Kleines Bernstein. Rasa Aškinytė

Kleines Bernstein - Rasa Aškinytė


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alten Frauen wussten viel über Kräuter, die Hexen, sie wussten zu heilen und zu verzaubern, doch nur die Alte mit den Wolfsbissen am Bein wusste, wie sie sich mit der Göttermutter unterhalten musste, sie um Gnade und Erlaubnis bittend, ihr die auf der Zunge liegenden Fragen stellend; nur sie kannte die Sterne und sah, wann der Tag lang genug war zum Feiern und Bitten.

      Ihre Geheimnisse hütete die Alte wie ihren Augapfel. Aber sie war schon alt – was wäre nach ihrem Tod? »Seid beruhigt, habt keine Angst, die alte Frau mit den Wolfsbissen am Bein lässt euch nicht allein, sie weiß viel besser als ihr, wann der Tod kommt, und wird ganz sicher nicht von euch gehen, ohne eine von euch in ihre Geheimnisse eingeweiht zu haben.« Keine der Frauen wusste, wen von ihnen sie im Sinn hatte, alle wollten diejenige sein und warteten voller Ungeduld, aber es war nicht an ihnen zu wählen, die Alte würde die Geeignetste nennen, die Göttermutter würde sie auswählen, und ihr könnt nicht anders, als ihrem Willen zu folgen.

      So tanzten jetzt alle ihre Reigen, flochten die ersten Kränze, ganz kleine noch aus kurzen Gräslein, gerade erst hervorgesprossenen, setzten sie sich oder eine der anderen auf, spritzten mit frischem Wasser um sich, nicht eine von ihnen sah nach, ob die andere ihr eine Freundin oder verhasst war, sie gaben sich so, wie sie es nur ohne Männer taten, sangen Lieder, traurige und auch fröhliche, wie sie gerade an die Reihe kamen, wie die Alte sie anstimmte, die anderen begleiteten sie nur, machten Feuer, erbaten bald die eine bald die andere, was ihr Herz begehrte oder woran es in ihrem Heim mangelte, baten um eine gute Ernte, um Weizen, Gerste und Hafer, dazu ein wenig Roggen und Hirse, dass die Kinder nicht hungrig wären, baten darum, dass weder wilde Tiere noch Krankheiten sie heimsuchten, baten um Kampferfolg für ihre Männer, baten um Silber und andere wunderschöne Dinge, baten um Kinder, wenn sie keine hatten, baten um Ruhe, wenn sie schon von allem reichlich hatten. Sie hörten nicht auf zu bitten, so wollte es der Tag, so wollte es das Fest, die Göttermutter erhörte eine jede, sah jede Träne, man durfte sie selbst wegen des kleinsten Begehrens stören. So sagte es die Alte mit den Wolfsbissen am Bein, wer sollte es auch besser wissen als sie?

      Sie tranken, was die Alten für sie zubereitet hatte, für jede einen eigenen Trunk, die Alte achtete genau darauf, dass sie nicht verwechselt würden. Auch Selija schlürfte den ihren, die Alte reichte ihr eine rote Flüssigkeit zur Reinigung, so eine würde nicht einmal die Göttermutter erhören, aber was soll’s, Selija wusste, was sie wollte und bekam es auch. Und auch Glesum trank, die anderen hatten sie gegen ihren Willen hergebracht, völlig verängstigt hierher gezerrt; sie stand starr vor Angst da, glaubte vermutlich, man würde sie opfern, aber nein, du Dummerchen, dieses Fest ist nicht von dieser Art, keine Opfer, der Weihrauch, den die Alte aus Bernsteinstaub gemischt und ein wenig weiter weg von den Tänzerinnen unter der Linde mit den meisten Ästen entzündet hat, um die Göttermutter zu betören und ihr Herz zu erweichen, damit keine der einfachen Frauen verletzt würde, ist genug. Die Alte reichte Glesum ihren Trank, damit sie sich beruhigte, sie würde noch lange hier weilen, wie sollte sie alles aushalten, die Ärmste – sie musste zu Kräften kommen, um für all das bereit zu sein, was sie erwartete. Die Alte mit den Wolfsbissen am Bein streichelte Glesums Haar: »Mein Kind, womit hast du das alles verdient, der Sturm wird sich legen, alles wird gut, du wirst leben.« Und wirklich, Glesum kam zur Ruhe, eine starke Friedlichkeit löste den Blick des verängstigten Wolfswelpen ab.

      Auch die anderen tranken, bis die alte Frau zum Abschiedstanz lud, zum allerschönsten; eine nahm die andere an der Hand, und so bildeten sie einen riesigen Kreis, beugten sich vor und wieder zurück wie im Fieberwahn, wussten nicht mehr, wer sie waren, in ihrer Weiblichkeit erstarkt, zu einer Einheit, zur unteilbaren FRAU geworden, deren Stärke für Nöte erforderlich war. Als der Gesang verstummt war, eilten alle nach Hause, noch benommen, überglücklich, zurück blieben nur einige der Ältesten und die Alte mit den Wolfsbissen am Bein.

      Wer bleiben durfte, wusste es selbst, sie setzten sich unter die alte Linde, der Bernsteinstaub war schon aufgebraucht, und strichen sich Achselhöhlen und Knöchel mit Tollkirschensalbe ein, murmelten halblaut wer weiß was, die Alte mit den Wolfsbissen am Bein führte sie – sie verwandelten sich in Kolkraben oder schwarze Wolken, erhoben sich in die Lüfte und flogen davon, um sich mit den Alten der anderen Stämme zu treffen, landeten auf den Ästen der Linden, schnatterten und erfuhren so den wahren Willen der Göttermutter, die dieses Jahr dies und das versprach, sowohl Besseres als auch Schlechteres. »Das Leben wird nicht so, wie ihr es gerne hättet, aber es wird zum Aushalten sein, wie immer.«

      7. Milch

      Gondas hatte die Wagen schon wieder mit allerlei wertvollen Gütern vollgeladen: an vorderster Stelle Bernstein, große Brocken und kleinere, unbearbeitet, dazu, soviel davon Platz fanden, von den nach dem Winter wieder guten Pelzen – er schickte sich an, nach Carnuntum zu reisen, vielleicht sogar bis nach Aquileia, das würde er später entscheiden.

      Gondas rief erneut die stärksten Männer der benachbarten Stämme desselben Namens, desselben Blutes im Heiligen Hain zusammen, vollgesogen mit den Prophezeiungen der Ahnen und alter Furcht. Ein abgelegener Ort, niemand störte sie hier, und die Götter waren hier besonders nahe. Natürlich würde es mehr Gewinn abwerfen, die Waren nach Aquileia zu bringen, dort kann man den Bernstein direkt an die Handwerker verkaufen, die ihn später bearbeiten. In Carnuntum bekamen sie erheblich weniger dafür, die römischen Zwischenhändler wollten ja auch etwas verdienen. Sie hatten schon einmal Bernstein nach Aquileia gebracht und waren dafür so reich belohnt worden, dass die Achsen ihrer Wagen auf der Rückreise fast gebrochen wären, sie hatten nicht nur Geld und Glasgeschirr mitgebracht, sondern auch Kupfer, Zinn und Zink, das reichte den örtlichen Meistern für Jahre, so viele Messingarmreife, Broschen, Anhänger und anderen Schmuck konnten sie daraus fertigen, mehr als es Leute gab, die Frauen und Männer schmückten sich jeden Tag mit etwas anderem.

      Für Selija hatten die Meister damals ein wunderschönes Brustband gefertigt, wie sie es nur in anderen Ländern hatten kennenlernen können, aber auch von sich noch vieles hinzugefügt, sie verstanden nicht weniger von ihrem Handwerk: An den Seiten je zwei Nadeln mit einem runden, perforierten Kopf, eine für die linke, die andere für die rechte Brustseite. An den Köpfen je ein Anhänger befestigt, halbkreisförmig, ebenfalls mit einem hübschen Lochmuster. Auf der flachen Seite je fünf Kügelchen, von denen lange Ketten aus kleineren Kügelchen ausgingen, fünf an der Zahl, von unterschiedlicher Länge, die die ganze Brust bedeckten. Selija trug das Brustband, wenn sie guter Stimmung war oder auch, um zu zeigen, wer im Stamm das Sagen hatte.

      Selija stand hinter einem Baum und horchte. Sie wusste, dass sie das nicht durfte, na und? Eine andere Frau mitbringen, das durfte man ja auch nicht, aber wer hörte schon auf sie? Wie sehr sie sich auch immer zu beruhigen versuchte, sie bekam eine Gänsehaut. Die Bäume rauschten irgendwie zornig, und dann war da noch diese Eule, ›U-huuu‹, wie verhext. Warum konnte sie nicht einfach still sein? Sie machte ihr Angst und störte sie beim Zuhören. Und auch die Männer wurden leiser, sie redeten weiter, aber halblaut, sodass Selija kaum noch etwas verstehen konnte.

      Es werde immer schlimmer, sagte Gondas, die Germanen witterten die Händler: die Lugier, die Burgunden, die Markomannen, die Quaden – alle warteten nur darauf, die Wagen zu überfallen und die Männer zu erdolchen oder gefangen zu nehmen und den Bernstein für sich zu behalten, als hätten sie ihn selbst eingesammelt. Die Markomannen und die Quaden drangen ins Römische Reich ein, zogen mit ihren Kriegern bis nach Aquileia. Auf dem Weg dorthin traf man jetzt schon nicht mehr nur auf germanische Räuberbanden, sondern auch auf ganze, gut bewaffnete Armeen, den Bernstein und den Proviant, den sie immer mit sich führten, wollten alle. Von so einer Reise konnte man nicht nur ohne Reichtümer, sondern auch gar nicht mehr zurückkehren. Sie sollten sich besser nach Osten wenden, meinte Gondas, über die Berge ziehen, das dauere länger, mindestens fünfzig Tage in eine Richtung, aber so sei nun einmal das Leben, es lasse uns eben oft keine Wahl.

      Verhandelt, abgemacht, die Trinkhörner standen bereit, mit Met gefüllt, um die Vereinbarungen zu bekräftigen.

      Selija weinte, das hatte ihr gerade noch gefehlt, den Mann zu verlieren, Bentis war noch zu klein, Getier schlich um ihre Beine, im Wald funkelten die Augen der wilden Tiere, Selija rannte, so schnell die Beine sie trugen, nach Hause, völlig außer Atem.

      Am Morgen


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