Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann

Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann


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du willst, ich gehe nicht mit; ich müss­te mich schä­men in Grund und Bo­den, wenn ich mei­ne Toch­ter wie ein Pferd auf dem Vieh­markt aus­bie­ten soll­te.«

      Tan­te Eli­sa­beth wühl­te aus an­de­ren Grün­den, näm­lich aus Ei­fer­sucht, ge­gen den Ball. Das al­tern­de Mäd­chen war ziem­lich üp­pig und voll­blü­tig, die Fa­schings­be­lus­ti­gung zog sie wie die al­ler­sü­ßes­te Lo­ckung der Höl­le an, aber sie hät­te den Ball­be­such we­der vor ih­rer Schwes­ter Au­gus­te noch vor ih­ren pie­tis­ti­schen Freun­den ver­ant­wor­ten kön­nen. Sie fing ih­ren Feld­zug ge­gen den dro­hen­den Mum­men­schanz mit Ein­wän­den ge­gen die zu er­war­ten­de ge­misch­te Ge­sell­schaft, ge­gen die Un­sitt­lich­keit der Mas­ken­frei­heit und ähn­li­ches an, be­mä­kel­te dann die Ko­stü­me, an de­nen Mut­ter und Toch­ter sti­chel­ten, und wand­te sich ge­gen die Tanz­sün­de. Trotz­dem sie im End­ziel aber mit mei­nem Va­ter über­ein­stimm­te, zog sie meis­tens vor zu ver­schwin­den, so­bald er in die Nähe kam.

      Tan­te Eli­sa­beth, de­ren im­per­ti­nen­te Ge­gen­wart mei­nen Va­ter al­lein schon auf­reiz­te, fuhr in die­sen Wo­chen wie eine auf­ge­stör­te Hum­mel zwi­schen Dachrö­dens­hof und Kro­ne hin und her, be­la­den mit im­mer neu­en Ein­wän­den, wo­durch die Reiz­bar­keit al­ler Be­tei­lig­ten ge­stei­gert wur­de. Ei­nes Ta­ges ver­bot mein Va­ter dann ge­ra­de­zu Tan­te Eli­sa­beth das Haus, sprach aber zu­gleich von Mäd­chen- und Men­schen­han­del, an dem er sich kei­nes­falls be­tei­li­gen wer­de.

      Auch mei­nem Bru­der Carl und mir schi­en das Ge­tue um mei­ne Schwes­ter vor dem Ball et­was Fremd­ar­ti­ges. Mus­ter­kna­ben wa­ren wir nicht. Als wir sie nun von mei­ner Mut­ter, der Schnei­de­rin, Tan­te Eli­sa­beth und den Haus­mäd­chen fei­er­lich wie ein Op­fer­lamm be­han­delt sa­hen, er­gin­gen wir uns in al­ler­hand Ne­cke­rei­en, auf die sie je nach­dem mit La­chen, mit Er­re­gung oder mit Ent­rüs­tung ant­wor­te­te. So­gar bis zu Trä­nen brach­te sie un­se­re Un­barm­her­zig­keit.

      Jo­han­na Ka­tha­ri­na Rosa nann­ten wir sie mit den Na­men, die sie bei der Tau­fe er­hal­ten hat­te, und füg­ten einen wahr­haft Ra­be­laiss­chen Reim dar­an. Der Re­spekt vor der »hö­he­ren Toch­ter« hielt sich nun ein­mal im häus­li­chen Krei­se nicht. Auch fühl­ten wir kei­nen Re­spekt vor Ball­klei­dern. Wir mal­ten aus, wie sie ihr zar­tes Pen­si­ons­köpf­chen beim Tanz an die Brust des be­trun­ke­nen Bau­ers Ru­dolf le­gen wür­de oder an die des schwind­sucht­kran­ken Brief­trä­gers oder an Glas­ma­ler­meis­ter Ger­titsch­kes Kopf, der sich nach Her­mann des Che­rus­kers bei den Rö­mern üb­li­chem Na­men Ar­min nann­te.

      *

      Es scheint, dass auch Fräu­lein Mat­hil­de Jasch­ke, das nun ver­wais­te von Ran­dow­sche Pfle­ge­kind, bei die­ser Un­ter­neh­mung ab­seits blieb. Auch ohne das Trau­er­jahr, in dem sie stand, wür­de es kaum an­ders ge­we­sen sein. Ihr Ein­fluss war, wie ich glau­be, so­wohl durch ei­ge­nen Ent­schluss wie durch den mei­ner Mut­ter aus­ge­schal­tet, die noch ein­mal müt­ter­li­che Ge­walt über ihre Toch­ter mit letz­ter Ent­schie­den­heit aus­üb­te.

      *

      Der Abend ist schließ­lich her­an­ge­kom­men. Un­ser ge­schlos­se­ner Lan­dau­er stand vor der Tür. Mei­ne ge­putz­te, mit grü­nem Tüll dra­pier­te Schwes­ter wur­de dem Va­ter vor­ge­führt. Er schi­en ent­setzt. Mit ei­nem so auf­ge­don­ner­ten Frau­en­zim­mer zu er­schei­nen, sei für ihn ein Ding der Un­mög­lich­keit. Man kann sich den­ken, wel­che Wir­kung ein sol­ches Ur­teil eine Vier­tel­stun­de vor Be­ginn des Bal­les bei Schwes­ter und Mut­ter hat­te.

      Wie es in sol­chen Fäl­len üb­lich ist, wur­de zu­nächst das gan­ze Fest in Bausch und Bo­gen auf­ge­ge­ben. Mei­ne Schwes­ter schloss sich in ih­rem Zim­mer ein und er­klär­te, sie wol­le zu Bet­te gehn. Mei­ne Mut­ter, in ih­ren Be­mü­hun­gen, mit we­nig Geld et­was Kleid­sa­mes her­zu­stel­len, nach An­sicht ih­res Gat­ten ge­schei­tert, war au­ßer sich. Es ent­spann sich ein hef­ti­ger Wort­wech­sel, bei dem nach und nach wie­der ein­mal al­les das zu­ta­ge kam, was sie ge­gen ih­ren Mann auf dem Her­zen hat­te.

      »Das ist es eben: du ziehst dich zu­rück, du bist ein ein­sa­mer Son­der­ling«, sag­te sie. »Du magst es nicht, wenn man fröh­lich ist. In un­se­rer Fa­mi­lie war Fröh­lich­keit und Got­tes­furcht. Wir gönn­ten ein­an­der ein Ver­gnü­gen. Mein Va­ter hat­te ein klei­nes Ge­halt, er muss­te mit sei­nen Pfen­ni­gen haus­hal­ten. Aber wenn er mei­ner Mut­ter oder uns Kin­dern ein Ver­gnü­gen ma­chen konn­te, so gab er mit vol­len Hän­den. Ich habe dir doch wahr­haf­tig zeit mei­nes Le­bens kei­ne Kos­ten ge­macht. Die paar sei­de­nen Klei­der, die ich be­sit­ze, und auch das, das ich an­ha­be, hat mei­ne Mut­ter schon ge­tra­gen. Ehe ich dich um einen Gro­schen zu bit­ten wage, bei­ße ich mir lie­ber die Zun­ge ab. Was liegt mir denn schließ­lich an dem Ball? Wa­rum aber soll Hann­chen nicht ein­mal ihr Ver­gnü­gen ha­ben? Wa­rum musst du uns denn al­les und al­les ver­gäl­len mit dei­ner Bit­ter­keit, dei­ner schlech­ten Lau­ne, dei­ner Men­schen­feind­lich­keit? Da will ich doch lie­ber gar nicht le­ben, als im­mer und ewig un­ter ei­nem sol­chen Dru­cke zu sein. Wenn ich den­ke, mein gu­ter Va­ter … Wenn ich an mei­ne lie­be, gute, im­mer hei­te­re Mut­ter den­ke! Aber das ist es, es herrscht hier kein Glau­be, kein Gott­ver­trau­en. In die­sem Hau­se herrscht kei­ne Got­tes­furcht …« Und so ging es fort.

      Mein Va­ter mach­te die­sem über­stürz­ten Re­de­fluss auch da­durch kein Ende, dass er ihn wie eine Li­ta­nei be­han­del­te, die er längst von An­fang bis zu Ende aus­wen­dig wis­se. Es war nicht ab­zu­se­hen, wie man nach ei­nem sol­chen Prälu­di­um doch noch auf den Ball kom­men kön­ne.

      Aber da griff der Halb­bru­der mei­nes Va­ters, der her­zens­gu­te, stot­tern­de On­kel Gu­stav Haupt­mann, ein, der ein­mal einen fran­zö­si­schen Gast mit den Wor­ten emp­fan­gen hat­te: »Une cham­bre, une cham­bre, wenn ich fra­gen darf?« – Es ge­lang ihm, Jo­han­na um­zu­stim­men. Sie wur­de von ihm still­schwei­gend in den Wa­gen und auf den Ball ge­bracht, was die El­tern zu ih­rem Er­stau­nen er­fuh­ren, als der Lan­dau­er, um auch sie ab­zu­ho­len, wie­der­um vor der Kro­ne stand. Und wirk­lich, nach al­le­dem stak dann das Haupt mei­nes Va­ters un­ter dem rie­si­gen Drei­mas­ter-Tin­ten­fass, was einen recht jä­hen Sprung von der Tra­gik zur Ko­mik be­deu­te­te.

      *

      Über dem Abend stand je­doch über­haupt kein gu­ter Stern. Ein Pro­vi­sor des Apo­the­kers Lin­ke fühl­te sich durch die grü­ne Far­be des Stof­fes be­un­ru­higt, den mei­ne Schwes­ter trug. Er stell­te fest, nach­dem er eine klei­ne Pro­be des Stof­fes an ei­nem Streich­holz ver­brannt hat­te, dass er nach Knob­lauch roch, also ar­se­nik­hal­tig war. Der Jüng­ling woll­te wahr­schein­lich auf­fal­len. Mei­ne Mut­ter und mei­ne Schwes­ter lach­ten ihn aus. Aber er konn­te nicht da­für ste­hen, dass mei­ne Schwes­ter, wenn sie tan­ze und tran­spi­rie­re, ohne eine schwe­re Ver­gif­tung da­von­kom­me. Das war für mei­nen Va­ter zu viel. In ei­nem Zim­mer der Men­de­schen Braue­rei hat­te er be­reits ganz in der Stil­le sein Tin­ten­fass und sei­nen Do­mi­no ab­ge­legt. Es war noch nicht elf. Das Ver­gnü­gen hat­te ei­gent­lich noch nicht recht an­ge­fan­gen, als man schon wie­der die Gum­mi­schu­he in der Gar­de­ro­be über­zog und, in Pel­ze ver­mummt, sich in ver­bit­ter­ter und ent­täusch­ter Stim­mung da­von­mach­te.

      *

      Um die Os­ter­zeit etwa wur­de für mich mein äl­tes­ter


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