Offen gesagt. Tassilo Wallentin

Offen gesagt - Tassilo Wallentin


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      Widmung

      Für Patricia

      Vorwort

      Regierende kontrollieren und manipulieren Menschen am einfachsten, indem sie ihnen Angst machen. Das hat schon immer funktioniert. Die Angst nimmt dabei stets die Form der Zeit an. Das, was früher das Fegefeuer war, ist heute die Furcht vor dem Ende des Wohlstandes, oder banaler: die Furcht vor dem Ende der Annehmlichkeiten. Bereits eine geringe Gefährdung reicht aus und schon opfern viele Menschen ihre Grund- und Freiheitsrechte. Dies, um sich – für nur sehr kurze Zeit – Sicherheit zu erkaufen. Ich meine damit den sich bereits formierenden Orwell‘schen Überwachungsstaat, den die Menschen als „Schutz vor Terroristen“ bereitwillig hinnehmen: Im Namen der Freiheit wird die Freiheit nun abgeschafft. Überhaupt bedient sich die Politik wieder des Angstmachens: Mit den Schlagworten „too big, to fail“ bzw. „Systemrelevanz“ zwingt man die Bürger in jedes noch so unsinnige politische Vorhaben, Rettungsprogramm oder in die Schuldenunion.

      Die Angst unserer Tage ist aber auf eigentümliche Weise gefahrvoller als früher: Denn mit dem äußeren Erfolg Europas nach dem Zweiten Weltkrieg ging ein tiefe geistige Krise einher. Nihilistische Sozialutopien – wie diejenige von der befreiten Gesellschaft –, falsch verstandene Toleranz und ein einseitiges Geschichtsbild führten zu einem „Sich-selbst-nicht-mehr-mögen“ der Europäer, einer pathologischen Absage an das Eigene und zu einer inneren Leere, die gerade in der nicht-europäischen Welt wie in Asien den Eindruck erweckt, dass unsere Wertewelt bereits abgetreten ist. Was geistig in Europa – neben einem großen geschichtlichen Rahmen und bodenloser Wohlfühl-Ethik – real existiert, ist Materialismus. Sonst nichts. Auch wenn er im modernen Kleid der befreiten Gesellschaft daherkommt. Und je materialistischer die Menschen sind, desto auswegloser wird ihre Angst und ihre Abhängigkeit vom bequemen Leben: Denn ist man Materialist durch und durch, glaubt man also in letzter Konsequenz, dass, wenn dieses Leben vorbei ist, alles zu Ende sei, dann wird jede (Be-)Drohung ganz schnell existentiell. Man hat ja nichts anderes mehr als das eigene „Hiersein“ und das soll möglichst komfortabel sein und bleiben. Man wird sehr leicht erpressbar.

      Fasst man hingegen das Leben geistig-seelisch – „transzendent“ – auf, dann gibt es Punkte, an denen der Mensch durch keine Macht der Erde mehr eingeschüchtert werden kann. Nur schon der Glaube an das, was unvergänglich ist, wird zum „Sieg der Idee über die Materie“. Es formt sich eine Einstellung, die im Menschen das Gefühl reifen lässt, jeder Situation gewachsen zu sein. Es verwundert nicht, dass in vielen Diktaturen schon die bloße Verwendung des Wortes „Transzendenz“ verboten war. Und es verwundert auch nicht, dass „der Mut“ sehr vielen in unserer materialistischen Welt als vernachlässigbare Sekundärtugend gilt; was eine ganz besondere Dummheit ist.

      Meine hier chronologisch wiedergegebenen Kolumnen aus der Krone Bunt samt den bislang nicht publizierten Vorträgen „Der gläserne Mensch“ und „Regulierungswahn“ sollen ein bescheidener Beitrag zu einer unzeitgemäßen Haltung sein.

      Wien, im August 2015

      Der Verfasser

      DER GLÄSERNE MENSCH

      Die Abschaffung des Bargeldes lässt den Albtraum vom vollständig überwachten Menschen Wirklichkeit werden.

      Wobei das Wort „Abschaffung“ die Problematik sogar ein wenig bagatellisiert. Der amerikanische Ökonom Joseph Salerno sagte es treffender; er sprach von einem „war on cash“. Einem Krieg gegen das Bargeld. Und es ist ein Krieg, der gegen das Bargeld geführt wird. Der Ausgang wird darüber entscheiden, ob wir künftig

      – in freien Volkswirtschaften oder Planwirtschaften

      – leben werden,

      – über Nacht enteignet werden können,

      – Regierungen die Politik ihrer Länder überhaupt noch

      – bestimmen können und

      – wir alle zu gläsernen Menschen werden – so wie

      – George Orwell dies in seinem futuristischen und an einen

      – psychotischen Albtraum gemahnenden Buch „1984“

      – beschrieben hat.

      Das Interesse das Bargeld abzuschaffen, liegt längst nicht mehr bei den Kreditkartenfirmen alleine, die ihr Milliardengeschäft wittern. Nicht nur, weil sie geschätzte 0,3 % an jeder Kreditkartentransaktion (mit)verdienen, sondern auch weil sie im großen Stil Kundendaten über uns erhalten. Diese Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts und viele Milliarden Euro wert. Sie müssen sich nur die Wertentwicklung der Facebook-Aktie ansehen. Für die Adresse eines amerikanischen Bürgers gibt es laut einer Untersuchung der OECD 50 Cent, für sein Geburtsdatum zwei Dollar, für seine Sozialversicherungsnummer acht Dollar, für Angaben zu seiner Bonität neun Dollar. Informationen über die Ausbildung kosten 12 Dollar, Angaben über Vorstrafen 15 Dollar, Insolvenzauskünfte 26,50 Dollar.

      Aber wie gesagt, diverse Unternehmen alleine haben den Krieg gegen das Bargeld nicht erklärt. Was den Angriff so brandgefährlich macht, ist, dass mittlerweile Staaten, supranationale Finanzorganisationen und insbesondere die EZB ein ganz ernstes Interesse an der Abschaffung des Bargeldes haben. Die Gründe sind vielschichtig und liegen hauptsächlich in der Eurokrise und dem Krieg gegen den Terror, der zu einer Totalüberwachung der Bürger und leichtfertigen Opferung von Grund- und Freiheitsrechten geführt hat.

      Doch beginnen wir mit der Eurokrise, die in Wahrheit eine multiple Krise ist und Aspekte einer Staatsschuldenkrise, einer Bankenkrise und einer Wirtschaftskrise aufweist:

      Im Zuge der Eurokrise wandelte man die Euro-Zone in eine Schuldenunion um, indem man die Nichtbeistands-Klausel (auch No-Bailout-Klausel) in Art. 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU faktisch außer Kraft setzte, da man einen Dominoeffekt und ein Übergreifen der Krise auf benachbarte Volkswirtschaften befürchtete. Nichtbeistands­pflicht bedeutete, dass kein Staat für die Schulden eines anderen haftet. Also das genaue Gegenteil vom ESM-Rettungsschirm und den 500 Milliarden Haftungsrisiken, den Bankenpaketen und Schuldenerlässen. „Too big, too fail“ heißt die Ausrede seit 2008, die bis heute einen Schrecken ohne Ende bedeutet, anstatt dem Schrecken ein Ende zu setzen.

      Seit Jahren existiert kein Wirtschaftswachstum. Die Staatsschulden sind explodiert und die Maastrichter Konvergenzkriterien gelten faktisch nicht mehr, denn die Staatsverschuldung in der Euro-Zone liegt heute bei durchschnittlich 100 % anstatt der erlaubten 60 % vom BIP. In Griechenland beträgt diese 175–200 % vom BIP. Und auch das sind bereits geschönte Zahlen. Erst vor kurzem hat das griechische Finanzministerium erklärt, die Kennzahlen des Landes massiv manipuliert zu haben. Der sogenannte griechische Haushaltsüberschuss war zu 2/3 erlogen. Die Euro-Zone muss deshalb hunderte Millionen Euro abschreiben.

      Um die Zahlen zu schönen, scheint überhaupt fast alles erlaubt zu sein: Beispielsweise gilt seit 1. 9. 2014 die Verordnung „Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 2010“ (ESVG 2010). Das ist das neue EU-Regelwerk zur Berechnung unseres Wirtschaftswachstums. Die Staaten können nunmehr auch kriminelle Aktivitäten als positiv für das Wirtschaftswachstum in das BIP einrechnen. Der Drogenhandel, Zigaretten-, Waffen- und Atomschmuggel, der Verkauf von Diebesgut, die Steuerhinterziehung, Schwarzgeschäfte, Zollvergehen, das illegale Glücksspiel, die Zahlung von Geldstrafen, die Menschenschlepperei und die illegale Prostitution gelten als positive Faktoren für unser Wirtschaftswachstum. Die Verordnung ESVG 2010 soll das BIP künstlich erhöhen und damit die Schuldenquote fälschlich senken, indem Verbrechen als positiveWirtschaftsleistung eingerechnet werden. Künftig darf also jedes EU-Land die Umsätze aus kriminellen Handlungen selbst „schätzen“ und positiv in seiner Leistungsbilanz vermerken. Wie weit das geht, zeigte Griechenland bereits 2006, als es seine BIP-Statistik gleich um 25 % aufblähte, indem es eine lächerlich große Schattenwirtschaft unterstellte. Die EU wies dies anfangs zwar zurück, „einigte“ sich aber dann mit den Griechen auf „nur“ 9,6 %. Das zeigt die Brisanz von ESVG 2010 sehr deutlich. Doch anders als die Politik richten sich die Investoren, Gläubiger und Märkte dieser Welt nicht nach dummdreisten Lügen, nur weil man sich politisch auf sie geeinigt hat.


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