Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann

Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann


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wo er auf­tauch­te.

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      Die Tat­kraft mei­nes Va­ters setz­te nicht aus. Er war ir­gend­wo mit Roon, dem Kriegs­mi­nis­ter, in Ver­bin­dung ge­kom­men. Der Ge­ne­ral hat­te zu ihm ge­sagt: »Wen­den Sie sich an mich, wenn Sie glau­ben, dass ich Ih­nen ein­mal in ir­gend­ei­ner Sa­che die­nen könn­te!« Das hat­te mein Va­ter nun ge­tan. Ober-Salz­brunn, hat er ihm ge­schrie­ben, ist ein hüb­scher und leis­tungs­fä­hi­ger Ba­de­ort und be­son­ders ge­eig­net, Ge­fan­ge­ne un­ter­zu­brin­gen, Re­kon­va­les­zen­ten oder Ge­sun­de. Das Ein­tref­fen ei­nes Fran­zo­sen­trans­por­tes wur­de dar­auf­hin vom Kriegs­mi­nis­te­ri­um mei­nem Va­ter für Fe­bru­ar an­ge­sagt.

      Lei­der wur­de nicht Wort ge­hal­ten. Mit­ten in Win­ter hob sich in den Lo­gier­häu­sern ein Keh­ren, Wa­schen und Put­zen an, das gleich­sam die Zeit auf den Kopf stell­te. Nach­dem sich dies al­les als über­flüs­sig her­aus­stell­te und die Hoff­nung auf Staats­ver­gü­tung und man­cher­lei sons­ti­ge Sen­sa­ti­on zu Was­ser ge­wor­den war, fiel der gan­ze Ort über mei­nen Va­ter her, als den, der das Un­heil ver­ur­sacht habe.

      Trotz des Ein­spruchs mei­ner Mut­ter wur­de im Hau­se wie­der me­lio­riert. Pri­mi­ti­ve Was­ser­spü­lun­gen wur­den an­ge­legt, fer­ner eine Luft­hei­zung im Klei­nen Saal. Im Orte wuchs der Mut und die Lust zur Ge­sel­lig­keit, und mein Va­ter dach­te dar­an, den Klei­nen Saal auch im Win­ter für Kränz­chen, Bäl­le, Hoch­zei­ten der Ein­ge­ses­se­nen aus­zunüt­zen. Der die Luft er­wär­me­n­de Ofen stand in der Kut­scher­stu­be Un­term Saal, und ich hat­te im­mer schon als Kna­be den Ver­dacht, dass die Luft, die eben­falls von Un­term Saal durch den Schacht in die Höhe stieg, nicht die bes­te sein kön­ne.

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      Um Os­tern war wie­der ein Fa­mi­li­en­tag, der sich, wie alle Fes­te in je­ner Zeit, zu ei­ner Art Sie­ges­fei­er ge­stal­te­te. On­kel und Tan­ten, die wie­der im Blau­en und Gro­ßen Saal durch­ein­an­der­wim­mel­ten, mu­si­zie­rend, schwat­zend, la­chend und pa­trio­ti­sche Re­den hal­tend, wäh­rend wie­der­um drau­ßen die Sta­re pfif­fen, wa­ren be­rauscht ohne Wein: aber dann tat auch er noch das Sei­ne.

      Bis­marck, Bis­marck, Bis­marck war das Lo­sungs­wort. Am 21. März war in Ber­lin der ers­te deut­sche Reichs­tag er­öff­net wor­den, wo­bei Bis­marck den Fürs­ten­ti­tel er­hielt. Er war der Schmied, er hat­te auf sei­nem Am­boss Pin­ke­pank die deut­sche Ein­heit zu­sam­men­ge­schweißt. Er war der He­ros, er hat­te die Kai­ser­kro­ne ge­schmie­det und Kö­nig Wil­helm in die schon er­grau­ten Lo­cken ge­drückt.

      Der Wein mei­nes Va­ters mach­te die Zun­gen der On­kels frei­ge­big. Sie schwo­ren, er habe mit Otto von Bis­marck eine über­ra­schen­de, frap­pan­te Ähn­lich­keit. Vi­el­leicht war et­was Wah­res dran, be­son­ders wenn man den glei­chen Schnurr­bart be­rück­sich­tig­te. Nach sei­ner gan­zen Art in­ter­es­sier­te sich mein Va­ter gar nicht für eine sol­che Ähn­lich­keit. Man stieß aber trotz­dem be­geis­tert auf ihn, gleich­sam den Bis­marck von Salz­brunn, an und ließ ihn meh­re­re Male hoch­le­ben.

      Er war kein Spiel­ver­der­ber und nahm es hin.

      Die Bis­mar­ck­ver­eh­rung mei­nes Va­ters selbst war rück­halt­los, hat­te er doch sei­ne ei­ge­nen, viel­fach zu­rück­ge­stell­ten und ver­bor­gen ge­hal­te­nen Idea­le von 1848 ver­wirk­licht. Es lag aber auch ein Sieg des Gast­hofs zur Preu­ßi­schen Kro­ne über den Dachrö­dens­hof dar­in, der, in­be­grif­fen den Obe­r­amt­mann Gu­stav Schu­bert auf Lohnig, die neue Zeit nicht von Her­zen be­grü­ßen konn­te. Hie Bis­marck, Deut­sches Reich und deut­scher Reichs­tag oben­drein, dort Enge, Par­ti­ku­la­ris­mus, Kon­ser­va­ti­vis­mus, kurz Dachrö­dens­hof. In Bis­marcks Grö­ße und Er­folg lag mei­nes Va­ters Er­folg, Sieg und Recht­fer­ti­gung.

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      Der Früh­ling kam, und er wur­de es in ei­nem noch ganz an­de­ren Sin­ne als bis­her. Die Na­ti­on war auf ein­mal da, die bis da­hin trotz Krieg und Kriegs­ge­schrei kei­ne we­sent­li­che Sub­stanz hat­te. Ich sel­ber wäre wohl noch zu jung ge­we­sen, um na­tio­nal zu sein, aber auch Er­wach­se­ne zo­gen vor, die­ses Ge­fühl, so­fern es groß­deutsch oder all­deutsch war, für sich zu be­hal­ten. Mit ei­nem Male brach es nun aus und her­vor und wur­de zum frisch­tö­nen­den, le­ben­spen­den­den Ele­ment, drin wir alle schwam­men.

      Je­der­mann ahn­te die nun kom­men­de, un­ge­heu­re deut­sche Auf­schwung­zeit, wenn er auch das Gna­den­ge­schenk des kom­men­den, mehr als vier­zig­jäh­ri­gen Frie­dens nicht vor­aus­se­hen konn­te.

      Die Schwei­ze­rei mit ih­ren Wie­sen und ih­ren Him­mels­schlüs­seln hat­te ein ganz an­de­res Ge­sicht. Sie be­stand aus ei­nem Holz­haus im Ber­ner oder Schwarz­wäl­der Stil mit höl­zer­nen Um­gän­gen und da­zu­ge­hö­ri­gem Wei­de­land. Die Schaf­fe­rin, eine sau­be­re Frau, die der Fürst, wie ge­sagt, hin­ein­ge­setzt hat­te, war fröh­lich auf­ge­regt, als wir ei­nes Ta­ges bei ihr ein­kehr­ten.

      Mich traf auf dem Rück­we­ge von dort ein Miss­ge­schick, des­sen Nar­be ich noch am Fin­ger tra­ge, das aber nicht mei­nen Him­mel ver­düs­ter­te.

      Mein Bru­der Carl rief einen klei­nen Hund, den wir frei­ge­las­sen hat­ten und des­sen Lei­ne mir über­ant­wor­tet war, und er kam, zu­rück­ge­blie­ben, an mir vor­bei­ge­rast. Da warf ich ihm sei­ne Lei­ne über. Die­se Dumm­heit, wo­mit ich un­be­dacht das Tier fan­gen und auf­hal­ten woll­te, jag­te mir den Ka­ra­bi­ner, den Ha­ken der Lei­ne, in den rech­ten Zei­ge­fin­ger hin­ein.

      Den Ka­ra­bi­ner aus dem Fin­ger zu lö­sen war nicht leicht, und man sag­te mir, dass ich im­mer wie­der von den Fin­ger­ge­d­är­meln ge­spro­chen hät­te, die her­aus­quöl­len. Es war auf dem Rück­weg, und so muss­ten wir wie­der zur Schwei­ze­rei zu­rück­keh­ren.

      Mein In­stinkt, was die Wund­be­hand­lung be­traf, be­riet mich gut. Ich habe wohl eine Stun­de lang den Fin­ger am Trog der Schwei­ze­rei un­ter den Strahl des im­mer flie­ßen­den Berg­was­sers ge­hal­ten. Von der hilf­rei­chen Schaf­fe­rin dann ver­bun­den, ist er in we­ni­gen Ta­gen zu­ge­heilt.

      Am An­nen­turm blüh­ten wie im­mer die Le­ber­blüm­chen. Wenn schon im Früh­ling al­les Tote le­ben­dig wird, dies­mal zeig­te sich all die­ses Le­ben noch fest­li­cher. Die Gar­ten­ar­bei­ter in den An­la­gen rie­fen ein­an­der lau­te Scher­ze zu, die Gar­ten­wei­ber mit ih­ren Kar­ren und Be­sen des­glei­chen. Die Brun­nen­schöp­fer mit ih­ren Bäs­sen und Tenö­ren du­del­ten »Die Wacht am Rhein« und an­de­re Kriegs­lie­der vor


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