Der Pontifex. Karla Weigand
Lachen.
Genau diese „Dritte göttliche Person“ hat er als Thema ausgewählt für sein Dogma! Dass er damit den sogenannten „Schutzengel“, der angeblich ein Auge auf jedes fromme Schäflein hat, „entmachtet“, stört den Heiligen Vater nicht.
Von nun an ist es nach Leos XIV. Willen „der Heilige Geist“, der dieses spezielle Wächteramt übernimmt. Ist dieser doch „die Liebe, die vom Vater und vom Sohne ausgeht“ und damit ist er auch zur Liebe zu den Gläubigen verpflichtet und dafür verantwortlich, dass keinem ein Leid geschieht.“
Noch einmal blättert er die Papiere durch, prägt sich gewisse Passagen dieser speziellen Rede ganz besonders ein, ehe er die Blätter sorgfältig zusammenschiebt, aufsteht und sie dann, penibel Kante auf Kante gelegt, in seinem Tresor verwahrt, zu dem allein er den Schlüssel verwahrt. Er weiß noch nicht genau, wann er diese bedeutsame Predigt halten wird.
Einen Augenblick verweilt der Papst kerzengerade mitten im Raum; er streckt sich dabei und nimmt beide Arme nach oben, um das vom langen Sitzen gestresste Rückgrat zu entspannen. Selbst nach so langer Zeit europäischer Sitz-Gepflogenheiten, bereitet ihm das ungesunde, stundenlange Ausharren auf Stühlen hin und wieder immer noch Schwierigkeiten …
Wie stets vor dem Schlafengehen wird Seine Heiligkeit noch einmal ein paar seiner sich selbst auferlegten gymnastischen Übungen absolvieren. Er möchte unbedingt jugendlich und gelenkig bleiben.
Sein Vater Patrice mit seinen gut dreiundsiebzig Jahren hält dies ganz genauso – und der alte Herr ist in der Tat noch topfit.
„Sollte ich mal dauerhaft den Rollstuhl brauchen, werde ich mir die Kugel geben“, hat er seinen hochwürdigen Sohn kürzlich wissen lassen. Dass Selbstmord eine Todsünde ist, interessiert den alten Schwerenöter, der kürzlich noch eine kleine Tochter mit einer seiner jugendlichen Konkubinen gezeugt hat, keineswegs.
„Ich weiß, mein lieber Papa“, hat Leo ihm milde geantwortet. „Falls es nach dir ginge, würdest du am liebsten noch zu Fuß zu deiner eigenen Beerdigung marschieren!“
Aber der schlaue Fuchs kennt die Bibel ganz gut und wusste zu kontern:
„Haltet mich nicht auf, denn der Herr hat Gnade zu meiner Reise gegeben. Lasst mich, dass ich zu meinem Herrn ziehe.“ Zu lesen, mein lieber Sohn, im ersten Buch Mose, Kapitel 24, Vers 56.“
Über das bemerkenswert glatte Gesicht des Präsidenten hatte sich ein breites Grinsen gelegt. „Und ich kann dir noch jemanden zitieren, nämlich den heiligen Augustinus: „Ihr, die ihr mich so sehr geliebt habt, seht nicht auf das Leben, das ich beendet habe, sondern auf das Leben, welches ich beginne.“ Und im Psalm 36, Vers 10 heißt es: „Denn bei Dir ist die Quelle des Lebens und in Deinem Licht sehen wir das Licht.““
Patrice Obembe hatte sich anschließend vorgeneigt, als wolle er dem Papst leise ins Ohr flüstern: „Was allerdings keineswegs heißen soll, dass ich an ein Leben nach dem Tod glaube, mein lieber Maurice.“
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