Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot. Sibylle Berg

Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot - Sibylle  Berg


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Dethlefsen: Krankheit als Weg. Die Nebel von Avalon. Ich bin O. K. Du bist O. K. Thorwald Dethlefsen: Schicksal als Chance. Vera bekommt einen Schluckauf. Eine kalte Hand greift nach ihrem Herzen. Menschen, die Thorwald Dethlefsen lesen, sind zu allem fähig.

      Die verlotterte Bankangestellte fängt an zu reden, die Kippe im Mund. Und Vera guckt die ganze Zeit auf diese Kippe. Ob sie nicht vielleicht runterfällt, beim Reden. Das wäre Vera peinlich. Die Frau redet. Sie haben es wirklich nicht leicht im Moment. Ihre Tochter ist weg. Eine weite Reise. Ich denke, sie wird nicht zurückkehren. Ja, ist recht, denkt Vera, ohne sich zu wundern, daß die Frau von ihrer Tochter weiß. Die Hexe empfängt die Zweifelsschwingungen gar nicht, sondern redet weiter: Ihr Mann fühlt sich eher zum eigenen Geschlecht hingezogen. Ja, denkt Vera, er schläft zwar jede Nacht mit einer anderen Frau, aber wahrscheinlich irrt er sich da nur und denkt, das sind verkleidete Männer. Und die Hexe sagt: Sie werden auch bald weggehen. Mit dem falschen Mann. Dann sieht die Wahrsagerin irgendwas in den Karten und reißt den Mund auf. Die Kippe fällt nun doch auf den Tisch, und Vera muß lachen. Die Wahrsagerin lacht nicht, sondern verabschiedet sich zügig. Draußen denkt sich Vera, warum soll ich eigentlich nicht weggehen. Vera setzt sich in ein Café und sieht sich beim Kofferpacken zu. Und dann klingelt es unten an der Tür, und Rutger Hauer steht da. Er sagt, so, mal los, und dann steigen sie in ein Taxi.

      HELGE ist allein

      Alle weg. Nora tobt irgendwo am Meer rum und wird wahrscheinlich Hasch rauchen und Lieder zur Gitarre singen. Ich weiß gar nicht, was so Leute wie sie heute singen. Talking Heads und Kate Bush wohl nicht. Ich weiß nicht, wie die Leute heute auf der Gitarre Techno-Stücke spielen und dazu singen. Aber wirklich nicht.

      Vera ist irgendwo. Und ich habe meinen freien Tag und bin alleine. Ich hab erst mal geschlafen, bis abends, versteht sich. Bis dahin alles gut. Ich dann so in der leeren Wohnung rumgetigert und mir gedacht, so, jetzt machen wir’s uns mal nett. Und dann fiel mir nix mehr ein. Und gleich kommt die Nacht. Nur noch ein bißchen Licht ist da. Ganz blau, und wenn ich mich noch ein Stück weiter aus dem Fenster beuge, fall ich raus. Das würde nicht groß was machen, weil die Luft so dick ist, wie etwas, das lebt und gar nicht wehtun kann. Die Vögel sind am Wahnsinn. Ganz schnell singen sie, damit sie zu Ende kommen, ehe es dunkel wird. Dann müssen sie ruhig sein, dann ist es dunkel, und die Luft ist so Fleisch, daß die Vögel sich ganz schön anstrengen müssen da durch. Da ist etwas, was sie verrückt macht, mich verrückt macht, und keines weiß, worum es geht. Vielleicht ist es die Nacht. Da draußen, vor meinem Fenster. Die atmet aus, die Nacht. Haucht mich an. Ganz warm. Ich bin allein, an meinem Fenster, am Rande der Nacht und hätte so gern wen, dem ich was sagen kann. Und keiner da, nur ich laufe rum, in meinem Zimmer. Und kann nicht sitzen. Schlafen auch nicht, oder denken. Zu sehr warm, zu laut die Vögel, und draußen in der Stadt wartet irgend etwas auf mich. Wenn ich rausgehe, werde ich es suchen. Nichts finden. Also gehe ich raus. Die Vögel ganz schrill. Aus ihren Zungen sollte man Pasteten kochen. Die kleinen Leiber rupfen und grillen.

      Ich komme an einer Bar vorbei, ganz gelb ist die. Wie ein Bild von diesem traurigen Mann, der immer leere Bars malt, mit leeren Menschen drin. In der Bar sind so Menschen. Eine Versammlung anonymer Autisten. Die stehen am Tresen und sind schön. Ich also da rein, und dann steh ich am Tresen und schaue wie alle zum Eingang, als ob da das Glück reinkäme. Da kommen Mädchen rein. Nie alleine und sehr viel Erwarten in den jungen Gesichtern. Nett kommen die rein, die Mädchen und die Jungens kommen rein wie zum Kämpfen. Die Beine breit, als wären da Muskeln, die ein Zusammentreffen des Fleisches verhindern. Sie sehen ins Nichts, die Jungen. Sie lächeln auch nicht und gehen direkt an die Bar und schwingen sich auf Hokker, als wären das Pferde. Sie spreizen die Beine, wegen der Muskeln, und stützen die Hände darauf. Die Daumen nach außen. Und dann gucken sie wieder ins Nichts, als wär das die Prärie.

      In so einer Bar alleine zu sein ist, wie allein zu sein in einem fremden Land. Das Schweigen zieht mich nach innen, und da ist auch nicht mehr los.

      Neben mir kommt eine blonde Frau zum Stehen. Sie hat so ein Hängerchen an und einen Mittelscheitel und Spangen in den Haaren. Die Frau beugt sich über den Tresen und bestellt ein Kaltgetränk. Dabei kriecht eine Brustwarze aus dem Hängerchen. Die Frau läßt das ganz kalt. Sie hebt eine Augenbraue hoch, trinkt von dem Getränk und guckt. Da kommt dann auch schnell ein Mann. Er stellt sich dicht neben die Frau. Und fängt an, mit der Brustwarze zu sprechen: »Es ist warm.« »Hm«, sagt die Warze durch den Mund der Frau. Das Gespräch geht dann so weiter, und mich überkommen Trauer und Müdigkeit. Verfluchte Nacht, die mich zwingt, aus meiner Wohnung zu gehen und in einer Bar dem Blödsinn fremder Menschen zuzuhören. Ich trinke was, um das nicht mehr zu hören, über den Schlucklauten. Ich trinke was und werde immer schwerer im Kopf, und vielleicht wäre es gut, jetzt einen Socken in ein leeres Glas zu stopfen oder der Frau zu sagen: Entschuldigung, aber Sie haben da eine Warze über Ihrem Kleid. Aber so was denk ich mir immer nur, und dann gehe ich schweigend weg. Ich also schweigend weg, und draußen ist ein ganz junger Regen. Eventuell wäre es gut, ziemlich weit weg zu sein. Am Swimming-pool des Oriental Hotels in Bangkok vielleicht, wo die Luft nach verschimmeltem Metall röche, und ich würde schwitzen und süße Mixgetränke trinken. Dann würde ich in ein eiskaltes, klimatisiertes Zimmer gehen und ein Buch lesen. Oder ich säße in Venedig. In so einem Café am Kanal mit Brackwasser und Tod in der Luft. Ich würde Latte Macchiato trinken. Und dann in ein stickiges Hotelzimmer gehen und ein Buch lesen. Es ist wohl so, daß ich überall gerne wäre, an einem solchen Abend, wo ich nicht bin. Ich bin da und laufe durch die Nacht wie etwas, was da nicht hingehört.

      Junge Menschen fahren in offenen Gölfen an mir vorbei. Die Mädchen haben blonde Haare, die wehen, und die Jungens tragen Kappen, und alle lachen laut. Ich glaube aber, es ist schon O. K., nicht blond zu sein und dauernd lachen zu müssen. Ich lauf also weiter, und jetzt regnet es nicht mehr. Der Geruch nach dem Regen im Mai und die Nacht im Mai und vom Regen was an meiner Wange, das feucht ist und da runterläuft. Mich auf diese Wiese da drüben werfen, rumrollen, gegen die Nacht anrollen und die ganzen Wünsche. Von denen ich noch nicht mal weiß, wie sie heißen. Wie das wohl wäre, jetzt neben einer schönen Frau zu laufen. Einer die aussehen würde wie … und das fällt mir nicht ein, wie die aussehen sollte. Mir fallen nur Frauen ein, die nicht mehr meine sind, und wie ich neben denen durch solche Nächte gelaufen bin. Sie links, ich rechts und in jedem Fall ein Mißverständnis in der Mitte.

      Die Frau, die jetzt neben mir laufen sollte, müßte eine sein, die mir noch nie begegnet ist. Eine, bei der ich alles sagen kann, ohne daß ich es erklären muß und dadurch so schnell werde im Kopf, und alles geht, weil die Frau immer die richtigen Fragen stellt und die richtigen Antworten gibt. Aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie so jemand aussehen sollte. Da gucke ich lieber die Tankstelle an. Irgendwann sollte wohl jeder mal so eine Tankstelle anzünden. Ich stelle mir vor, wie ich das machen würde. Das Streichholz irgendwie in die Zapfpistole und weglaufen. Dann in gutem Abstand an einem Baum lehnen und eine rauchen. Derweil würde die Tankstelle explodieren und hell brennen. Das würd ich mir dann ansehen, und ich hätte einmal in meinem Leben was richtig Großes gemacht. Ich lasse das im Moment, weil ich keine Streichhölzer habe und keine Ahnung, wie man so was mit einem Feuerzeug anzündet. Meine Wohnung grinst, als ich komme. Verregnet und ohne Glück. Und als ich auf meinem Bett liege, sehe ich an der Wand die Lichter der Autos. Die Spuren machen, wie eine Schlange, die Phosphor gefressen hat. Auf einmal ist es, als wenn eines die Augen zurechtschiebt, daß sie etwas erkennen, auf einem dieser blöden 3D-Bilder. Ich sehe, was die Nacht mir sagt: »Hör mal, sagt sie, es ist doch viel aufregender, auf Unbekanntes zu warten, als zu haben, was nie so sein wird, wie du es dir denkst, während des Wartens.« Und dann geht die Nacht schlafen, und das Summen der großen Stadt da draußen ist wie ein Lied, das eine Mutter oder jemand ähnliches mir singt, damit ich gut einschlafe.

      BETTINA steht auf

      Ich kenne diese Frauen. Ich habe kein Mitleid mit ihnen. Die Welt ist voll davon. Ich habe kein Mitleid mit der Welt. Ich kenne diese Frauen, und sie ekeln mich an, weil sie sich einem Kampf stellen, den sie nur verlieren können. Verlierer ekeln mich an. Alle Verlierer, diese Millionen Frauen, die jeden Morgen mit ihren schwachen, zitternden Frauenbeinen aus dem Bett fahren. Durch ihr Zimmer wackeln. Aufrechtgehalten nur von ihrer Angst, sich in Richtung des Kampfplatzes schleppen. Die dünnen Frauenarme das Schlottern


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