Menschen im Krieg – Gone to Soldiers. Marge Piercy

Menschen im Krieg – Gone to Soldiers - Marge Piercy


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»Das ist meine einzige Hoffnung, das ist das, was ich wirklich will. Dann kann ich Menschen wie meiner eigenen Familie helfen. Ich kann sie besser verstehen als die Leute, die nie in ihrem Leben in Not waren.«

      Murray schilderte ihr seine Vorstellungen von dem Leben, das er sich wünschte, wickelte sie langsam aus wie einen sorgfältig verpackten Porzellanteller. Er wollte in der Stadt arbeiten, aber nicht dort wohnen. »Wenn du die Grand River hinausfährst, oder Ann Arbor Trail oder Plymouth Road, dann kommst du aufs Land. Du kannst da draußen ein Farmhaus kaufen und zur Arbeit in die Stadt fahren. Und wenn du dann eine Familie hast, haben die Kinder nicht die Probleme wie in der Stadt, sie sind gesund. Sie haben Wiesen und Bäume und Vögel um sich. Das hat mir gut getan.«

      Sie waren so ins Gespräch vertieft, dass sie zu spät ins Kino kamen, aber es lief erst die Wochenschau. Der japanische Gesandte Kurusu und Botschafter Nomura legten, wie sie bekundeten, allerletzte Angebote für einen Frieden zwischen Japan und Washington vor. Dann kam ein Foto von den Dionne-Fünflingen, wie sie alle gleich angezogen im Schnee spielten. Die Marineinfanterie zog sich aus Schanghai zurück, aber der Sprecher sagte, sie kämen bald wieder. Dann fing der erste Spielfilm an, ein Ellery-Queen-Krimi mit Ralph Bellamy, in dem Murray schon nach der Hälfte den Mörder erriet; und dann Joan Crawford in Die wunderbare Rettung.

      Nach der Straßenbahnfahrt gingen sie trotz des rauen Windes sehr langsam zu Ruthies Haus. Sie war durchgefroren, fühlte sich kalt und klamm, wollte sich aber trotzdem nicht beeilen. Er hatte ihre Hand genommen, als er ihr aus der Straßenbahn half, und er hielt sie immer noch. Seine Hand war warm und trocken. Sie fand es leicht, mit ihm zu gehen, weil er keine Riesenschritte machte. Ich mag ihn, dachte sie und war ganz erstaunt über sich. Sie sah sich sein Gesicht an, wenn sie unter den Straßenlaternen durchkamen. Seine Nase verlief völlig gerade, wie mit dem Lineal gezogen. Sein Mund war voll und weich. Sie stellte sich vor, ihn zu küssen, aber dazu würde es wohl nicht kommen, noch nicht. Irgendwann würde sie ihn küssen. Aber diesmal war wohl eine Umarmung das Richtige.

      An einem kalten Sonntag

      Lady Hamilton, das war der Film, den sich Bernice und Mrs. Augustine am Sonntagnachmittag ansahen, wobei sie sich eine Schachtel kandierten Puffmais teilten, für den Mrs. Augustine eine Schwäche hatte. Mrs. Augustine war die Frau von Professor Emil Augustine, der Chemie unterrichtete. Sie war eine kleine, rundliche Frau, die an leichter Arthritis und schrecklichen Hühneraugen litt, so dass sie nur langsam und unter Schmerzen lief, aber sie hatte immer versucht, ein Auge auf den Haushalt nebenan zu haben, seit Viola gestorben oder, wie Mrs. Augustine es ausdrückte, hinübergegangen war.

      Mrs. Augustine glaubte an die Reinkarnation, denn, so erklärte sie Bernice, das sei so unvergleichlich viel fröhlicher als Himmel und Hölle der Christen. Das hinderte sie nicht daran, die episkopalen Gottesdienste zu besuchen, in Begleitung ihres Mannes, der sich nicht für Mrs. Augustines abseitigere Ansichten interessierte. Mrs. Augustine schnitt Zeitungsartikel über Menschen aus, die meinten, sich an frühere Leben zu erinnern. Die meisten der Befragten waren ägyptische Prinzessinnen gewesen, die Kaiserin von Russland, die Pawlowa oder Lord Byron, aber Mrs. Augustine konnte sich das Leben als Leuchtturmwärter vor der Küste von Maine um 1840 ins Gedächtnis rufen. Sie war zu sehr der Flasche zugetan gewesen und hatte sich deshalb auf den Felsen ihres Inselchens zu Tode gestürzt, aber ansonsten war das Leben angenehm gewesen, und sie hatte sich nie einsam gefühlt. Bernice dachte im Stillen, wenn sie ihr Leben mit dem spröden Emil zu verbringen hätte, dann mochte ein Dasein als Leuchtturmwärter eine angenehme Alternative darstellen.

      Vivien Leigh war zauberhaft und Laurence Olivier schön anzuschauen, aber sie ertappte sich dabei, dass ihre Gedanken von dem Ehebruch abschweiften. Ihr fiel ein Porträt von Lord Nelson ein – war es in der Londoner Nationalgalerie gewesen? Einer von den Tagen, an denen sie Touristen im Zuckeltrab durch drei Museen führten und Jeff sich heiser redete.

      Der Professor übernahm die Führung, wenn Schlösser und Denkmäler auf dem Programm standen, eine Aufteilung, die nicht immer säuberlich eingehalten wurde. Sie erinnerte sich an den Sommer von 1939, der letzte Sommer, in dem sie des Professors Schützlinge durch Europa gescheucht hatten. Für einen Augenblick roch sie Salz und aufgeheizten Stein. Ihre Arme waren dunkel von der Mittelmeersonne, indes sie einen kurzen Urlaub vom Urlaub ihrer Schützlinge genoss, süße gestohlene Zeit, um selbst Touristin zu spielen.

      Jeff und sie hatten am Hafen von Thessaloniki gesessen, Retsina getrunken und die süßlich schmeckenden kleinen Muscheln roh gegessen (wovon sie ihren Touristen stets abrieten), gefolgt von gebratenen kleinen Tintenfischen, Kalamarakia. Ihre Reisegesellschaft besichtigte die Hagia Sophia und andere wichtige Kirchen in der Altstadt. Der Professor hatte eine Schwäche für die mit beschwörendem Ernst dreinschauenden byzantinischen Heiligen, die seinen Kindern abging. Jeff und der Professor hatten täglich die Zeitungen verfolgt, aus Angst, vom Kriegsausbruch überrascht zu werden, aber sie hatten ihr Schiff bestiegen und waren mitten auf dem Atlantik, als die Deutschen in Polen einfielen. Dieses Jahr im April, nachdem die griechische Armee die Italiener über den Herbst und den Winter hinweg abgewehrt hatte, waren die Deutschen mit ihren Panzertruppen angerückt, hatten die Griechen niedergewalzt und die verfügbaren britischen Streitkräfte überrollt. Ob sie Griechenland je wiedersah?

      Nach dem Film ging das Licht an, und die Leute standen auf. Bernice zog gerade die Reißverschlüsse der Gummigaloschen über ihren Schnürschuhen zu, als sie sah, dass Mr. Berg, der korpulente alte Herr, der das Filmtheater betrieb, auf der Bühne stand und ein Mikrophon hielt, dessen Schnur ein Platzanweiser auszurollen versuchte.

      »Ich habe eine Durchsage, meine Damen und Herren!«, verkündete er mit Stentorstimme, zu aufgeregt, um abzuwarten, bis das Mikrophon eingestöpselt war. Er schritt auf die Vorbühne, auf der sonst Varieté dargeboten wurde. »Ich habe eine wichtige Durchsage. Im Radio ist durchgegeben worden, dass die Marine in Honolulu angegriffen wird. Ich wiederhole, die Marine der Vereinigten Staaten wird angegriffen.«

      Mrs. Augustine sagte: »Gott sei Dank ist Emil zu alt für die Front.«

      Als Bernice ins Haus kam, hatte der Professor sein Arbeitszimmer verlassen und saß im Wohnzimmer vor der Westinghouse-Radiotruhe, deren Türen geöffnet, deren Skala erleuchtet und deren Lautsprecher voll aufgedreht waren.

      »Im Bentham gab es eine Durchsage.« Bernice setzte sich in ihren gewohnten Sessel. »Ist Krieg?«

      »Mit Japan, nehme ich an. Jetzt muss er den Krieg erklären.«

      »Hat der Präsident schon über Rundfunk gesprochen?«

      »Noch nicht.«

      Bernice starrte auf das Glimmen der Radioskala. Sie hatte, bevor sie ging, einen Schmorbraten in den Herd getan, bei kleiner Flamme. Der Professor jedoch sah sie über den Brillenrand hinweg erwartungsvoll an. »Wann werden wir essen?«

      Das war keine ernst gemeinte Frage, da sie am Sonntag immer um halb sieben aßen, doch sie übersetzte sich ihr als: Was sitzt du im Wohnzimmer herum, wo der Tisch noch nicht gedeckt ist und die letzten Handgriffe zur Zubereitung meiner Mahlzeit fehlen? Sie ging langsam in die Küche und stellte überrascht fest, dass sie sich leicht euphorisch fühlte, fast schwindelig. Sie drehte sofort das kleine Radio auf dem Küchenbüfett an.

      Major George Fielding Eliot, Columbias Militärexperte, analysierte die Ereignisse mit forscher Stimme. »Die Japaner scheinen zum Angriff überzugehen, um amerikanische Operationen im Fernen Osten zu verzögern. Vor eine Situation gestellt, in der es für sie offenbar keinen anderen Ausweg als den Krieg gab, haben die Japaner den größten amerikanischen Pazifik-Marinestützpunkt in Pearl Harbour auf der Insel Oahu der Hawaii-Inseln angegriffen. Dieser Angriff erfolgt aus der Luft und kann nur von Flugzeugträgern kommen, da die Japaner über keine Stützpunkte nahe genug bei den Inseln verfügen, um landgestützte Luftangriffe vortragen zu können.«

      Sie erinnerte sich an einen Abend, an dem Zach Jeff besucht hatte. Tagsüber hatte Zach seine Aeronca eingeflogen, für Bernice ein Vorgeschmack des Himmels. Sie erfuhr, Zach lebte von seiner Frau getrennt, obwohl sie ein Kind erwartete. In jenem Monat war Amelia Earhart auf einer Teilstrecke ihres Fluges rund um die Erde bei den Marshall-Inseln verschollen. Zach beharrte darauf,


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