Mit dem Rücken zur Wand. Arthur Koestler
man sie, als einfache Notlösung, mit einer dicken Schicht Schlamm eingeschmiert. So sind sie farblich von dem gleichen schmutzigen Khaki wie die Hemden und Hosen der Soldaten. Und wieder der Eindruck monotoner Effizienz; den Juden fehlte schon immer ein Sinn für Farbe. In Palästina sorgten die Araber für die Farbe, aber die Araber sind fort. Die Souks in Haifa sind verlassen, die Basare geplündert, die Häuser verschlossen. Die Kamele und die Esel, die Wasserpfeifen und die Schuhputzerjungen, diese schwere Duftwolke orientalischer Gewürze, die durch die Souks strömte – alles fort. Die Lehmhütten in den Armenvierteln entlang der Küstenstraße wurden gesprengt, ihre Bewohner sind weggezogen. Ein neuer Exodus, doch mit der gleichen Verwüstung.
Lastwagen auf Lastwagen mit singenden, johlenden Soldaten. Einige Laster sind mit einer Art selbstgemachter Panzerung umkleidet, andere Fahrzeuge sollen Panzer vortäuschen. Die meisten Soldaten haben keine Gewehre oder Tornister. Dies alles erinnert an die Straße von Valencia nach Madrid im Jahr 1936: überall die Zeichen von Dilettantismus, Durcheinander und enthusiastische Improvisation.
Die Soldaten sind alle jung, braun gebrannt und allerbester Laune. Genau wie die spanischen Milizionäre, die serbische Guerilla, die Soldaten der Französischen Revolution. Nur unkonventionelle Revolutionsarmeen kennen diesen Gefühlsüberschwang. Sie kämpfen wie die Teufel, und wenn sie in Panik geraten, laufen sie wie die Affen. Sie sind nicht abgestumpft wie die Soldaten regulärer Armeen, denen Nörgeleien als Ausdruck von Selbstachtung und Zeichen von Zuverlässigkeit gelten. Und wenn es so etwas wie einen gerechten Krieg überhaupt geben kann, dann ist dieser Krieg Israels ein gerechter Krieg.
Der Haken bei allen Kriegen ist allerdings, dass die Erscheinungen, welche sie hervorbringen, nur sehr mittelbar mit der ursprünglichen Absicht oder dem Anlass verknüpft sind. Diejenigen, die ihn tatsächlich führen, denken nicht in Begriffen wie «Demokratie», «nationales Selbstbestimmungsrecht», «spanische Thronfolge» oder «Abschaffung der Sklaverei». Sie singen, grölen und träumen von ihren Lieblingsspeisen, masturbieren und zählen ihre Läuse. Sie sind hart und sentimental, vergnügt und melancholisch, selbstsüchtig und uneigennützig, alles nach demselben schäbigen, vorgefertigten Muster. Sie hassen den Feind nicht, aber sie lieben es, die Möbel in den requirierten Unterkünften zu zertrümmern und ein Höchstmaß an Schmutz zurückzulassen, so wie Kinder in unbewusstem Protest gegen elterliche Verbote Dreck auf die Tapete schmieren. Alle Armeen sind Brutstätten regelrechter Seuchen des Infantilismus. Im Krieg ist es nicht der Aspekt des Tötens, der das gesamte Militär, unabhängig vom Anlass der Kämpfe, in eine unreife, deprimierende Erscheinung verwandelt. Vielmehr ist es die unvermeidliche Erniedrigung, die erzwungene Reduzierung der intellektuellen Reife, die so etwas hervorbringt.
Das abstoßende Heldentum an der Heimatfront ist noch schlimmer: der alte Nörgler, der sich als Luftschutzwart aufplustert, das verlogene Plakat mit der Aufschrift «Es kommt auf dich an», die Verkürzung unserer Frontlinien und die Verlängerung der feindlichen Nachschublinien, Churchills Zigarre und Hitlers Haarlocke, Totemmaske und Tabuschild, das Zeitalter der Pfadfinder, der Triumph des Schwachsinns.
Die abrupten Veränderungen der Landschaft entlang dieser Küstenstraße, von Wüstendünen zu Orangenhainen und wieder zur Wüste, haben mich stets fasziniert. 1926, als ich mich zum ersten Mal auf den Weg von Haifa nach Tel Aviv machte, gab es hier keine Straße, und der größte Teil des Landes war Wildnis. Zu der Zeit brauchte der Zug etwa fünf Stunden für eine Strecke von gut hundert Kilometern, und wenn man mit dem Auto unterwegs war, musste man einen langen Umweg landeinwärts über die Hügel von Samaria nehmen. Dieses Dilemma blieb mir damals erspart, da ich nicht einen Penny besaß und die Küste zu Fuß hinunterwanderte. Ich ging ganz gemächlich, mied die eher berüchtigten arabischen Dörfer und bekam in jüdischen Siedlungen eine Mahlzeit und einen freien Schlafplatz. Handelte es sich bei der Siedlung um ein Kollektiv, konnte ich sogar die tägliche Zigarettenration beanspruchen. Bis heute gewähren die landwirtschaftlichen Kollektive Besuchern freie Unterkunft und Verpflegung. Jetzt reisen die Leute allerdings mit Autos oder Bussen, während es vor zwanzig Jahren kaum Straßen gab, noch weniger Autos und keine Hotels oder Rasthäuser außerhalb der Städte. Trampen war ein Nationalsport und das ganze Land eine einzige große Familie.
Wer in seiner Jugend solche Erfahrungen beim Trampen gemacht hat, dem bleibt einerseits eine nostalgische Stimmung, andererseits ist man auch stolz auf die Gegend oder das Land, das man bereist hat. 1926 gab es nur ungefähr ein Dutzend Siedlungen in der Küstenebene zwischen Haifa und Tel Aviv, und der größte Teil der Ebene bestand aus Sanddünen, Wüste und Sümpfen. Heute bilden die Siedlungen eine lückenlose Kette, und die Landstraße führt an einem grünen Teppich künstlich bewässerten Kulturlandes vorbei, in dem nur gelegentlich ein Flecken Sand unversehens an die Vergangenheit gemahnt. Und jedes Mal, wenn wir an solchen Wüstenflecken vorbeikamen, befiel mich dieses alberne Gefühl des Besitzerstolzes, den man empfindet, wenn man einem Touristen seine Heimatstadt zeigt. Bewohner, die die rasante Entwicklung ihres jungen Pionierlandes mit eigenen Augen verfolgt haben, neigen in besonderer Weise dazu. Selbst der New Yorker Intellektuelle kann, wenn er Besucher herumführt, nicht umhin, den Eindruck zu erwecken, er habe das Empire State Building mit eigenen Händen erbaut. Kein Wunder also, dass der Bürger Israels, dessen persönlicher Anteil an dem, was hier entstand, doch ungleich größer ist und für den der Bau eigener Städte wahrlich ein historisches Novum darstellt, immer noch wie berauscht ist vom Stolz über jeden Hektar kultivierter Wüste, über jede Kuh, die darauf grast, und jede Tomate, die darauf wächst. Für seine Vorfahren im Ghetto galt eine Kuh als wildes Tier, und eine Tomate war eine Ware, die wie durch ein Wunder im Lebensmittelladen auftauchte.
Zusammengehalten durch eine Religion aus grauer Vorzeit, haben Juden seit Jahrhunderten vertrauten Umgang mit dem Übernatürlichen gepflegt, und darüber war ihnen die Natur fremd geworden. Daher ihre naive Begeisterung für jüdische Kühe und jüdische Wiesen, jüdische Tomaten und jüdische Eier. Sie bestaunen das Küken, welches, kaum geschlüpft, schon picken kann; es ist ein Wunderkind wie diejenigen, die mit sieben Jahren ganze Kapitel der Heiligen Schriften auswendig hersagen können. Die grünen Weiden Israels sind einer zweifachen Wüste entsprossen: dem trockenen Boden des Landes und der ausgedörrten Vergangenheit dieser Nation.
Für Außenstehende ist dieser naive, selbstzufriedene Enthusiasmus zunächst sehr anrührend, dann aber ebenso ermüdend. Einer meiner Freunde, ein amerikanischer Journalist, wurde von einem Regierungsbeamten herumgeführt. Als dieser ihm zum zwanzigsten Mal erzählte, Tel Aviv sei auf Sand erbaut worden, seufzte er in gespielter Verzweiflung: «Ich wünschte, sie hätten es gelassen.» Die Miene des Beamten versteinerte, und mein Freund galt fortan als Antisemit. Extreme Empfindlichkeit und ein fehlender Sinn für Humor sind typische Merkmale der Pioniermentalität.
Wir überqueren die Straße, die Tulkarem und Netanya verbindet. Dies ist die Wespentaille Israels. Die Küstenebene verengt sich hier auf gut 15 Kilometer zwischen dem Meer und der arabischen Grenze. Die Front verläuft zurzeit etwa fünf Kilometer östlich der Kreuzung.
Etliche Dörfer entlang der Straße sind noch von Arabern bewohnt. Einige arbeiten sogar auf den Feldern, und eine kleine, verhutzelte Araberin verkauft aus ihrer Korbtrage heraus Orangen an jüdische Soldaten. Der Krieg ist für sie wie Hekuba, also ohne Bedeutung, und sie ist ohne Bedeutung für den Krieg. Aber nicht mehr lange. In wenigen Wochen werden einige arabische Burschen von diesen Dörfern aus jüdische Lastwagen aus dem Hinterhalt beschießen. Die jüdische Armee wird daraufhin die Dorfbewohner zusammentreiben, ihre Häuser sprengen und die jungen Männer in Konzentrationslager stecken. Die Alten hingegen werden eine Matratze und eine Messingkaffeekanne auf den Esel binden, die alte Frau wird vorausgehen und den Esel am Zügel führen, während der alte Mann auf ihm reitet, eingehüllt in seine Kufiya und versunken in düstere Betrachtungen über die verpasste Gelegenheit, sich an seinem jüngsten Enkelkind zu vergehen. Wie alle Kriege ist auch dieser ein Festzug der Halbwahrheiten in schimmernder Wehr. Der Sieger ist nie vollständig im Recht, und es gibt keine unschuldigen Opfer.
Tel Aviv, Montag, 7. Juni 1948
Seit wir in der Hauptstadt angekommen sind, empfinde ich dieses irritierende Gefühl der Unwirklichkeit noch stärker. Wir haben unsere ersten Luftangriffe erlebt, haben gesehen, wie Leute Unterstände ausheben, und haben die Kommuniqués gelesen. Aber es ist schon merkwürdig, in biblischem Hebräisch