Die große Fälschung. P. M.

Die große Fälschung - P. M.


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und meine Provision ausreichend ist, kaufe ich ein Stück dazu. Ich habe überdies genug Geld auf der Bank für die laufenden Ausgaben. Man muss sich einzurichten wissen und klug investieren. Nur die Dummen ärgern sich über die schlechten Zeiten und warten auf bessere. Die beste Zeit ist jetzt.«

      Die Kaufleute haben sich auf der Steuerbordseite versammelt, um die angekündigten Delphine zu beobachten. Ihre bunten Seidenhalstücher flattern im Wind. Sie strecken die Arme aus, reden aufgeregt von »guten Zeichen« und halten ihre großen Turbane fest.

      Abu Badruk hat schon genug Delphine gesehen. Er beschreibt mir, wie er seinen eigenen Hanf anbaut, die Pflanzen pflegt und die Blätter trocknet. Dann erklärt er mir, wie er sich durch die Aufzucht von Schafen, Ziegen, Hühnern und Enten auch mit Eiern und Fleisch selbst zu versorgen gedenkt.

      »Eine fette Ente mit Datteln und Feigen gefüllt«, schwärmt er, »das bringt dich durch die kalten Winternächte.«

      Warum muss bei ihm immer alles gefüllt sein? Psychologisch sicher vielsagend: das Stopfsyndrom. Vielleicht hat es auch nur mit dem Vollstopfen von Schiffsladeräumen zu tun. Ich habe Durst und denke an den süffigen apulischen Weißen, den wir in Otranto an Bord genommen haben. Die Verpflegung an Bord ist einfach, aber gut: Hartkäse aus den Ostalpen, Trockenfleisch aus Rätien, toskanische Oliven, Schweinswürste aus Lukanien (für Nichtmuslime), Kräuterzwieback. Wir picknicken an Deck, betrachten Sonnenuntergänge, schwatzen über alles Mögliche. Politik ist tabu. Die Kaufleute interessieren sich für Modetrends in Tunis und Kaiman, berichten von neuen Duftnoten bei Parfüms, von Stoffmustern, Farben, den irisierenden Effekten auf Glaskaraffen. Sie führen einander die neuesten Gadgets vor, die sie in Venedig gekauft haben: Maniküresets im Krokodillederetui, polyvalente Klappmesser, Nagelscheren mit Feile, ausschwenkbare Taschenlupen, die auch zum Feuermachen verwendbar sind, Reiseessbestecke, Nähzeug in Silberkartuschen, Sets für Kleinchirurgie usw. Es gibt so viele aufregende Produkte, Formen und Farben. Man kommt gut ohne Themen wie Revolution, Krieg, Bauern, Städte aus.

      »Morgen früh sind wir da«, bemerkt der Kapitän und pafft weiter.

      Ich kann die Delphine weit draußen springen sehen, ohne aufstehen zu müssen.

      Aus der Luke zum Ruderdeck ertönt ein wütendes Bellen. Der Sklavenaufseher taucht mit hochrotem Kopf auf.

      »Zum Teufel nochmal!«, fährt er die Kaufleute in seinem schaurigen Galeerenarabisch an. »Verteilt euch an Deck. So kann man doch nicht anständig rudern!«

      Die Kaufleute zucken zusammen und zerstreuen sich sofort in verschiedene Richtungen. Der Aufseher, glänzender Kahlkopf, stechender Blick, verschwitzt, nackter Oberkörper, speckige Lederhosen, Peitsche – ein Dämon aus der Unterwelt. Er stößt ein abschätziges Fauchen aus und ist schon wieder verschwunden. Es dröhnen noch einige Flüche von unten herauf, dann beschleunigt sich der Rudertakt.

      Abu Badruks Hanfrauch zieht an meiner Nase vorbei. Die Probleme im Maschinenraum gehen ihn nichts an. Er kümmert sich hauptsächlich um den Kurs, die Passagiere und die Kommission für die Ladung.

      Auf See herrscht ein eigener Zeitbegriff, und alles, was an Land geschieht, wird seltsam entrückt, in eine andere Wirklichkeit versetzt. Kann es wirklich wahr sein, dass eine Bauernrevolte im fränkisch-bayrischen Raum sich wie ein Steppenbrand ausgebreitet und das deutsche Reich hinweggefegt hat? Ist es nur ein Traum, dass Europa aus der Geschichte, so wie sie stattfinden sollte, ausgeschert ist? Andererseits: Wäre ich sonst auf diesem Schiff? Und was hat der obskure kleine Ritter Rodulf von Gardau in Afrika zu suchen? Zwei Szenen sehe ich immer wieder vor mir: Linda im Dorf Bärach, wie sie mir das Schwert an den Hals hält und ziemlich kühl sagt:

       »Entweder machst du mit oder du bist tot.«

      Ich machte mit, auch die anderen Ritter sahen ein, dass sie nur in einer »unnatürlichen« Allianz mit den Bauern eine Chance gegen Handelsherren, Kirche und Kaiser hatten. Danach ging es schnell, viel zu schnell: ein Dorf, eine Stadt, eine Diözese, halb Westeuropa. Es schien, als ob alle nur auf das Signal gewartet hätten. Dann, nur vier Monate später: die Schlacht von Aachen. Die kaiserlichen Ritter mit ihren weißen Adlerbannern vor der Stadt, unser Ritter-Bauern-Heer mit seinen bunten Wimpeln. Ich wurde mitten aus der Schlachtreihe herausgeholt und als Verhandler ins Hauptquartier des Feindes, zum großen Gerbert d'Aurillac, Erzbischof von Reims und zukünftiger Papst, Berater und Manipulator des jungen Kaisers Otto des Dritten, zu Reichskanzler Hildebold, zur alten Kaiserin Adelheid geschickt. Es stellte sich heraus, dass Gerbert der Mann war, der für die Geschichte, so wie sie sein sollte, zuständig ist. Ein undurchschaubarer, kühler Technokrat, ein Manager mit einer Mission, ebenso absurd wie absolut, windig und wendig, ruhig in Krisen, geschäftig dazwischen. Gerade, als er eine neue Allianz zwischen dem Kaiser und uns vorschlagen wollte, lösten irgendwelche unvorhergesehenen Obodriten aus Ostfriesland die Schlacht aus. Was sollte ich tun? Ich war in schlechte Gesellschaft geraten und konnte nicht mehr weg. Gerbert nahm mich einfach mit.

      In Venedig machte mich Gerbert zum Oberkommandierenden der christlich-islamisch-byzantinischen Armee, die Europa zurückerobern soll. Ich spielte mit, besser ich als irgendein anderer. Ich gebe zu: Es macht sogar Spaß zuzuschauen, wie die Firma krampfhaft versucht, die Geschichte wieder in ihr Bett zurückzuzwingen. Zudem hoffe ich, auf diese Weise unserer Seite Informationen zuspielen zu können. In meiner neuen Funktion musste ich zu den vereinigten Kaufleuten sprechen und sie zur Finanzierung der Rückeroberung Europas überreden. Ich tat mein Bestes. Die Konferenz im Ratssaal des Dogen, zu der sie eine Delegation schickten, war ein voller Erfolg. Gerberts neue Karte von Europa hat großen Eindruck gemacht. Vierhundert Schiffe und Galeeren stehen zur Verfügung. Drei Millionen Mancusi, zwei Millionen Silberdenare bilden die Kriegskasse. Das ganze verfügbare Kapital Europas und des Mittelmeerraums ist in einem Topf. Die Werften in Venedig, Genua, Amalfi haben Hochkonjunktur. Emissäre sind unterwegs in alle Himmelsrichtungen. Mich hat man einfach nach Ifrikija zum Kalifen von Kairuan, Bologgin Ibn Ziri, geschickt. Er soll Frankreich und einen großen Teil Deutschlands bekommen – das Kalifat Arles-Köln …

      Vor meiner Abreise hat mich Gerbert noch einmal zu sich zitiert. Er schaute mich nachdenklich an und blickte dann wie geistesabwesend durch ein Fenster auf den SanMarco-Kanal hinaus.

       »Unsere Lage ist kritisch, Rodulf, und ich weiß, dass du dir Hoffnungen machst, den Lauf der Dinge verändern zu können. Es gibt immer Menschen wie dich, die glauben, es könne eine andere, glücklichere Geschichte geben. Doch es ist kindisch, sich gegen den unvermeidlichen Lauf der Dinge zu wenden. Es ist sogar verbrecherisch, denn solche Heilserwartungen verlängern das Leiden nur. Die Geschichte wäre längst zu Ende, müsste sie wegen Rebellionen, Invasionen und Widerständen aller Art nicht immer wieder Umwege machen. Das Muster ist hinlänglich bekannt: Wir bauen eine rationale Zivilisation auf, und dann versuchen irgendwelche mutwilligen Barbaren, sie von außen zu zerstören. Mit Alexander waren wir auf dem besten Weg, eine allgemeine hellenistische Zivilisation von Spanien bis Indien durchzusetzen. Von dort aus hätte man direkt zur Industrialisierung gelangen können. Da kommen unbedarfte italische Bauern und bringen alles durcheinander. Also versuchten wir es mit einem Römischen Reich: Aus Bauern machten wir Kaiser, und schließlich hatten wir Antonius bei Kleopatra. Ein völlig irrwitziges Resultat. Immerhin hatten wir die Situation wieder unter Kontrolle. Doch dann kommen diese germanischen Hosenträger daher, und es dauert einige Jahrhunderte länger. Ergebnis: ein germanischer Kaiser. Tausend Jahre verplempert! Der hockt jetzt in seinem Studierzimmer und träumt von einer ottonischen Renaissance in den vier Reichsteilen Gallia, Germania, Sklavenia und Roma. Und nun sieht es ganz so aus, als ob wir einen arabischen oder berberischen Kaiser oder Administrator bekommen und wieder einmal die Religion auswechseln müssen. Unnötige Komplikationen! Dafür werden Tausende sterben – und Leute wie du sind daran schuld. Romantiker, Weltverbesserer, Träumer. Wir könnten längst am Ende sein. Doch ihr wollt Geschichte und sollt sie bekommen!«

      Ich hatte ihm stumm zugehört.

      »Du wirst nie erwachsen werden«, meinte Gerbert. »Aber ich werde dich zwingen, dich wie ein Erwachsener zu verhalten. Du wirst mir eines Tages dafür dankbar sein.«

      Fast hätte ich begonnen, ernsthaft zu argumentieren, doch er hob drohend seinen


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