Ein Sommer in Berlin. Beate Vera

Ein Sommer in Berlin - Beate Vera


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ein Renner, und meine Kinder aßen alle gerne Fisch. Selbst Helene verzichtete nicht darauf. Als selbsterklärte Ernährungsexpertin wusste sie um die wichtigen Omega-3-Fettsäuren im Lachs. Meine Kinder waren keine mäkligen Esser. Sie aßen beileibe nicht alles, aber sie probierten alles erst einmal. Vincent, mein Zehnjähriger, mochte das Gelbe vom gekochten Ei nicht, wenn es zu trocken war, Helene aß wie erwähnt kein Fleisch mehr, und Daniel verabscheute Fett, so dass er jede einzelne Scheibe Aufschnitt oder Braten gekonnt sezierte, seit er ein Messer halten konnte. Ich setzte deshalb große Hoffnung in eine Chirurgenkarriere. Alle drei liebten meine Gemüselasagne, mochten aber zu meinem Leidwesen keinen Rosenkohl, den ich sehr gerne aß. Jedes zweite Wochenende hatte ich nun ausreichend Gelegenheit dazu.

      Doch zurück zu Helenes Frage nach der großmütterlichen Menüplanung. »Vermutlich gibt es wieder Lammbraten. Den macht sie ja jedes Jahr. Dieses Jahr isst sie den aber alleine. Wir gehen nicht zu Oma und Opa.«

      Paps würde uns wirklich vermissen, es tat mir ein wenig leid seinetwegen, aber meine Mutter musste endlich begreifen, dass sie ständig zu weit ging und ich nicht mehr gewillt war, hinter ihr herzutrotten.

      »Wir gehen nicht zu Oma und Opa? Mama, wir gehen da doch jedes Jahr zum Hochzeitstag hin!«

      »Ja, und jedes Jahr essen wir Lammbraten, den keiner von uns mag, und hören Oma zu, wie sie von den Nachbarn erzählt, die sie allesamt nicht leiden kann. Von mir erwartet sie, dass ich nach dem Essen die Küche aufräume, während ihr in euren gruseligsten Klamotten dasitzt, klaglos hinnehmt, dass Oma beim Mensch-ärgere-dich-nicht schummelt, und das Ende des Abends gar nicht abwarten könnt. Das brauch ich nicht! Du etwa?«

      Helene starrte mich wieder mit offenem Mund an. »Aber dann ist Oma doch tierisch sauer auf uns.«

      »Auf mich, Schatz, auf mich ist sie dann sauer. Aber weißt du, was? Das ist mir egal. Ich will an dem Wochenende mit euch was Schönes unternehmen.«

      »Was ist denn mit Papa?«, fragte meine große Tochter vorsichtig.

      »Papa ist verreist – laut Oma«, antwortete ich lapidar. »Hat er euch beim letzten Besuch nichts davon erzählt?« Ich konnte mir die Frage selber beantworten. Vermutlich bekäme ich in den nächsten Tagen eine E-Mail von seiner Sekretärin, Frau Rückert, in der sie mir mitteilte, dass Herr Hecht sie gebeten habe, mich zu bitten, seinen Kindern mitzuteilen, dass er über die Osterfeiertage verreisen würde. »Nein. Er hat nichts gesagt. Ist mir auch egal.«

      Schon tat es mir leid, ihr das nicht schonender gesagt zu haben. Helene war dreizehn, das war kein leichtes Alter, und dann trennten sich auch noch die Eltern. Ich war überrascht über mich selbst, denn das Wort »trennen« hatte ich bislang nicht gewählt. Ich war schließlich »verlassen worden«. Speziell meine Mutter ließ daran keinen Zweifel aufkommen.

      »Schatz, wir machen was Tolles am Wochenende, versprochen! Wir essen was richtig Leckeres, es wird Unmengen an Eiskrem geben, und ich werde nicht meckern, wenn ihr zu viel davon esst. Vielleicht können wir baden gehen oder mal wieder ins Kino …« Wie ich das finanzieren sollte, war mir zwar ein Rätsel, aber notfalls würde ich Paps anpumpen.

      Helene zog einen Flunsch. »Is’ mir egal!« Und damit verdrückte sie sich in ihr Zimmer. Zwei Minuten später dröhnte Musik von Coldplay durch die Wohnung.

      Ich ließ sie gewähren. Mir half Musik schließlich auch, wenn ich traurig war. Ich öffnete wieder das Fenster, die mediterran anmutende Geräuschkulisse, die vom Bürgersteig nach oben drang, war beruhigend. Ich schnitt die Möhrchen fertig und schälte danach die Kartoffeln. Heute war Spiegeleier-Tag.

      GERDA THOMAS

       Meine Tochter? Ich bitte Sie, meine Tochter war schon immer kapriziös – oder weniger höflich formuliert: neurotisch. Sie ist sehr intelligent, hat zwei Klassen übersprungen und ein exzellentes Abi gemacht. Sie hatte einen glatten Einserschnitt. Aber hat sie etwas daraus gemacht? Nein. Natürlich war sie damals zum Studieren noch etwas zu jung – aber musste es denn eine betriebliche Ausbildung sein? Natürlich lese ich auch gerne einmal ein Buch, aber muss man deswegen gleich hinter einem Tresen stehen und Bücher verkaufen? Da könnte man ja auch gleich Brötchen verkaufen. Oder Stoffe. Oder Gemischtwaren.

       Als Catia dann auch noch eine Affäre mit ihrem Chef anfing, da … Nein, dazu fallen mir keine höflichen Formulierungen ein. Und, Grundgütiger, dann ist die Chose holterdiepolter wieder vorbei und das Kind kreuzunglücklich. Aber kommt sie zu uns? Nein, Gott bewahre, sie zieht lieber zu einer Freundin. Und keine drei Monate später präsentiert sie uns ihren Neuen, und die verloben sich auch gleich noch.

       Immerhin taugte der was als Mann. Er war älter als sie, was ich damals nur begrüßen konnte. Dieser Mann hatte Pläne, er hatte Ziele, und das – machen wir uns doch nichts vor – sind Eigenschaften, die meiner Tochter stets gefehlt haben. Gegen diese neue Beziehung hatte ich nichts einzuwenden. Catia schien froh und glücklich, und ich war es auch. Hanno war ein anständiger Mann mit einem guten Auskommen, der ihr nicht jahrelang den Hof machte, sondern der wusste, was er wollte, und das auch zügig umsetzte. Mir als angehender Schwiegermutter imponierte das. Ja, ich mochte Hanno Hecht. Er war ja auch furchtbar charmant.

      Der Brief! Beinahe hätte ich ihn erfolgreich verdrängt. Mein Kopf war ein Sieb. Ich brauchte einen Anwalt, ganz dringend! Wir hatten gegessen, und die Kinder machten ihre Hausaufgaben in ihren Zimmern. Wen kannte ich denn bloß, der Anwalt war oder zumindest einen kannte? Wer immer mir einfiel, war ein Bekannter von Hanno, und von denen kam keiner in Frage. Franziska hatte knapp erklärt, dass sie sich da gar nicht auskenne. Astrid konnte ich nicht fragen, sie war in der Praxis und ging am Abend noch auf eine Pharmaveranstaltung. Das hatte sie mir am Vortag lachend mit dem Hinweis erzählt, es schade nie, sich alle Türen offenzuhalten.

      Während ich den Abwasch machte, lief wie immer Radio Eins, und ich hörte die Anmoderation eines Chansons von Jacques Brel: Ne me quitte pas. Irgendein Zuhörer hatte sich den alten Titel gewünscht. Da dämmerte es mir. Quinn und ich hatten das Best-of-Album damals, 1997, rauf und runter gehört, während wir praktisch ein ganzes Wochenende im Bett verbrachten.

      Meine Güte, ich hatte jahrelang kaum an Quinn gedacht – und jetzt gleich dreimal an einem Tag. Was der wohl jetzt machte? Und was war wohl aus seinem besten Freund Stefan geworden? Der war Anwalt, und er würde bestimmt zumindest einen fähigen Kollegen empfehlen können. Ich hatte ihn als einen ruhigen Typen in Erinnerung, der einen kompetenten Eindruck machte. Irgendeinen Anwalt aus den Gelben Seiten zu suchen widerstrebte mir zutiefst. Hanno war bestens in der Hauptstadt vernetzt, vermutlich würde ich bei einer Kanzlei landen, mit deren Partnern er regelmäßig Golf spielte. Zu Quinns Freund Stefan hätte ich großes Vertrauen. Wie war denn noch sein Nachname? Ich konnte schlecht alle Berliner Anwälte angehen, deren Vorname Stefan lautete. Ich wusste ja nicht mal, ob er überhaupt noch in Berlin tätig war.

      Vincent riss mich aus meinem Gedankenfluss. »Mama, Hausaufgaben sind riesengroße Krötenkacke! Ich hab keinen Bock mehr auf Englisch!«

      Ich musste mich dringend mal wieder der Wortwahl meiner Kinder widmen. Davon abgesehen, hatte ich mich schon gewundert, dass mein Großer sich noch nicht beschwert hatte. Er hasste Hausaufgaben, speziell die in der Fremdsprache, weil er die Lehrerin nicht ausstehen konnte und außerdem viel lieber mit seinen Freunden draußen kicken wollte.

      »Ist das jetzt ein riesengroßer Haufen, der von vielen Kröten hinterlassen wurde, oder ist die Kröte riesengroß, die den Haufen hinterlässt?«, fragte ich ihn grinsend.

      Er überlegte einen Moment, bevor er meine Frage ernsthaft beantwortete. »Eine Riesenkröte, und sie legt einen Riesenkackhaufen!«

      Der musste erst einmal weggeschaufelt werden. Die Suche nach einem Anwalt würde warten müssen. Ich fuhr meinem Sohn mit der Hand durchs hellbraune Haar. »Hol sie mal her, die Aufgaben! Vielleicht kann ich dir ja ein bisschen helfen.«

      Vincent ließ sich das nicht zweimal sagen. Ich wusste ganz genau, dass er durchaus in der Lage war, seine Hausaufgaben ohne Hilfe zu machen, aber er wollte dabei nicht alleine sein. Mein großer Sohn war ein echtes Herdentier,


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