Kleine Igel – große Probleme. Manuel Enders

Kleine Igel – große Probleme - Manuel Enders


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war er auf die Brille getreten. Unsicher wankte er umher. Dabei steuerte er auf den Abgrund zu.

      Oh nein, dachte Tyran, da rutschte Timmy schon ab und krallte sich gerade noch rechtzeitig am Abhang fest.

      »H-Hilfeee, T-Tyraaan!«, schrie er verzweifelt.

      »Halte durch, Timmy!«

      Tyran sprang zu seinem Bruder und griff nach seiner Pfote. »Hab dich!« Er versuchte Timmy hochzuziehen, fand aber nicht den nötigen Halt und rutschte zusammen mit ihm langsam ab.

      Wie aus dem Nichts spürte Tyran im letzten Augenblick einen kräftigen Druck um sein Fußgelenk. Es war eine Pfote, die ihn gepackt hatte.

      »¡Dios mío! Pablooo!«, rief die Señora.

      Überrascht erkannte Tyran, dass es seine Mutter war. Er und sein Bruder wurden mit einem Ruck nach oben gezogen. Pablo löste seine Zähne aus der eingerissenen Latzhose der Señora und wedelte freudig mit dem Schwanz. Er schleckte die Igeljungs von oben bis unten ab.

      »Pablissimo, du hast Mundgeruch!«, schimpfte Tyran und rümpfte die Nase.

      »Dankt ihm lieber. Seinem Instinkt ist es geschuldet, dass ich euch gefunden habe!«

      Tyran wollte gerade ansetzen, um sich zu verteidigen, da fuhr ihn seine Mutter besorgt an. »Außerdem wisst ihr doch, dass ihr hier nicht spielen dürft. Und wie dreckig eure Latzhosen schon wieder sind!«

      »Wir wollten doch nur –«

      »Keine Diskussion, Tyran! Ab nach Hause!«

      »Oh Mann!«, stöhnte Tyran, während Timmy seine kaputte Brille aufhob.

      Tyran ahnte, dass später noch eine ordentliche Standpauke folgen würde.

       Zirkus Dark

      »Smoookey!«, donnerte es über ein großes Zirkusgelände am Rande der Stadt.

      Was will Dark denn schon wieder?, fragte sich der leicht ergraute Telly-Schimpanse Smokey genervt, während er ein weißes Nobla-Show-Pferd an den Mast band.

      Smokey trug eine Augenklappe über seinem rechten Auge, von dem eine Narbe bis zur Wange herunterreichte. In seinem Mundwinkel klebte ein Zigarrenstummel. Seine Kleidung bestand aus einer abgewetzten Lederjacke, löchrigen Jeans und Stiefeln. Er machte sich auf den Weg zum Wohnwagen des Zirkusdirektors Mister Dark.

      »Boss, was hast du getan?«, fragte ihn ein deutlich jüngerer Schimpanse namens Gordo. Er war einer von Smokeys Gehilfen und trug einen Irokesen-Haarschnitt. Auf der Brusttasche seiner übergroßen Jeansjacke, die über den Schotter schleifte, prangte der Buchstabe »G«.

      »Schnauze!«, antwortete Smokey schroff und schubste Gordo auf den Boden.

      Gordos Zwillingsbruder Elroy, der ebenfalls ein Gehilfe Smokeys war, stand schon an der Treppe von Mister Darks Wohnwagen. Er glich Gordo jedoch in keiner Weise. Seine Haare waren zu einem Seitenscheitel gegelt und er trug eine unauffällige knielange Stoffweste.

      »Viel Glück«, sagte Elroy.

      Smokey würdigte ihn keines Blickes, während er die vier Stufen zur Tür hochging. An der abblätternden Wandfarbe des Wohnwagens drückte er den Zigarrenstummel aus und schnipste diesen zu Elroy, der noch rechtzeitig ausweichen konnte.

      Smokey richtete seine Lederjacke, dann drehte er an dem vergoldeten Türknauf und ging hinein.

      In den prunkvoll eingerichteten Wohnwagen verirrten sich durch die halb offene Jalousie nur wenige Lichtstrahlen. Der Schimpanse blieb vor einem großen, bunten und gepflegten orientalischen Teppich stehen. Darauf stand ein massiver, glänzender Mahagoni-Schreibtisch. Hinter dem Schreibtisch befand sich ein edler Ledersessel, von dem Smokey nur die Rückenlehne und darüber die obere Hälfte eines Zylinders sah. In dem Sessel saß Mister Dark. Smokey fiel die neue vergoldete Ansitzstange am Fenster auf.

       Echt jetzt? Für so einen Mist soll ich hier schuften? Dabei hat er nicht mal einen Vogel! Nur einen in seiner Birne!

      »Wie lange willst du mich noch warten lassen?«, fragte Mister Dark provokant.

      Smokey schwieg, denn es interessierte ihn nicht die Bohne. Ungeduldig drehte sich Mister Dark um. Sein Name passte zu seiner Erscheinung. Er trug einen dunklen Frack. Sein Zylinder reichte bis kurz über die nicht richtig auf dem Kopf sitzende Maske. Diese sah wie ein Menschengesicht aus. Seine orange leuchtenden Augen stachen deutlich darunter hervor.

      Smokey beobachtete Mister Dark, wie er mit seiner behandschuhten, knochigen Hand mehrere Bündel Geldscheine aus der Schublade holte und zählte.

      »Also, wie sieht dein Plan für die neue Attraktion aus?«, fragte Mister Dark ihn in eindringlichem Ton.

      Der Schimpanse zuckte gleichgültig mit den Achseln, worauf Mister Dark das Geld auf den Schreibtisch pfefferte, sich erhob und wenig später in voller Größe vor ihm stand. Smokey blickte hinauf in das Gesicht des etwa zwei Meter großen Zirkusdirektors. Dann sah er aus dem Augenwinkel, wie Mister Dark mit Daumen und Zeigefinger einen Fussel von seiner Schulter entfernte und sich zu seinem Ohr vorbeugte.

      »Aber wie soll ich mir das alles hier weiterhin leisten können, wenn nicht noch mehr Zuschauer die Vorstellungen besuchen?«, fragte Mister Dark und ließ den Blick über sein Hab und Gut schweifen.

      Smokey war von all dem wenig beeindruckt und schwieg weiterhin.

      »Vielleicht verkaufe ich als Allererstes deinen Wohnwagen«, fuhr der Zirkusdirektor fort.

      Innerlich begann der Schimpanse vor Wut zu kochen. Er ballte die Fäuste so stark, dass seine Knöchel weiß hervortraten.

      »Ich sehe so viel Energie, aber du verschwendest sie. Wenn du nicht spurst, dann kannst du gerne wieder durch die Straßen ziehen und schauen, wo du schläfst und dein Essen herbekommst.«

      Smokey blickte auf seinen rechten Stiefel. Darin befand sich ein Gegenstand, den er, ohne mit der Wimper zu zucken, gegen Mister Dark einsetzen würde, wenn dieser zu weit ging. Was dann geschehen würde, konnte der Schimpanse jedoch nicht einschätzen. Er heftete seinen Blick auf die missbilligenden Augen des Zirkusdirektors und sagte zähneknirschend: »Ich kümmere mich darum.«

      »Und zwar sofort!«, brüllte Mister Dark.

      Wutschnaubend verließ Smokey den Wohnwagen und knallte die Tür gegen Gordo und Elroy, die offenbar gelauscht hatten. Rücklings purzelten sie die Stufen hinunter und blieben auf dem Schotter liegen.

      »Ey Boss, was wirst du tun?« Benommen rieb sich Gordo die schmerzenden Glieder.

      Ohne auf seine Worte einzugehen, schaute Smokey auf sein Crossmotorrad, das vor dem rot-gelb gestreiften Zirkuszelt inmitten des Geländes parkte. Er grinste.

       Ich werde es Dark ein für alle Mal zeigen und mein eigenes Ding machen. Dann könnt ihr mich alle mal!

      »Will unser Zirkusdirektor wieder unnötigen Schnickschnack kaufen?«, fragte Elroy.

      Ungeachtet seiner Anmerkung stieg Smokey über die am Boden liegenden Brüder.

      »Aua!«, quiekte Gordo.

      »Uff!«, stöhnte Elroy.

      Umständlich rafften sich die beiden Affen auf.

      »Ich hatte gerade einen Geistesblitz«, sagte Smokey und entnahm der Innentasche seiner Lederjacke ein Feuerzeug und eine neue Zigarre.

      »Ein Geist, wo?«, fragte Gordo und versteckte sich hinter Elroy.

      »Schnauze!«, entgegnete Smokey, während er seine Zigarre anzündete und von dannen zog.

      Schon lange hatte er sich nicht mehr so lebendig gefühlt wie in diesem Moment. Womöglich konnte er aus seiner Idee einen größeren Nutzen ziehen,


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