Die Zerstörung der EU. Peter Michael Lingens
Ich halte also einen Kompromiss dieser Art nach erfolgter Fristverlängerung für den endgültigen Zeitpunkt des britischen Austritts für die wahrscheinlichste und jedenfalls für beide Seiten beste Lösung des Problems.
Dass die EU ökonomisch wie politisch auch nach einer solchen Lösung eine gewaltige Baustelle bliebe, ist ein anderes Kapitel.
FLÜCHTLINGE ALS FATALE VERSCHÄRFUNG
Griechenland, Italien oder Frankreich sind leider eindringliche Beispiele dafür, wie fatal es sein kann, der Wirtschaftspolitik der EU Vertrauen entgegenzubringen, und auch Österreich, die Niederlande, Spanien oder Portugal haben unter ihr mehr oder minder gelitten. (Nicht den Profit erzielt, der bei einer besseren Politik möglich gewesen wäre.)
Alle haben unter dem Sparpakt gelitten, bei allen hat Deutschlands Lohndumping Spuren hinterlassen, die bei den Industrieländern Frankreich und Italien am spürbarsten und gefährlichsten sind. (Österreich oder die Niederlande, die selbst „Lohnzurückhaltung“ übten, kamen entsprechend glimpflicher davon.)
Wie verhindert werden kann, dass die gefährlichen Entwicklungen zulasten der Europäischen Gemeinschaft in Italien und Frankreich fortschreiten, ist für mich derzeit leider nicht zu erkennen.
Entgegen den zitierten Umfragen, die der EU die höchste Zustimmung seit 25 Jahren bescheinigen, ist sie wirtschaftlich wie politisch wie nie zuvor gefährdet.
Die zentrale Ursache für ihre auch politisch so große Fragilität ist aber der Zusammenfall der beschriebenen wirtschaftlichen Probleme mit dem „Flüchtlingsproblem“. Denn in allen Ländern mit zunehmend neoliberaler Wirtschaftsordnung ist im Verein mit Deutschlands Sparwahn und seiner so sadistischen wie masochistischen Lohnpolitik eine immer größere Schicht „Abgehängter“ entstanden, die Flüchtlinge und Migranten als gefährliche Konkurrenten um Jobs, Wohnraum und Sozialleistungen empfinden und deshalb Lega Nord, Front national, AfD, Vox oder FPÖ wählen. Und das, obwohl diese Parteien gegenüber der EU die größten Reserven hegen, immer wieder mit dem Gedanken eines Austritts aus ihr gespielt haben und mittlerweile so viele Abgeordnete ins EU-Parlament entsenden, dass sie die Union auch von innen heraus aushöhlen können.
„It’s the economy, stupid!“, behaupte ich mit Bill Clinton.
Nicht einmal der ubiquitäre Antisemitismus hätte wahrscheinlich ausgereicht, Hitler an die Macht zu bringen – es war die enorm hohe Arbeitslosigkeit, die ihm diese Chance verschaffte, und es waren die immer mehr auch bürgerlichen „Abgehängten“, die ihn neben arbeitslosen Arbeitern wählten.
Auch das „Flüchtlingsproblem“ hätte alleine nicht für einen gefährlichen Rechtsruck in Europa gereicht – es sind die Arbeitslosen, die wirtschaftlich „Abgehängten“ und um ihren Job Bangenden, die ihn herbeiführen.
Weil ich es leider für ausgeschlossen halte, dass sich die Haltung der Europäer zum „Flüchtlingsproblem“ unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedingungen entscheidend ändert – sie werden die umfangreiche Zuwanderung „Fremder“ noch lange mehrheitlich ablehnen –, bedürfte es daher einer Wendung um 180 Grad in der Wirtschaftspolitik, wenn wir uns die künftige Herrschaft der Le Pens, Salvinis oder Straches ersparen wollen – und die müsste Deutschland vollziehen.
Trotz des Wechsels von Angela Merkel zu Annegret Kramp-Karrenbauer halte ich das leider für nicht wirklich wahrscheinlich. Die selbstgewisse Überzeugung der Deutschen, das Richtige zu tun, scheint sich in Verbindung mit neoliberalem Missverstehen der Wirtschaft und nationalem Egoismus als unantastbar zu erweisen.
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