Alles ist Zufall. Theodor Fontane
Frau vor kaum überwindbare Probleme stellte, veranlasste ihn einmal mehr, sich den Notwendigkeiten zu stellen und über seinen Schatten zu springen.
Nach sechs Monaten ohne feste Anstellung begann er als sog. englischer Korrespondent in der erzkonservativen Kreuzzeitung, die bis dahin nicht zu seinen bevorzugten Blättern zählte. Zwar hatte er während seines Aufenthaltes in England dort schon hin und wieder publiziert, doch die freie Mitarbeit bedeutete etwas völlig anderes als die feste Anstellung in einem Blatt, dass als Reaktion auf die Revolution ins Leben gerufen worden war und das Eiserne Kreuz als Emblem im Titel trug. Die »Kreuz« stand dem Hofe und der preußischen Regierung nahe. Einmal mehr erwies Fontane sich als pflichtbewusst, wenn es darum ging, die Existenz der Familie zu sichern. Jedoch ist zu erwähnen, dass die Redaktion der »Kreuz« ihren Mitarbeitern erhebliche Freiräume bot, solange sie zu Krone und Staat loyal blieben. Dies war für Fontane selbstverständlich. Er musste sich nicht verbiegen und lernte das Arbeitsklima mehr und mehr schätzen. Bei der »Kreuz« schrieb er seine Wanderungen durch die Mark Brandenburg, hier versuchte er sich als Berichterstatter der drei preußischen Kriege und publizierte seine ersten Kriegsbücher. Hier machte er sich einen Namen als dem Staat und dem Adel verpflichteter Autor. Rückblickend bezeichnete er diese Jahre als die glücklichsten zehn Jahre seines Lebens.
Fontane war ein Meister der Anpassung. Aber ihn als Opportunisten zu bezeichnen, wäre falsch. Er lebte vielmehr in dem Spannungsverhältnis, sein Pflichtbewusstsein und sein Arbeitsethos mit seinem Leben als unbekümmerter und zur Leichtsinnigkeit neigender Künstler, kurz Bohemien, sein Streben nach einem bürgerlichen Leben in Wohlstand mit seiner schriftstellerischen Leidenschaft, seine öffentliche Anerkennung als angesehener Autor mit seinem Erwerbsleben in Einklang zu bringen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, gelang es ihm auch in staatlichem Auftrag, seine Haltung zu bewahren und seine Ideale zu verteidigen. Er strebte nach einem Leben in Freiheit in einer humanen Gesellschaft. Doch immer wieder machten ihm sein Geltungsbedürfnis, seine Abneigung gegen jedwede Form der Subordination und seine Eitelkeit einen Strich durch die Rechnung. So kam es im April 1870 nach einer Kontroverse mit dem Chefredakteur zu einer abrupten Beendigung der Zusammenarbeit, weil Fontane keine dauerhafte Zukunft mehr für sich in der »Kreuz« sah. Er nutzte die Reise seiner Frau nach London, damit er sich nicht vor ihr rechtfertigen musste und erklärte sich in ihrer Abwesenheit. Eine schwere Ehekrise war die Folge, denn Emilie fürchtete nicht zu Unrecht, erneut in wirtschaftliche Turbulenzen mit nunmehr vier Kindern zu geraten. Denn trotz beachtlicher literarischer Erfolge und öffentlicher Anerkennung reichten die Einnahmen ihres Mannes nur schwerlich aus, ein standesgemäßes Leben zu führen.
Einmal mehr stand das Glück Fontane zur Seite. In der liberalen Vossischen Zeitung wurde die Stelle des Theaterkritikers frei. Er bewarb sich und erhielt den Zuschlag, obwohl zwischen der »Vossin«, wie er sie nannte, und der »Kreuz« politisch Welten lagen. Mehr als einmal hatte Fontane erfahren, mit welcher Ablehnung gerade in liberal-intellektuellen Kreisen von der »Kreuz« gesprochen wurde. Den Zuspruch erhielt er nicht als politischer Redakteur, sondern als anerkannter und inzwischen über Berlin hinaus geschätzter Schriftsteller. So hielt diese Zusammenarbeit, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, fast zwanzig Jahre. Fontane eröffneten sich dadurch neue Leserkreise. Er wurde zu einer stadtbekannten Persönlichkeit. Seine Kritiken setzten Maßstäbe, obwohl er im engeren Sinne des Wortes kein Theaterfachmann war. Vielmehr erwies er sich als ein hellsichtiger, feinfühliger Beobachter, der seine Unabhängigkeit nutzte und mit eigenem unverstellten Blick auf die Bühne schaute. Dabei hatte er den Zeitgeist stets fest im Blick. Schnell geriet seine vorherige Verbindung zur »Kreuz« bei den Lesern seiner Theaterkritiken in Vergessenheit. Unterbrochen wurde seine Tätigkeit durch den deutschfranzösischen Krieg und seine Bewerbung auf die Stelle als »Ständiger Sekretär der Akademie der Künste«. Diese hochdotierte und angesehene Beamtenstelle weckte sein Interesse. Er sah darin die Chance, seine berufliche Laufbahn auf festen Grund zu stellen und endlich einen Weg einzuschlagen, der ihm nicht nur hohes Ansehen verschaffen würde, sondern auch im Alter feste, gut auskömmliche Bezüge. Der alte Widerstreit zwischen einem Künstlerleben in Freiheit und einem Beamtenleben in Abhängigkeit trat erneut hervor. Dass seine Frau diese Bewerbung unterstützte, versteht sich nach den zurückliegenden Turbulenzen des Schriftsteller-Daseins von selbst. Seine Majestät äußerte Bedenken, da er in Fontane nicht den für diese Position geschaffenen Kandidaten erblickte. Dennoch gelang es mit Hilfe seiner Freunde aus dem Umfeld des »Tunnels«, diese Vorbehalte zu überwinden. Im März 1876 wurde er in sein neues Amt eingeführt. Doch die Bedenken des Königs von Preußen und Deutschen Kaisers Wilhelm I. bestätigten sich. Fontane zeigte sich dem Ränkespiel zwischen den Akademie-Oberen und den allgemeinen Akademie-Angelegenheiten nicht gewachsen und reichte nach wenigen Wochen sein Entlassungsgesuch ein. Da der preußische König ihn förmlich berufen hatte, musste er ihn auch um »gnädigste Entlassung« bitten. Seinem Verhältnis zu Wilhelm I. war dies nicht förderlich. Emilie war schockiert. Die Ehe stand vor dem Scheitern. Doch Fontane konnte auf seine Position als Theaterkritiker zurückkehren, so dass diese Episode keine erneuten existenziellen Probleme auslöste. Eher war das Gegenteil der Fall. Fortan kannte Fontane seinen Platz in der Gesellschaft und Familie. An der Seite seiner Frau schlug er als Schriftsteller ein neues Kapitel in seinem Leben auf. Nie mehr trug er sich fortan mit dem Gedanken, eine feste Anstellung beim Staat oder bei Hofe anzunehmen. Vielmehr ließ er sich auf das ein, was er schon immer sein wollte: zu allererst Fontane – ein freier, nur sich selbst verpflichteter Schriftsteller.
Inzwischen Mitte Fünfzig gelang es ihm, noch einmal von vorne anzufangen, oder sollten wir sagen, als Schriftsteller einen neuen Weg einzuschlagen. Denn er blieb seiner Mitgift verbunden. Er begann seinen bereits vor Jahren begonnenen, aber immer wieder unterbrochenen Roman Vor dem Sturm zu vollenden. Er erschien 1878. Sein »Schmerzenskind«, weil er nach vielen inneren Widerständen endlich fertig gestellt wurde, entwickelte sich zu einem Debut mit weitreichenden poetischen Perspektiven. Seinem Verleger Wilhelm Herz schrieb er Ende der siebziger Jahre: »so lächerlich es klingen mag, ich darf – vielleicht leider – von mir sagen: ›ich fange erst an.‹ Nichts liegt hinter mir, alles vor mir; ein Glück und ein Pech zugleich.« Mit knapp sechzig Jahren war dies im 19. Jahrhundert eine mutige Ansage, die einmal mehr davon zeugte, dass Fontane mit einem guten Selbstbewusstsein und noch größerem Lebensoptimismus ausgestattet war. Beides hatte ihm besonders sein Vater mit auf den Weg gegeben. Und er sollte in dieser Lebenseinschätzung Recht behalten. Die Kritik bescheinigte ihm, ein großes Thema mit tiefem Ernst aber eben so viel Humor gestaltet zu haben.
In den folgenden Jahren schrieb Fontane zahlreiche weitere Romane und leitete damit nach eigenem Empfinden die literarisch produktivste Phase seines Lebens ein. Sie wurde zu einer Erfolgsstory, die bis in unsere Tage hineinreicht. So gesehen bewirkte die Episode als Sekretär der Akademie der Künste einen Wandel, der Fontane zu sich selbst führte und die auf sein Leben einwirkenden schöpferischen aber auch widersprüchlichen Kräfte harmonisierte. Seine späten Romane zeugen von dem »neuen« Fontane, der sich allerdings bereits mit Vor dem Sturm ankündigt hatte. In seinem Alterswerk – Unwiederbringlich, Frau Jenny Treibel, Die Poggenpuhls und eben die Meisterwerke Effi Briest und Der Stechlin – fand er zu einer Schreibweise, die später als »Fontane-Ton« charakterisiert wurde. Mit seinem unnachahmlichen, verbindlich daherkommenden Plauderton gelang es ihm, das allzu Menschliche mit einer sanften Gesellschaftskritik zu verbinden. Ohne zu verletzen oder zu schulmeistern hielt er seinen Zeitgenossen den Spiegel vor. Diese »verantwortungsvolle Ungebundenheit«, wie sie Thomas Mann bezeichnete, erlaubte ihm, die Neureichen wie den sich an seine Privilegien klammernden Adel in die Pflicht zu nehmen und auf ihre gesellschaftliche Verantwortung hinzuweisen. Während dies in seinen Romanen in abwägender, stets vermittelnder Form geschah, die dem vorgetragenen Urteil oder der geäußerten Meinung Raum für Widerspruch ließ und dieser auch formuliert wurde, äußerte er sich in seinen Briefen oft unverblümt über die ihn bekümmernden Zeiterscheinungen. Dabei schonte er weder den Kaiser noch seine Umgebung. Bismarck, den er in mehreren Gedichten würdigte und in seinen Romanen hier und