Volles Rohr. Wolfgang Breuer
mit ruhigem, stahlhartem Griff in jeweils unangenehmer Position.
„So. Und jetzt sieh zu, dass Du nach Hause kommst, Du jämmerliche Pfeife. Und lass´ Dir von Deiner Mama bei Kaba und Marmorkuchen mal erzählen, wie sehr sie Dich dafür bewundert, dass Du die Festnahme einer Rauschgifthändlerin vereiteln wolltest. Viel Spaß dabei!“
Der Angebrüllte wurde weiß wie eine Wand. Seine Knie zitterten gottserbärmlich. Und wieder johlte die Menge. Endlich war das Großmaul aus ihren Reihen mal so richtig zur Sau gemacht worden. Sogar von einem echten Bullen. Wie geil war das denn? So schnell ändern sich die Fronten.
‚Solche Freunde muss man sich erarbeiten’, dachte Jürgen und ließ den total am Boden zerstörten Knilch los. Wie ein geprügelter Hund stieg der jetzt in den Bus und war wohl froh, dass der Busfahrer ein Einsehen hatte und hinter ihm die Türe schloss.
Mit angewidertem Gesichtsausdruck hatte er die arretierte Dealerin an der Kioskmauer kurz gefilzt und, soweit das einem Mann bei einer Frau erlaubt ist, auf Waffen abgesucht. Gesichert durch einen Kollegen, mit dem Winter zusammen auf Stadtstreife unterwegs war. Der hatte sich aber für kurze Zeit verdrücken und einem dringenden Bedürfnis nachgehen müssen. So hatte er den ganzen Zinnober hier nicht mitbekommen. ‚Schade’, dachte Winter, ‚dabei hätte er was lernen können.’
Beim Filzen war den beiden Beamten so einiges in die Hände gefallen, was ihre geballte Aufmerksamkeit erregt hatte. In der rechten Seitentasche des Rucksacks, dort wo der Wanderer üblicherweise seine Trinkflasche positioniert, gab´s jede Menge kleiner Tütchen mit Gras. Und in der linken Hosentasche ordentlich was an Geldscheinen. 5er, 10er, 20er.
Das Prinzip war klar. Bei Anfrage konnte rechts schnell die geforderte Anzahl an „Stoff“-Tütchen hervorgeholt werden, während links die entsprechende Summe kassiert und eingesackt wurde.
Neben den Grasportionen hatten die Polizisten noch jede Menge Dope aller möglicher Provenienzen und Zusammensetzungen zutage gefördert. Alle schön säuberlich verpackt und, wie im Warenhaus, mit Preisschildchen versehen. Großabnehmer-Rabatte gab´s offenbar nicht.
Das Aufregendste in dem Rucksack allerdings war ein großes gefüttertes Kuvert. Drinnen eine Marihuana-Platte. Ein Kilo schwer. Marktwert rund 10.000 Euro. Adressiert an einen „Klaf“.
„Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was da in diesem Umschlag steckt“, schwor die Frau, die immer noch nicht bereit war, ihren Namen zu nennen. Seit einer guten Stunde ging das nun so. Und Pattrick Born, der knallharte Vernehmer mit der Nase eines Spürhundes, litt wie ein Tier. Am liebsten hätte er der Frau vor seinem Schreibtisch die Klamotten vom Leibe gerissen und sie in ein Sagrotan-Bad gestopft. Aber nicht etwa, weil er sie so begehrte. Sondern weil sie ihm rein olfaktorisch gegen den Strich ging. Mit anderen Worten: ihm stank ihre ungewaschene Anwesenheit gewaltig.
‚Das muss ich mir nun wirklich nicht geben’, dachte sich Pattrick. Aber wie macht „Mann“ dieser Frau klar, dass es hier unter keinen Umständen weitergeht, bevor sie sich einer intensiven Körper- und Klamottenreinigung unterzogen hat? Das konnte er ihr nicht so einfach vor den Koffer hauen. Denn bei der Polizei hat jeder das Recht auf menschenwürdige Behandlung. ‚Nur’, sinnierte er weiter, ‚ist meine Würde etwa nicht in Mitleidenschaft gezogen, wenn hier die ganze Bude stinkt?’
Aber dann kam ihm die Erleuchtung. Es war ja noch eine Leibesvisitation fällig. Vorhin, als die hatte stattfinden sollen, war keine weibliche Beamte im Revier gewesen. Vielleicht hatte sich das geändert.
Ein kurzer Anruf beim Diensthabenden – und schon war Kommissarin Claudia Siegemund auf dem Weg, um der Probandin im wahrsten Sinne des Wortes an die Wäsche zu gehen.
Ein Double-win-Geschäft für die Frau, wie sich später herausstellte. Claudia war nämlich erfolglos bei der Suche nach weiteren verbotenen Stoffen, Geld und dergleichen mehr geblieben. Und die Namenlose hatte plötzlich Geschmack an einer heißen und ausgiebigen Dusche bekommen. Plus Trainingsanzug der Polizei. Denn ihre Kleider waren schon, während sie sich noch abtrocknete und föhnte, in der Waschmaschine für Einsatzanzüge verschwunden.
Sie roch gut, als sie, mit offenem, wallendem Haar und in „Bullenblau“ wieder auf dem Stuhl vor Pattrick Born Platz nahm. Der hatte natürlich in der Zwischenzeit nicht nur ausreichend gelüftet. Er hatte auch den Rucksack der Blonden Millimeter für Millimeter untersucht. Nichts! Nicht einmal ein Zettelchen, das Auskunft über die Identität seiner Gegenüber hätte geben können.
„Wollen Sie mir jetzt vielleicht Ihre Personalien nennen? Ich nehme an, Sie haben sich ordentlich erfrischen können und sind jetzt vielleicht ein wenig besser drauf.“
„Ich habe nicht die Absicht“, erwiderte sie. „Jetzt nicht und auch nicht später. Vergessen Sie´s einfach.“
Plötzlich war da ein komischer, rhythmisch klingender Brummton zu hören. Die Fremde blickte erschreckt nach unten. Pattrick auch. Es brauchte seine Zeit, bis er kapierte, dass dort einer der Trekkingschuhe der Frau sachte vibrierte. Die Schuhe hatte sie direkt neben ihrem Rucksack am Boden deponiert und bückte sich nun danach.
Born hatte begriffen. Er ließ seinen Bürostuhl nach hinten rauschen, fiel blitzartig auf die Knie und tauchte unter dem Schreibtisch hindurch zu ihr herüber. Dort riss er ihr die Schuhe aus der Hand und krabbelte wieder zurück.
Es vibrierte noch immer – in der rechten Schuhsohle. Pattrick hatte nach zwei Versuchen den Dreh raus, klappte die Sohle zur Seite weg, griff hinein und beförderte ein Smartphone ans Tageslicht, an dem er sofort das Gespräch annahm.
„Jou“, nuschelte er in die Muschel.
„Hey“, kam´s von der anderen Seite, „wer biss´n Du?“
„Der Pattrick“, nuschelte er zurück, als sei´s das normalste der Welt, an fremde Telefone zu gehen.
Kurze Pause beim Gesprächspartner. „Wo iss´n die Anna?“
„Hä?“
„Wo iss´n die Anna Berg?“
„Hier“, antwortete Born trocken und hätte laut jubeln können. ‚Bingo, hat geklappt, verdammt noch mal!’
„Warum bist Du dann an ihren Apparat gegangen? Wer bist Du denn?“ Der andere wurde unleidlich.
„Sach ich doch“, nuschelte er weiter. Der Pattrick. Aber mal ‘ne Gegenfrage. Wer bist Du denn?“
„Geht Dich nix an. Kann ich sie nun sprechen?“
„Nee.“
„Wie, ‚nee’?“
„Nee. Das ist doch wohl eindeutig.“
„Was soll denn dieser Blödsinn? Warum sagst Du, ich kann Anna nicht sprechen, wenn sie doch in Deiner Nähe ist? “
„Weil ich der Polizist bin, der sie gerade verhört.“
Auf der Anruferseite war es augenblicklich still geworden. Das Display des Smartphones zeigte Gesprächsende an.
Für die vermeintliche Anna war das alles viel zu schnell gegangen. Nicht einen Muckser hatte sie während der ganzen Prozedur von sich gegeben. Nur mit offenem Mund angehört, was Pattrick Born da gesagt hatte.
„Wer war´n das?“
„Weiß ich nicht. Hat er nicht sagen wollen, Frau Anna Berg.“
Poff! Die Angesprochene sackte in sich zusammen. Hatte der Blödmann da ihren Namen verraten. ‚So eine …’ Sie versagte sich, den Gedanken fertig zu denken. ‚Aufgeflogen, verdammt noch mal. Was mach´ ich ‘n jetzt?
„Psssst, Mäuslein, still. Bitte, bitte beruhige Dich.“ Klaus Klaiser wanderte im Kinderzimmer auf und ab und trug ein kleines, süßes Bündel in der rechten Armbeuge. Sein Töchterchen Luisa, gerade einmal drei Wochen alt. Am 15. Februar war das Würmchen geboren. Das Wunschkind der Klaisers. 53 Zentimeter groß, 3.550 Gramm schwer, bildhübsch, meistens hungrig und dann laut.
Letzteres brachte Klaus gerade an den Rand seiner nervlichen Belastbarkeit.