Kostüm noch nicht einmal ganz aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Zuvor war ihr das vor lauter Erstaunen über Miryams Verhalten gar nicht möglich gewesen. Es hatte sie völlig auf dem falschen Fuß erwischt, so sehr hatte es sie überrascht. So etwas hatte sie noch nie erlebt. »Ich kann die Rechnung nicht bezahlen, und das heißt, Sie müssten sie bezahlen. Das geht nicht.«

      »Warum sollte das nicht gehen?« Miryam legte ihre durchsetzungsfähige Oberfläche nicht ab, aber sie versüßte sie mit einem leichten Lächeln. »Es ist doch nur Geld. Geld ist nicht wichtig.«

      Etliche Sekunden lang starrte Ella sie entgeistert an. »Wenn man es hat«, brachte sie dann etwas überrumpelt hervor. »Sonst kann es auf einmal sehr wichtig werden. Wenn man zum Beispiel einen Unfall hat, mit dem man nicht gerechnet hatte.«

      »Übrigens: Inka geht es gut«, erklärte Miryam beiläufig, als ob sie gar nicht gehört hätte, was Ella gesagt hatte. Zumindest wollte sie offensichtlich nicht darauf eingehen. »Nur zu Ihrer Beruhigung. Ihre Nachbarin hatte sich tatsächlich schon um sie gekümmert, bevor ich kam. Sie hat für alles gesorgt, und sie ist jetzt auch bei ihr.«

      Sofort vergaß Ella alles, was sie zuvor vielleicht bedrückt haben mochte. Ein großer erleichterter Seufzer entrang sich ihrer Brust. »Das ist gut. Danke.«

      Abwehrend hob Miryam die Hände. »Ich habe nichts getan. Ihre Nachbarin verdient den Dank. Sie ist eine sehr nette Frau, wie mir scheint.«

      »Ja, das ist sie.« Ella lächelte. »Sie redet mir immer zu, dass ich mir endlich einen festen Job mit Versicherung und allem besorgen soll. Sie ist wie eine Mutter zu mir.« Mit gerunzelter Stirn hob Ella die Augenbrauen. »Vielleicht hätte ich mal auf sie hören sollen. Aber das ist gar nicht so leicht.«

      »Auf jemanden zu hören?«, fragte Miryam anscheinend verwundert.

      »Einen versicherungspflichtigen Job zu finden, wenn man keine richtige Ausbildung hat«, erklärte Ella.

      »Sie haben keine Ausbildung?« Das überraschte Miryam sichtlich.

      »Ein abgebrochenes Studium«, sagte Ella. »Das zählt glaube ich nicht.«

      »Dann nehmen Sie das Studium doch einfach wieder auf.« Für Miryam schien das die logische Folge zu sein.

      »Einfach«, wiederholte Ella seufzend. »Wenn das so einfach wäre. Auch für ein Studium muss man Geld haben. Meinen Lebensunterhalt muss ich weiterhin verdienen. Und dazu noch in die Uni gehen. Was die Möglichkeit, Jobs zu finden, noch weiter einschränkt. Das kann ich mir nicht leisten. Entweder ich arbeite und kann meine Miete und mein Essen bezahlen – und das für Inka – oder ich studiere und kann gar nichts bezahlen. Was würden Sie da wählen?«

      »Immer das, was auf lange Sicht sinnvoller ist«, sagte Miryam. »Und das wäre eindeutig ein Studium. Ein abgeschlossenes Studium. Oder eine abgeschlossene Ausbildung.«

      »Sicherlich.« Dem konnte Ella vernünftigerweise nur zustimmen. Im Grunde genommen dachte sie ja dasselbe. »Aber es ist nicht so leicht, wieder reinzukommen, wenn man erst einmal aufgehört hat. Das habe ich schon versucht.«

      »Sie haben es versucht?«

      »Ja.« Ella nickte. »Aber da konnte ich schon nach kurzer Zeit meine Miete nicht mehr bezahlen. Also ging es einfach nicht mehr.«

      »Ihre Eltern haben keine Möglichkeit, Sie zu unterstützen?« Fragend hob Miryam die Augenbrauen.

      »Meine Eltern . . .«, Ella schluckte, »sind tot. Das heißt, meine Mutter. Wo mein Vater ist, weiß ich nicht. Er hat uns . . . schon vor langer Zeit verlassen.« Sie zuckte die Schultern oder jedenfalls eine Schulter, weil die andere nicht mitmachte. »Deshalb wollte meine Mutter immer, dass ich studiere. Damit ich auf eigenen Füßen stehen kann. Das war für sie nämlich sehr schwer, nachdem mein Vater fort war. Weil sie keine Ausbildung hatte.«

      »Aber solange Ihr Vater da war, hat er Ihre Mutter versorgt.« Miryam runzelte die Stirn. »Das ist natürlich auch eine Möglichkeit.«

      Ungläubig lachte Ella auf. »Sie meinen, ich sollte mir jetzt irgendjemanden suchen, der für meinen Lebensunterhalt sorgt? Weil ich das nicht selbst kann?«

      »Im Moment sind Sie ja im Krankenhaus«, entgegnete Miryam mit der ihr anscheinend eigenen unwiderlegbaren Logik. »Da werden Sie versorgt.«

      Ella seufzte. »Ewig werden die mich wohl nicht hierbehalten. Vor allen Dingen jetzt, wo sie wissen, dass ich meine Rechnung nicht bezahlen kann.«

      »Sie haben doch gesehen, dass das für den Moment erledigt ist«, gab Miryam fast gelangweilt zurück, während sie anscheinend über etwas anderes nachdachte und ziellos in die Gegend schaute.

      »Ich kann sowieso nicht hierbleiben. Wegen Inka.« Besorgt schüttelte Ella den Kopf. »Meine Nachbarin kann sie nicht dauerhaft versorgen. Sie muss auch arbeiten. Und hier ins Krankenhaus kann ich keinen Hund holen.« Sie blickte auf den Rufknopf an ihrem Bett. »Am besten, ich sage denen hier gleich, dass sie mich entlassen sollen. Ich muss nach Hause. Mir bleibt gar nichts anderes übrig.« Sie versuchte, sich im Bett hochzuziehen, wurde jedoch durch den Schmerz daran gehindert, sodass ihr Gesicht sich ganz von selbst in gequälte Falten legte.

      »Das hat doch keinen Sinn so«, sagte Miryam, deren Aufmerksamkeit wieder zu Ella zurückgekehrt war. »Sie kommen einfach mit zu mir. Da können Sie auch Ihren Hund mitbringen.«

      Ella wäre auf einmal plötzlich fast die Kinnlade heruntergefallen, die sie eben noch vor Schmerz verkrampft an ihren Oberkiefer gepresst hatte. »Zu . . . Ihnen . . .?«, stammelte sie entgeistert.

      »Warum nicht?« Beinah gleichgültig zuckte Miryam die Schultern. »Ich habe ein großes Haus. Da ist Platz genug. Und außer mir lebt da nur noch meine Schwester. Die in Ihrem Alter ist.«

      Das alles überrumpelte Ella jetzt etwas zu sehr. Sie war für ein paar Sekunden sprachlos. »Das geht nicht«, erwiderte sie dann entschieden.

      »So wie es nicht geht, dass ich die Rechnung für Sie hier im Krankenhaus bezahle?« Miryam lächelte sie auf eine fast mütterliche Art an. Dann hob sie eine Hand. »Sehen Sie es doch einmal so. Jeden Tag weniger, den Sie hier im Krankenhaus sind, müssen Sie nicht bezahlen. Sie sparen also Geld, das Sie mir dann auch nicht zurückzahlen müssen.«

      »Der Aufenthalt bei Ihnen wäre kostenlos?« Mit zusammengepressten Lippen schüttelte Ella erneut den Kopf. »Das geht schon mal gar nicht.«


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