Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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den Verdacht des Proselytismus gestellt werden.356

      3. Das Adjektiv/Substantiv „catholicus“ fungiert in den Konzilstexten nicht nur als Bezeichnung der Denomination „(römisch-)katholisch“, sondern wird auch im ursprünglich qualitativen Sinne verwendet, so wie ihn die Kirchenväter, allen voran Ignatius von Antiochien, erstmals zur Bezeichnung der postulierten „Ganzheit“ der Kirche im Sinne des Griechischen ὅλος verwendeten: Weil Christus Haupt der Kirche und in ihr auf sakramentale Weise bleibend gegenwärtig ist, beansprucht sie das Ganze zu sein und die Heilsfülle in einem allumfassenden, vollständigen, verdichteten Sinn in sich zu tragen, dies – und hier kommt die heilsuniversale Bedeutung der Kirche für die gesamte Menschheit zum Tragen – nicht nur für diejenigen, die zum Glauben an Christus gekommen sind und der Kirche angehören, sondern für alle Menschen. Aufgrund dieser Katholizität „nach innen“ (intensive Katholizität) komme der Kirche, so die Kirchenväter, universale Geltung zu, die wiederum Garant und Ausdruck ihrer allgemeingültigen Wahrheit sei.

      Das Zweite Vatikanum entdeckt das im Zuge der Reformation zunehmend verloren gegangene qualitative Verständnis von Katholizität wieder. In ihrer Kirchenkonstitution bezeichnet es die (römisch-)katholische Kirche als das „allumfassende[…] Heilssakrament“ (LG 48), „das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1). Dabei vertritt es nicht – wie frühere Konzilien – einen Exklusivismus, sondern bemüht ein betont inklusivistisches Selbstverständnis der (römisch-)katholischen Kirche, die, auch wenn sie „heilig“ und „katholisch“ ist, dennoch sündige Kirche und damit ihrer eschatologischen Vollendung bedürftig bleibt: „Kirche ist [zwar] schon auf Erden durch eine wahre, wenn auch unvollkommene Heiligkeit ausgezeichnet. Bis es aber einen neuen Himmel und eine neue Erde gibt, in denen die Gerechtigkeit wohnt (vgl. 2 Petr 3,13), trägt die pilgernde Kirche in ihren Sakramenten und Einrichtungen, die noch zu dieser Weltzeit gehören, die Gestalt dieser Welt, die vergeht, und zählt selbst so zu der Schöpfung, die bis jetzt noch seufzt und in Wehen liegt und die Offenbarung der Kinder Gottes erwartet (vgl. Röm 8,19–22)“ (LG 48).

      Das Ökumenismusdekret macht deutlich, wie das Konzil die (römisch-)katholische Kirche auf qualitative Weise, eben aufgrund ihrer qualitativen (intensiven) Katholizität als „allgemeine Hilfe zum Heil“ (UR 3,5) versteht, durch nur die und in der man „die ganze Fülle der Heilsmittel“ (UR 3,5) erreichen kann und weshalb sie wahrlich „katholische Kirche Christi“ (UR 3,5) im qualitativen Sinne nicht nur heißt, sondern auch ist. Nicht aus ihr selbst geht diese Fülle hervor; nicht ihre quantifizierbare Weite, d.h. ihre geographische, zeitliche oder zahlenmäßige Ausgedehntheit, machen sie zum universalen Sakrament der Kirche Jesu Christi, sondern ihre sakramental vermittelte qualitative Fülle, die einzig und alleine „von Christus herkommt und zu Ihm hinführt“ (UR 3,2).

      LG 8 spricht im selben Bewusstsein davon, dass die Kirche Jesu Christi „in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet […] in der katholischen Kirche [subsistiert], die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird“ (LG 8,2). Dass die Konstitution ausdrücklich auf das „römisch“ zur Bezeichnung der (römisch-)katholischen Kirche verzichtet, betont einerseits, dass das „katholisch“ hier – mit Blick auf die mit Rom unierten Ostkirchen – in einem „weiteren“ konfessionellen Sinne zu verstehen ist, als ein rein „römisch-katholisch“ implizieren würde. Auch wird deutlich, dass das „katholisch“ nicht ausschließlich als Denominationsbezeichnung gelesen werden muss, sondern – wie in UR 3 – auf die der (römisch-)katholischen Kirche zukommende qualitative Katholizität hinweist, die ihr kraft ihres Wahre-Kirche-Jesu-Christ-Seins zukommt, wie den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften substantiell auch. Anderseits trägt die Auslassung des „römisch“ dem neueren Selbstverständnis von (römisch-)katholischer Kirche Rechnung, dass sie sich nicht mehr in absoluter (d.h. ausschließlicher und ausschließender) Weise mit der Kirche Jesu Christi identifiziert, wie es noch das frühere „est“ zum Ausdruck brachte, sondern sich, analog zum „unvermischt und ungetrennt“ des christologischen Dogmas, in größtmöglicher Einheit mit dieser sieht bei dennoch bleibender Verschiedenheit von ihr. Dieses auf dem „subsistit in“ basierende sakramentale (d.h. analoge, statt univoke) Selbstverständnis der (römisch-)katholischen Kirche ermöglicht eine inklusivistische Sicht auf die (römisch-)katholische Kirche, die es zulässt zu denken, dass „außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen“ (LG 8,2). (Römisch-)katholische Kirche ist „katholisch“, d.h. „ganz“ im qualitativen Sinn, ohne dies aber in absoluter und dadurch exkludierender Weise zu sein: Nirgendwo ist die Kirche Jesu Christi und damit deren Katholizität so „dicht“, so „ganz“, so „vollständig“ verwirklicht wie in der (römisch-)katholischen Kirche, so dass sie zu Recht „katholisch“ heißt; aber die Kirche Jesu Christi ist auch in den anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu finden, weshalb auch ihnen das Prädikat „katholisch“ gleichermaßen zukommt. Hierbei gilt zu betonen, dass den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften Katholizität nicht von der (römisch-)katholischen Kirche zukommt; nicht das gilt als „katholisch“, was „römisch“ ist, sondern was wahre Kirche Jesu Christi auszeichnet und als solche repräsentiert. Folglich ist Kirche Jesu Christi und damit Katholizität überall dort gegeben, wo immer – wie Ignatius sagt – Jesus Christus vergegenwärtigt ist: d.h. wo eine Gemeinschaft von getauften Christen in seinem Namen versammelt ist und auf sein befreiendes Wort hört, wo Christen im Herrenmahl mit Christus und untereinander auf sakramentale Weise verbunden sind und im Bekenntnis des einen Glaubens verharren.

      Für die (römisch-)katholische Kirche ergibt sich daraus die Konsequenz, dass sie alle Aspekte der ihr zukommenden Katholizität erst dann voll und ganz in ihrem Leben zu verwirklichen vermag, wenn alle christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zur Einheit gefunden haben und „alle über den Erdkreis hin verstreuten Gläubigen […] mit den übrigen im Heiligen Geiste in Gemeinschaft“ (LG 8,2) stehen. Zwar habe Christus diese „katholische[…] Einheit“ (LG 8,2), so die Konzilsväter, „seiner Kirche von Anfang an geschenkt […], eine Einheit, die […] unverlierbar in der katholischen Kirche besteht“ (UR 4,3); aber aufgrund der geschichtlichen Spaltungen der Kirche bleibe diese Einheit aktuell unvollkommen, weshalb auch die (römisch-)katholische Kirche – wie alle christlichen Kirchen – auf die von Christus geschenkte katholische Einheit hinarbeiten müsse in der Hoffnung, „dass sie bis zur Vollendung der Weltzeit von Tag zu Tag wachse“ (UR 4,3).

      Damit wird deutlich: Die der (römisch-)katholischen Kirche zukommende qualitative Katholizität ist nicht nur Gabe, sondern auch bleibende Aufgabe. Insofern (römisch-)katholische Kirche wahrhaft „katholisch“ ist und im ursprünglich qualitativen Wortsinne auch katholisch sein und bleiben möchte, ist sie aufgerufen, diese ihr zukommende Katholizität nach innen und nach außen hin auch konkret zu leben und zu verwirklichen. Folglich muss sie selbst „von Tag zu Tag gereinigt und erneuert“ (UR 4,6) werden. Sie ist angehalten, „im Notwendigen die Einheit [zu] hüten […][sowie sowohl] in den vielfältigen Formen des geistlichen Lebens und der Lebensweise als auch in der Verschiedenheit der liturgischen Riten, ja sogar in der theologischen Ausarbeitung der geoffenbarten Wahrheit die gebührende Freiheit [zu] wahren“ (UR 4,7), da sie nur so ihre „im wahren Sinne verstandene Katholizität und zugleich Apostolizität […] voller kundtun“ (UR 4,7; vgl. auch UR 10) kann. Nur ein wirklich „katholisches“, d.h. weites „geistliche[s] und liturgische[s], disziplinäre[s] und theologische[s] Erbe in seinen verschiedenen Überlieferungen [, kann] zur vollen Katholizität und Apostoliziät der Kirche“ (UR 17,2) beitragen. Nur so kann (römisch-)katholische Kirche „im vollen und ehrlichen Sinn katholisch sein, nämlich der Wahrheit treu, die wir von den Aposteln und Vätern empfangen haben, und mit dem Glauben übereinstimmend, den die katholische Kirche immer bekannt hat, und zugleich zu der Fülle strebend, mit der der Herr will, dass im Verlauf der Zeiten sein Leib wachse.“ (UR 24,1)

      4. Mit der der (römisch-)katholischen Kirche zukommenden qualitativen Katholizität hängt auch ihr Anspruch auf Wahrheit im Sinne von Rechtgläubigkeit (Orthodoxie) zusammen. Diesen Zusammenhang ließ bereits LG 8 erkennen, wobei hier nicht nur denjenigen


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