Zwei Millionen ham'ma erledigt. Johannes Sachslehner
geklatscht und gerufen haben: „Jetzt geht’s los!“ Um 20.45 Uhr gibt er mit der „Weisung Nummer 2“ betreffend das „Unternehmen Otto“ den schriftlichen Einmarschbefehl. Der „Vormarsch der deutschen Wehrmacht nach Österreich“ solle am 12. März bei Tagesanbruch „nach Weisung Nummer 1“ stattfinden; begründet wird die Okkupation des Nachbarlandes nun doch mit der Feststellung: „Die Forderungen des deutschen Ultimatums an die österreichische Regierung sind nicht erfüllt worden.“ Der zweite Schönheitsfehler der „Weisung Nummer 2“: Seyß-Inquart und seine Nazi-Kumpane haben die deutsche Regierung noch gar nicht offiziell um Hilfe gebeten; dieses Mäntelchen zur Legitimierung muss nachträglich konstruiert werden: Wilhelm Keppler erhält von Göring den Auftrag, für ein entsprechendes Telegramm Seyß-Inquarts nach Berlin zu sorgen. Doch der Ex-Innenminister und Noch-nicht-Bundeskanzler – inzwischen hat Miklas den Rücktritt der Regierung Schuschnigg bestätigt – weigert sich, das gehöre nicht zu seiner Aufgabe als österreichischer Innenminister. Schließlich wird ein Telegramm-Text formuliert, der von Reichspressechef Otto Dietrich an das Deutsche Nachrichtenbüro weitergegeben wird – eine Fälschung, mit der sich Seyß-Inquart einverstanden zeigt.
Kurz nach 22 Uhr fällt die letzte wichtige Entscheidung: Hitler erhält beruhigende Nachrichten von seinem Kurier in Italien, Prinz Philipp von Hessen: Der Duce habe die „ganze Sache“ sehr freundlich aufgenommen, Österreich sei für ihn eine „abgetane Angelegenheit“. Hitler ist erleichtert und verspricht: „Wenn die österreichische Sache jetzt aus dem Weg geräumt ist, bin ich bereit, mit ihm durch dick und dünn zu gehen (…) ich werde ihm das nie, nie vergessen.“ Prinz Philipp von Hessen bestätigt: „Jawohl, mein Führer!“
Globocnik, der die „Telefonwache“ hält und sich ungeniert als „Beauftragter“ der Regierung ausgibt, sammelt und genießt weiterhin die „Siegesmeldungen“ der Parteiführer in den Bundesländern – und aus der Bundeshauptstadt: Nazitrupps sind inzwischen im Wiener Rathaus eingedrungen, Vizebürgermeister Fritz Lahr, ein ehemaliger Heimwehrführer, hat die „kommissarische Führung“ der Stadt übernommen, über den Rathausplatz dröhnen Deutschland- und Horst-Wessel-Lied. Rainer kommt mit Klausner, Jury und Edmund Veesenmayer, dem Adjutanten Kepplers, zurück ins Bundeskanzleramt; umgeben von seinen Freunden tippt er auf einem Sofa in der Säulenhalle eine erste Ministerliste, die sich an Görings Vorschlägen orientiert.
Um 22 Uhr stehen 40 mit Pistolen bewaffnete SS-Leute in weißen Hemden und schwarzen Hosen vom Sturm 89 unter Führung des ehemaligen Spitzenläufers Felix Rinner beim Hintereingang des Bundeskanzleramts, sie seien auf Befehl Seyß-Inquarts gekommen, um den „Schutz der Verhandlungspartner“ zu übernehmen – eine von Friedrich Rainer geschickt inszenierte Aktion, die Erfolg hat: Seyß-Inquart will zwar keine Bewachung, willigt dann aber doch ein; die SS-Männer beziehen Posten vor den wichtigsten Räumen. Ausgerechnet jene SS-Einheit, die beim Putsch am 25. Juli 1934 gescheitert ist, macht sich nun kampflos im Bundeskanzleramt breit.
Unter dem „Druck der bereits vollzogenen Machtübernahme in ganz Österreich durch die NSDAP“ ist schließlich auch Bundespräsident Wilhelm Miklas zum Einlenken bereit. Um 23 Uhr betraut er Seyß-Inquart mit der „Fortführung der Geschäfte der Bundesführung“, eine Möglichkeit, die der Paragraf 84 der Maiverfassung von 1934 definiert und mit der Auflage verbindet, dass alle Entscheidungen der Regierung durch den Bundespräsidenten gegengezeichnet werden müssen – für die Nazis eine halbe Lösung, die sie nicht akzeptieren wollen, sie schicken Seyß-Inquart wieder zu Miklas. Immerhin: Ein Status der Legalität ist damit erreicht; die Meldung von diesem ersten Teilerfolg geht um 23.14 Uhr über die Ravag an die Öffentlichkeit.
Es geht gegen Mitternacht, als Miklas, bedrängt von Seyß-Inquart, der immer wieder darauf verweist, dass er doch kein „Revolutionär“ sei und auf legalem Wege Bundeskanzler werden wolle, von Schuschnigg und Ex-Außenminister Guido Schmidt, seinen Widerstand endgültig aufgibt und bereit ist, Seyß-Inquart zum Bundeskanzler zu ernennen. Er knüpft an die Ernennung drei Bedingungen:
„1. Vermeiden Sie Blutvergießen! 2. Stellen Sie Ruhe und Ordnung wieder her! 3. Sichern Sie dem Land den Frieden!“ – Bedingungen, die Österreichs Unabhängigkeit sichern und einen deutschen Einmarsch verhindern sollen, doch dazu ist es bereits zu spät.
Seyß-Inquart marschiert zu den Parteigenossen im Säulensaal, jetzt endlich bringt er die Botschaft mit, die sie seit langen Stunden hören wollen: „Ich bin zum Bundeskanzler ernannt.“ Die Freunde gratulieren, nur Globocnik kann es nicht lassen, einen kritischen Ton anzubringen, er meint etwas süffisant zum neuen Kanzler: „Wissen Sie, ich habe für Sie die Macht ergriffen und Regierung gespielt, aber ich habe Ihnen nichts gesagt, denn Sie wären dagegen gewesen.“ Es ist Mitternacht, als sich „Friedl“ Rainer wieder an die Schreibmaschine setzt und eine neue Ministerliste tippt: Vizekanzler soll Glaise-Horstenau werden, Außenminister der katholisch-nationale Ministerialrat im Bundespressedienst Dr. Wilhelm Wolff, Justizminister wie mit Göring abgesprochen Franz Hueber, Minister für Soziale Verwaltung Hugo Jury und Anton Reinthaller soll für seine treuen Dienste mit dem Landwirtschaftsministerium betraut werden. Um Mitternacht sendet die Ravag eine neue Bekanntmachung, Seyß-Inquart sei, so der Kernsatz, „noch in Besprechungen über die Durchführung der Betrauung mit dem Bundespräsidenten befasst“. Dieser ist nun auch bereit, die ihm vorgelegte Ministerliste zu akzeptieren – er unterschreibt sie ohne Einwände; die Vereidigung des neuen Kabinetts wird für den Vormittag festgesetzt. Seyß-Inquart hat noch immer die Illusion, dass ein Einmarsch der Deutschen verhindert werden könne, und will mit Berlin verhandeln; seine Parteigenossen wollen davon eigentlich nichts mehr hören, auch sie befinden sich bereits im „Anschluss“-Rausch. Landesleiter Hubert Klausner bleibt es vorbehalten, den „Sieg“ zu verkünden. Um 1.08 Uhr ruft er vom Balkon des Bundeskanzleramts: „In tiefer Bewegung verkünde ich in dieser feierlichen Stunde: Österreich ist frei geworden! Österreich ist nationalsozialistisch! Durch das Vertrauen des ganzen Volkes emporgetragen, ist eine neue Regierung gebildet worden, die nach den Grundsätzen unserer herrlichen nationalsozialistischen Bewegung ihre ganze Kraft für das Glück und den Frieden dieses Landes einsetzen wird. Arbeit und Brot für alle Volksgenossen zu schaffen, wird ihre erste Aufgabe sein. (…) An Euch, deutsche Volksgenossen und Volksgenossinnen, aber ergeht mein Ruf: An die Arbeit! Unser Ziel ist erreicht: Ein Volk, ein Reich, ein Führer! Heil unserm Führer! Heil Hitler!“ Alle wollen auf den Balkon und sich als Sieger feiern lassen; Globocnik holt auch seinen Freund Rainer: „Friedl, du musst auch auf den Balkon!“ Dann geht’s für die neuen Regierungsmitglieder zum Fotografieren, man hat auch schon einen Platz ausgewählt: das Zimmer des Kanzlersekretärs Franz Krisch, in dem 1934 Engelbert Dollfuß verblutet ist …
Zwei Sieger und doch keine großen Freunde: Arthur Seyß-Inquart, bis zum 30. April 1939 Reichsstatthalter in der „Ostmark“, und Odilo Globocnik im Sommer 1938.
In Wien und in den Landeshauptstädten macht der triumphierende NS-Mob die Nacht zum Tag. Zum Schlafen bleibt auch für die führenden Nazi-Funktionäre in der Nacht vom 11. zum 12. März 1938 keine Zeit. Als man erfährt, dass Himmler mit seinem Gefolge von München-Oberwiesenfeld Richtung Wien abgeflogen ist, beschließt man, den Reichsführer-SS gebührend zu empfangen. In der Stunde des Triumphes erwarten sie von ihm Lob und Anerkennung. In drei „Regierungsautos“ fährt man hinaus zum Flugplatz Aspern: Landesleiter Hubert Klausner, Friedrich Rainer und Odilo Globocnik, Ernst Kaltenbrunner, Sicherheitsstaatssekretär Michael Skubl und Edmund Veesenmayer, der Mitarbeiter Wilhelm Kepplers; begleitet werden sie von „wild kostümierten“ SA- und SS-Leuten (Tomkowitz/Wagner). Da man zu früh am Flugplatz ist, macht man es sich im Restaurant des Flugplatzes gemütlich und beschließt, endlich etwas zu essen – Veesenmayer gelingt es, einen Kranz Zervelat zu organisieren, das gute Stück Wurst wird mit Heißhunger verschlungen, die Stimmung ist bestens.
Um 4.30 Uhr kommt von der Flugleitung die Meldung, dass die beiden Maschinen aus München in Kürze landen würden; der Leiter des Flugplatzes, Polizeioberstleutnant Oscar von Schmoczer, begleitet Klausner und Co hinaus auf das Flugfeld. Und dann sind die Chefs aus dem „Reich“ auch schon da: Zwei Junkers 52 rollen aus, deutsche SS-Männer, bewaffnet mit Maschinenpistolen, stürzen aus der einen Maschine,