Das nationalsozialistische Wien. Johannes Sachslehner

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Machtdemonstration: 1.-Mai-Aufmarsch der Parteiformationen am Heldenplatz, 1938.

       Stramme Idealhaltung, gewichste Stiefel: Hitler demonstriert den „deutschen Gruß“.

       PROLOG

       AUCH DIE ÖSTERREICHERINNEN UND ÖSTERREICHER GRÜSSEN DEUTSCH

      Studiert man aufmerksam die Wochenschauberichte und Fotos aus den Tagen des „Anschlusses“, so fällt eines auf: Die rechten Arme der Österreicherinnen und Österreicher, die nun Deutsche sein wollen, fliegen so zackig und gekonnt zum „Heil Hitler!“ empor, dass man glauben könnte, sie hätten das schon lange vorher geübt. Der Winkel stimmt, die Handfläche ist wie in den Richtlinien vorgeschrieben nach unten geöffnet. Mit dem „deutschen Gruß“, so scheint es, wollen sie dem „Erlöser“, der da kommt, kundtun, dass sie für ihn bereit sind, ja, sich ihm ganz hingeben wollen. Es ist diese markige Unterwerfungsgeste, die sie dem „Führer“ zur Ankunft schenken können und die sie einbindet in die als groß und mächtig empfundene Gemeinschaft der Formel „Ein Volk! Ein Reich! Ein Führer!“. Ihre große Sehnsucht hat endlich Erfüllung gefunden.

      Das ist keine Belanglosigkeit. Wenn es so ist, wie der deutsche Soziologe Tilman Allert in seiner luziden Studie über den „deutschen Gruß“ schreibt, dass der Gruß die „menschliche Begegnung moderiert, ihr einen Rahmen setzt, der die ersten Spielregeln definiert“, so gilt es, die offenkundige Faszination dieses Grußrituals für die neuen „Volksgenossen“ näher zu betrachten. Die „Ostmärker“, die dem „Führer“ zuliebe auf „Grüß Gott!“, „Servus!“ und „Guten Tag!“ verzichten, demonstrieren mit ihm vordergründig Loyalität, doch dahinter verbirgt sich mehr: Mit der Übernahme des „deutschen Grußes“ akzeptieren sie seine Herrschaft und liefern sich seinem Charisma aus, es entsteht eine Einengung der Wahrnehmung, eine „Wahrnehmungsschließung“, wie Tilman Allert dieses Phänomen nennt – sie gehe, so seine These, dem „antisemitischen Furor“ und den späteren Verbrechen der Nazis voran. Der „Hitlergruß“ ebne den Weg zur „moralischen Indifferenz und moralischen Perversion“. Jene, die sich dem neuen Gruß verweigern, müssen dies oft schmerzvoll erkennen – der Respekt vor der Würde des Menschen wird preisgegeben, es siegt die Sehnsucht nach Bindung im großen Heer des „Führers“.

       Der ausgestreckte Arm ist allgegenwärtig: Bei Paraden, Aufmärschen, in der Propaganda der Presse und selbst bei Beerdigungen (oben) wird dem „Führer“ mit dem „verkleideten Schwur“ des Hitlergrußes gehuldigt.

       Die Freiheit des

       Grüßens gilt nicht mehr: emailliertes Metallschild, das den Eintretenden auf die neue Grußformel verpflichtet.

      „Heil Hitler!“ ist nicht bloß ein Gruß. „Die Grußworte“, so schreibt der Völkische Beobachter schon 1935, „sollen uns immer wieder aus dem Kleinkram des Alltags herausheben und an die großen Ziele und Aufgaben erinnern, die Adolf Hitler uns allen gab“, sie sind die Zusicherung, dass man sich dem „Führer“ verpflichtet fühlt, wie Tilman Allert in seiner Analyse zeigt. Die Person Adolf Hitler werde durch die Grußformel sakralisiert, der „Führer“ mit „der Wirkungsmacht einer göttlichen Instanz ausgestattet gedacht, man glaubt an ihn, so wie man an Gott glaubt, und im Gruß wünscht man sich Heil durch ihn.“ Verstärkt werde diese Sakralisierung durch die Bewegung des Arms: Man gibt seinem Gegenüber nicht mehr die Hand, sondern reißt diese über ihn empor: „Er weist in die einsame Leere des Raumes auf den fiktiven Ort einer möglichen Begegnung, die im Irgendwo hoch über den Grüßenden liegt“. Zu diesem Aspekt der Unendlichkeit gesellt sich die militärische Zackigkeit: Der soldatisch anmutende „deutsche Gruß“ signalisiert „Aktionsbereitschaft“. Auch wenn sie keine Uniform tragen – die „Volksgenossen“, die zusammenstehen und die Arme hochreißen, agieren wie militärische Körper, demonstrieren bedingungslose Treue. Der „deutsche Gruß“ ist zugleich ihr exklusives Privileg – Juden ist die Ausführung des Hitlergrußes verboten, sein „magisches Potential“, wie Tilman Allert es nennt, bleibt den Mitgliedern der Volksgemeinschaft vorbehalten. In einer Art von „verkleidetem Schwur“, der beständig erneuert wird, verpflichten sie sich immer wieder aufs Neue dem „Führer“.

      Für all jene, die meinen, bisher zu kurz gekommen zu sein, für die „nicht zu Ende Geborenen“, wie Klaus Theweleit dieses Phänomen einst in seinen Männerphantasien umschrieben hat, wird der Hitlergruß zum willkommenen Ritual, ja, zur „revolutionären“ Geste, birgt er doch durch die „Verkehrung von weltlicher und religiöser Ordnung“ (Tilman Allert) auch Hoffnung – Hoffnung auf eine bessere Zukunft, von der etwa der Schriftsteller Bruno Brehm, einer der umtriebigsten Agitatoren der illegalen Wiener Nazi-Szene, in seinem Brief aus Wien, abgedruckt im Maiheft 1938 der Zeitschrift Das Innere Reich, erzählt. Gemeinsam mit seinem Kollegen Franz Tumler ist er in den „Tagen der Freude“ in der südlichen Steiermark und in Kärnten unterwegs, das „Schönste von allem“ sei dabei der „Sieg Heil!“-Gruß eines „blassen rotznäsigen kleinen Bübleins“ gewesen, das „sein Ärmchen in die Luft“ warf und ihnen den Gruß entgegenjubelte, „und es war so hell und freundlich alles, wie die vielen Himmelschlüsseln auf den fahlen Winterwiesen und die leuchtenden Blüten des Krokus am Rande der dunklen Wälder“.

      Durch „die Gnade des Himmels und die Kraft des Führers“ habe man nach der „Befreiung“ wieder eine „frohe Zukunft“: „Es wird wieder Arbeit geben, die Menschen werden hoffen können, die Frauen werden den Mut haben, Kinder zu gebären.“ Doch das „größere Reich“, von dem Teil zu sein Brehm so ergriffen schwärmt, wird sich als Reich des Terrors und des Todes erweisen …

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