Warum tut er das?. Lundy Bancroft

Warum tut er das? - Lundy Bancroft


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mit einem Kerl reden oder in seinem Auto fahren sah, „deswegen wusste ich es“.

      Er kann andere Wunden beschreiben, die er von einer früheren Partnerin davongetragen hat: Sie hat versucht, ihn zu kontrollieren; sie wollte ihm keine Freiheit lassen; sie erwartete, dass er sie von vorne bis hinten bedient; sie hetzte die Kinder gegen ihn; aus reiner Rachsucht „ließ sie ihn sogar verhaften“. Was er beschreibt, sind normalerweise seine eigenen Verhaltensweisen, aber er schreibt sie der Frau zu, sodass er das Opfer ist. Auf diese Weise kann er bei seiner neuen Partnerin Sympathien gewinnen, vor allem weil so viele Frauen – leider – wissen, was es heißt, misshandelt zu werden, sodass sie Empathie für seine erlittene Qual haben.

      Der misshandelnde oder kontrollierende Mann kann eine Fülle von Ausreden aus seinen früheren Beziehungen ziehen und zum Beispiel dafür verwenden, dass er die Freundschaften seiner jetzigen Partnerin kontrolliert und sie beschuldigt, ihn zu betrügen: „Es liegt daran, dass meine Ex-Partnerin mich so schlimm verletzt hat, indem sie mich so oft betrogen hat, und deshalb bin ich so eifersüchtig und kann dir nicht vertrauen.“ Oder dafür, dass er einen Tobsuchtsanfall bekam, als sie ihn bat, er möge hinter sich aufräumen: „Meine Ex-Partnerin hat jede meiner Bewegungen kontrolliert, und so macht es mich jetzt wütend, wenn ich das Gefühl habe, dass du mir sagst, was ich tun soll.“ Oder aber dafür, dass er eigene Affären hat oder nebenbei andere Liebesinteressen verfolgt: „Letztes Mal wurde ich so verletzt, dass ich jetzt wirklich Angst davor habe, mich zu binden, und deshalb möchte ich mich weiterhin mit anderen Menschen einlassen.“ Er kann zu jeder seiner kontrollierenden Verhaltensweisen eine passende Ausrede erfinden.

      Ich empfehle folgenden Grundsatz zu beachten, wenn ein wütender oder kontrollierender Mann Behauptungen über Ex-Frauen in seinem Leben aufstellt:

      Wenn es eine Ausrede für sein missbräuchliches Verhalten Ihnen gegenüber ist, ist es eine Verzerrung

      Ein Mann, der in einer Beziehung mit einer Frau wirklich misshandelt wurde, würde diese Erfahrung nicht nutzen, um damit davonzukommen, dass er jemand anderen verletzt hat.

      Betrachten Sie die Situation für einen Moment von der anderen Seite: Haben Sie jemals gehört, dass eine Frau behauptet, der Grund, warum sie ihren männlichen Partner ständig misshandelt, seien die erlittenen Misshandlungen durch einen Ex-Partner? Diese Ausrede ist mir in den über dreißig Jahren, in denen ich auf dem Gebiet der Misshandlung tätig bin, noch nie begegnet. Sicherlich habe ich Fälle erlebt, in denen Frauen Schwierigkeiten hatten, einem anderen Mann zu vertrauen, nachdem sie einen Missbrauchstäter verlassen hatten, aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Ihre früheren Erfahrungen mögen erklären, wie sie sich fühlt, aber sie sind keine Entschuldigung dafür, wie sie sich verhält. Und dasselbe gilt für einen Mann.

      Wenn einer meiner Klienten eine frühere Beziehung für sein gegenwärtiges grausames oder kontrollsüchtiges Verhalten verantwortlich macht, hake ich mit einigen Fragen nach: „Hat Ihre Ex-Partnerin jemals gesagt, dass sie sich von Ihnen kontrolliert oder eingeschüchtert fühlt? Wie sieht sie die Geschichte? Haben Sie jemals in der Wut die Hand gegen sie erhoben oder hat sie jemals eine einstweilige Verfügung erwirkt?“ Wenn er mit seinen Antworten fertig ist, weiß ich normalerweise, was passiert ist: Er hat auch diese Frau misshandelt.

      Es ist in Ordnung, Mitgefühl mit einem Mann wegen seiner schlechten Erfahrung mit einer Ex-Partnerin zu haben, aber in dem Moment, in dem er das Erlebnis als Vorwand benutzt, um Sie zu misshandeln, hören Sie auf, irgendetwas zu glauben, was er Ihnen über diese Beziehung erzählt. Erkennen Sie die Ausrede stattdessen als Zeichen dafür, dass er Probleme im Umgang mit Frauen hat. Spüren Sie seine Ex-Partnerin auf und sprechen Sie so bald wie möglich mit ihr, auch wenn Sie sie hassen. Ein Täter kann eine Partnerin nach der anderen misshandeln, wobei er jedes Mal glaubt, dass allein die Frau Schuld an den Problemen hat und dass er das eigentliche Opfer ist.

      Ganz gleich ob er sich als Opfer einer Ex-Partnerin oder seiner Eltern darstellt, das Ziel des Täters – wenn auch vielleicht unbewusst – ist es, mit Ihrem Mitgefühl zu spielen, damit er sich nicht mit seinem Problem auseinandersetzen muss.

       Mythos Nr. 3:

       Er misshandelt mich, weil er so starke Gefühle für mich hegt. Menschen verursachen denen, die ihnen am meisten am Herzen liegen, den größten Schmerz.

      Ausreden dieser Art tauchen in meinen Gruppen für misshandelnde Männer häufig auf. Meine Klienten erzählen: „Niemand sonst regt mich so auf wie sie. Ich verliere manchmal einfach den Verstand, weil ich so starke Gefühle für sie habe. Die Dinge, die sie tut, tun mir wirklich weh, und niemand sonst kann mir so unter die Haut gehen.“ Missbrauchende können diese Rationalisierung erfolgreich bei ihren Partnerinnen, Freunden und Verwandten anwenden. Denn es steckt ein Körnchen Wahrheit darin: Menschen, die wir lieben, können uns tieferen Schmerz zufügen als jeder andere. Aber was hat das mit Missbrauch zu tun?

      Der Missbrauchstäter möchte, dass wir folgende einfache, aber fehlerhafte Formel akzeptieren:

      „Gefühle verursachen Verhalten“

      „Wenn Menschen sich verletzt fühlen, schlagen sie aus Vergeltung auf jemand anderen ein. Wenn sie sich eifersüchtig fühlen, werden sie besitzergreifend und vorwurfsvoll. Wenn sie sich kontrolliert fühlen, schreien und drohen sie.“ Stimmt’s?

      Falsch. Jeder Mensch geht mit Verletzungen oder Ressentiments individuell um. Wenn Sie sich beleidigt oder schikaniert fühlen, greifen Sie vielleicht nach einem Schokoriegel. Unter den gleichen Umständen breche ich vielleicht in Tränen aus. Eine andere Person kann ihre Gefühle schnell in Worte fassen und die Misshandlung direkt ansprechen. Auch wenn unsere Gefühle die Art und Weise beeinflussen können, wie wir uns verhalten wollen, werden unsere Verhaltensentscheidungen letztlich eher durch unsere Einstellungen und Gewohnheiten bestimmt. Wir reagieren auf unsere emotionalen Verletzungen auf der Basis, wie wir uns selbst sehen, wie wir über die Person denken, die uns verletzt hat, und wie wir die Welt wahrnehmen. Nur bei Menschen, die schwer traumatisiert sind oder an schweren psychischen Erkrankungen leiden, ist das Verhalten von Gefühlen bestimmt. Und nur ein winziger Prozentsatz misshandelnder Männer hat diese Art schwerer psychischer Probleme.

      Es gibt noch andere Gründe, die Ausrede „Liebe verursacht Missbrauch“ nicht zu akzeptieren. Erstens behalten sich viele Menschen ihr bestes Verhalten und ihre freundlichste Behandlung ihren Lieben vor, auch für ihre Partnerinnen und Partner. Sollten wir den Gedanken akzeptieren, dass diese Menschen ihre Liebe weniger stark empfinden oder weniger Leidenschaft haben als ein Missbrauchstäter? Das ist Unsinn. Außerhalb meines Berufslebens habe ich im Laufe der Jahre viele Paare kennengelernt, zwischen denen Leidenschaft und Spannung herrschte und die sich gegenseitig gut behandelten. Aber leider gibt es in unserer Gesellschaft eine breite Akzeptanz der unguten Vorstellung, dass Leidenschaft und Aggression miteinander verwoben sind und dass ein gemeiner verbaler Schlagabtausch und explosionsartige Ausbrüche der Preis sind, den man für eine Beziehung bezahlt, die aufregend, tief und sexy ist. Beliebte Liebesfilme und Seifenopern verstärken dieses Bild manchmal noch.

      Die meisten misshandelnden Männer haben außer zu ihren Ehefrauen oder Freundinnen enge Beziehungen zu anderen Menschen. Meine Klienten können tiefe Zuneigung für einen oder beide Elternteile, ihre Geschwister, einen guten Freund, eine Tante oder einen Onkel empfinden. Misshandeln sie diese auch? Kaum. Es ist nicht die Liebe oder tiefe Zuneigung, die ihr Verhaltensproblem verursacht.

       Mythos Nr. 4:

       Er unterdrückt seine Gefühle zu sehr, und dann bauen sie sich auf, bis er platzt. Er muss mit seinen Gefühlen in Berührung kommen und lernen, sie auszudrücken, um diese explosiven Vorfälle zu verhindern.

      Meine Kollegen und ich bezeichnen diese Ansicht über Männer als „Druckkessel-Theorie“. Der Gedanke ist, dass ein Mensch nur ein gewisses Maß an angesammeltem Schmerz und an Frustration ertragen kann. Wenn er nicht regelmäßig entlüftet wird – wie bei einem Schnellkochtopf –, dann ist ein schweres Unglück vorprogrammiert. Dieser Mythos klingt


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