Heinrich der Löwe. Joachim Ehlers

Heinrich der Löwe - Joachim Ehlers


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III. hatte seinen damals wohl achtjährigen Sohn Friedrich von Rothenburg für die Nachfolge vorgesehen, und erst mit großen Wahlversprechungen, die das Kind nicht machen konnte, zog der ältere Vetter die entscheidenden Wähler auf seine Seite.4 Mehrere (allerdings erst nach 1180 schreibende) Autoren berichten von weiteren Manipulationen Friedrichs. Gislebert von Mons, Kanzler des Grafen Balduin V. von Hennegau, erwähnt – leider ohne Namen zu nennen – vier Kandidaten, gegen die sich Friedrich mit Absprachen hätte durchsetzen müssen,5 und zu Anfang des 13. Jahrhunderts weiß ein Chronist aus Laon sogar von einer Mehrheit für Heinrich den Löwen, die Friedrich nur mit List und Mühe habe umstimmen können.6 Dieser anonyme Autor, vermutlich ein englischer Kleriker, schrieb seit Mitte des 12. Jahrhunderts weitgehend aus eigener Kenntnis über französische und englische Zeitgeschichte; es könnte demnach sein, daß Heinrich der Löwe diese Version nach 1182 während seines Exils in England verbreitet hat. Die den Welfen nahestehende Chronik des Lüneburger Benediktinerklosters St. Michael wies zwischen 1229 und 1233 darauf hin, daß der Kaiser Heinrich dem Löwen Gutes mit Bösem vergalt, als er ihn aus seinen Herzogtümern vertrieb, denn Heinrich habe ihm doch einst zum Königtum verholfen.7

      Wie es sich hier im einzelnen auch verhalten haben mag: Sicher ist, daß bei der Wahl eine Gruppe von weltlichen Fürsten maßgeblich für Friedrich eintrat, die ihren eigenen Aufstieg betrieben und konkrete Ziele ins Auge gefaßt hatten. Sie sahen dabei über Deutschland hinaus und planten im größeren Rahmen des Kaiserreiches, hatten also auch Oberitalien und Burgund im Blick. Unter ihnen ist an erster Stelle der Onkel Heinrichs des Löwen und Friedrichs I. zu nennen, Welf VI., der sich vom künftigen König die Einsetzung als Herzog von Spoleto, Markgraf der Toskana und Fürst von Sardinien versprechen durfte; ferner der bayerische Pfalzgraf Otto von Wittelsbach und der Markgraf der sächsischen Nordmark Albrecht der Bär, die auf königliche Förderung beim Aufbau eigener Landesherrschaften hofften; ferner Herzog Berthold von Zähringen, der noch in diesem Wahljahr 1152 als Stellvertreter des Königs das Rektorat über Burgund erhalten sollte, und besonders Heinrich der Löwe, der seiner sächsischen Herzogswürde die dem Vater einst entzogene bayerische hinzufügen wollte.8

      Heinrich der Löwe war der jüngste dieser Herren, nahezu gleichen Alters wie ein anderer Großer des Jahrhunderts, dem er später persönlich nahestehen sollte. Am 18. Mai 1152, während der Herzog von Sachsen am ersten großen Hoftag des neugewählten Königs Friedrich in Merseburg teilnahm, heiratete in Poitiers der neunzehnjährige Graf Heinrich von Anjou, Herzog der Normandie, die Erbin des Herzogtums Aquitanien, Eleonore, deren Ehe mit dem französischen König Ludwig VII. soeben geschieden worden war. Durch seine Mutter hatte Heinrich Ansprüche auf den englischen Thron, und nach seiner Krönung am 19. Dezember 1154 in London war er mit einundzwanzig Jahren König von England, Herzog der Normandie und von Aquitanien, Graf von Anjou und Maine. Heinrich II. durfte sich als einziger europäischer Herrscher mit dem Kaiser vergleichen, war als König weit mächtiger als dieser9 und unter den europäischen Monarchen eine Ausnahmeerscheinung wie Heinrich der Löwe eine unter den deutschen Fürsten. Vielleicht wußte der Welfe damals schon, daß er in ihrem Kreis ein Außenseiter war und immer bleiben würde. Gewiß teilte er mit ihnen die Liebe und den Willen zur Macht, aber bei ihm war beides besonders ausgeprägt und paarte sich als dominierende Leidenschaft verhängnisvoll mit der Neigung, Gegner zu unterschätzen.

      Seines Ranges war er sich jedenfalls früh bewußt und sollte ihn oft betonen: »Heinrich von Gottes Gnaden Herzog von Sachsen, Sohn Herzog Heinrichs von Bayern und Sachsen und seiner Gemahlin Gertrud, der Tochter Kaiser Lothars und der Kaiserin Richenza« (Heinricus dei gratia dux Bawarie et Saxonie, filius Heinrici ducis Bawarie et Saxonie et contectalis eius Gerthrudis, filie Lotharii imperatoris et Richence imperatricis) ließ er sich vor 1154 in einer seiner Urkunden nennen.10 »Von Gott, unserem Schöpfer, sind wir durch Reichtum, Ruhm und Macht barmherzig erhöht worden«, diktierte 1157 einer seiner Kanzleinotare im Namen des Herzogs, und »weil wir von Gott auf den Gipfel der Ehren berufen sind«, erhielt die Mindener Domkirche am 1. Februar 1168 einen Bauernhof geschenkt, an dem Tag, »als Heinrich, Herzog von Bayern und Sachsen, Mathilde heiratete, die Tochter des Königs von England«.11 Er wußte auch, daß er karolingischer Abstammung war, später Nachkomme des großen Kaisers Karl, dem die europäische Christenheit ihre politische und zivilisatorische Existenz verdankte, das große Vorbild erfolgreicher, richtiger und gerechter Herrschaft in dieser Welt neben dem biblischen König Salomo und dem römischen Kaiser Konstantin.

      Heinrichs hohe Abkunft erwähnten auch ausländische Autoren. Der für seine genauen Personenschilderungen berühmte Italiener Acerbus Morena, der dem Herzog selbst begegnet war, hat uns die einzige etwas ausführliche Beschreibung von dessen Äußerem hinterlassen: »Herzog Heinrich von Sachsen . . . war von mittlerer Größe, wohlgestaltet, verfügte über Körperkräfte, hatte ein stolzes Antlitz, große und schwarze Augen, ebenso fast schwarze Haare, war hochherzig, reich an Vermögen und Macht; er stammte aus hochadligem Geschlecht und war der Sohn der Tochter des früheren Kaisers Lothar.«12 Die schwarzen Augen und Haare hatte Heinrich vielleicht von seinen italienischen Vorfahren aus dem Haus Este geerbt, die den jüngeren Welfen dieses charakteristische Merkmal hinterlassen haben, so daß der Großvater des Löwen geradezu den Beinamen »der Schwarze« geführt hat. Fast ebenso präzis wie Acerbus Morena beobachtete der englische Mönch Gervasius von Canterbury; als Historiograph seiner Zeit bemühte er sich um politische Analyse der erzählten Geschichte und wollte in seinem Bericht zu 1184 erklären, warum Heinrich der Löwe ins englische Exil gehen mußte: »Er war von hochadliger Abkunft und ein Verwandter des Kaisers, ein hervorragender Ritter, von schlanker Gestalt, aber zu sehr entstellten Geiz und Untreue seinen Edelmut und seinen Ruhm. Das Seine hielt er zäh fest und begehrte fremdes Gut, er war hochmütig, allzu stolz, und er hielt, was einem Fürsten besonders übel ansteht, kaum jemandem unverbrüchlich die Treue.«13 Für eine Zeit, deren Gesellschaftsordnung auf dem Lehnrecht basierte, das als grundlegende und jedenfalls formal verbindliche Norm die Treue (fidelitas) des Herrn gegenüber seinen Vasallen, der Vasallen gegenüber ihrem Herrn enthielt, sind das harte Worte zur Kennzeichnung eines offenbar problematischen Charakters. Ohne Treue konnte auch niemand Ritter (miles) sein, schon gar nicht ein hervorragender (optimus), so daß jedem Leser oder Hörer der fast ironisch vermittelte Widerspruch zwischen Lob und Tadel überdeutlich werden mußte.

      Beschrieb Gervasius von Canterbury den alternden Herzog und zog dabei die Summe aus allen Erfahrungen und Gerüchten, die man ihm zugetragen hatte, so lieferte der deutsche Kleriker Rahewin als Fortsetzer des schon erwähnten Geschichtswerkes seines Bischofs Otto von Freising zum Jahre 1159 ein Porträt aus früheren Zeiten, das trotz persönlicher Begegnungen mit Heinrich dem Löwen zwischen 1152 und 1158 auf den ersten Blick eigentümlich lau, gelehrt und behäbig wirkt: »Dieser Fürst war . . . der Sohn des Herzogs Heinrich und Gertruds, der Tochter des Kaisers Lothar. Er hatte schon in der frühsten Kindheit Vater und Mutter verloren; herangewachsen, war er außerordentlich kräftig und schön, besonders aber besaß er hohe Geistesgaben. Er verweichlichte sich nicht durch Luxus und Trägheit, sondern übte sich, wie es bei den Sachsen üblich ist, im Reiten und Speerwerfen und lief mit seinen Altersgenossen um die Wette. Obwohl er alle an Ruhm übertraf, war er doch bei allen beliebt. Er strebte, wie jemand sagt (gemeint ist der römische Geschichtsschreiber Sallust, dessen stilistisches Vorbild den ganzen Text Rahewins bestimmt), nach Selbstbeherrschung (modestia) und Anstand (decor), vor allem aber nach Strenge (severitas). Mit dem Tüchtigen konkurrierte er in Tüchtigkeit, mit dem Bescheidenen an Sittsamkeit, mit dem Unschuldigen an Enthaltsamkeit, er wollte lieber gut sein als scheinen. Je weniger er nach Ruhm strebte, um so mehr erwarb er ihn sich. Bei allen rühmlichen Unternehmungen tat er das meiste, aber er redete am wenigsten von sich.«14 Mit rhetorisch gestelzten Formulierungen aus Sallusts Werken über den Numiderkönig Iugurtha und den verschwörerischen römischen Praetor Catilina hob Rahewin Heinrichs Tugenden hervor, die denen der römischen Republik durchaus entsprachen; im Krieg seien Strenge und Charakterfestigkeit (constantia) so bestimmende Qualitäten, daß man den Herzog mit Cato vergleichen könne.

      Bringt man die gemeinsamen Elemente aller Berichte zusammen, so hat man sich Heinrich den Löwen als dunkelhaarigen, gutaussehenden, schlanken und körperlich durchtrainierten Mann vorzustellen, von hoher Intelligenz und militärisch tüchtig. In hochadliger Familie früh verwaist, hatte er offenbar beizeiten gelernt, sich durchzusetzen, einen starken Sinn für Besitz und Erwerb auszubilden und sein bis zur Arroganz übersteigertes


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