Lola auf der Erbse. Annette Mierswa
Kissen, aus dem die Federn rieselten.
Neben der Kommode stand Lolas Bett, und mitten darauf lagen die drei Pfauenfedern und schillerten.
Sie hielt die Federn über ihren Kopf und ließ sie im Sonnenlicht tanzen. Geheimnisvoll sahen sie aus. Die hätte der Zauberer bestimmt haben wollen. Wenn man sie ganz dicht vor die Augen hielt, schien es, als erzählten sie Märchen von Prinzessinnen, Königen und Fabelwesen. Lola lauschte, ob die Federn ihr nicht etwas zu sagen hatten. Vielleicht konnte ja jede Feder einen Wunsch erfüllen! Was würde sie sich dann wünschen? Zuerst auf jeden Fall, dass sie wieder eine richtige Familie wären, mit Papa natürlich. Und zweitens, dass sie so groß wäre wie die anderen Mädchen in ihrer Klasse. Und als Drittes würde sie sich wünschen, dass der Kutter vom alten Solmsen wieder auftauchte. Dann würde er sie bestimmt zum Fischen mit rausnehmen.
Sie steckte die Federn in eine leere Vase, die bei den Kakteen im Regal stand, und stellte sie auf das Tischchen neben ihrem Bett. Daneben lag das Päckchen von Kurt. Ob sie nicht doch einmal nachsehen sollte, was darin war? Vielleicht war es ja etwas Verderbliches, wie die Eier. Dann musste sie es in den Kühlschrank legen, bis sie es zurückgeben konnte. Oder es war etwas ganz Scheußliches. Dann könnte sie es Mama zeigen und angewidert sagen: »Schau mal, so was schenkt der mir.« Und Mama würde ihn vielleicht nie wiedersehen wollen. Aber was sollte sie tun, wenn es etwas war, was sie sich immer schon gewünscht hatte? Aber daran glaubte sie nicht so recht, denn das waren in der Größe des Päckchens genau fünf Sachen: eine Spardose, denn sie wollte sparen, um dem alten Solmsen zum Geburtstag ein Fernglas zu kaufen; ein schönes Kleid, das ihr genau passte; ein zweites Meerschweinchen, damit Nadu nicht so alleine war; eine Taschenlampe, um unter der Bettdecke zu lesen; und einen Schutzengel, wobei sie keine Vorstellung davon hatte, wie groß der wohl sein würde. Mama hatte lediglich einmal gesagt: Jeder Mensch braucht einen Schutzengel. Und da hatte sie beschlossen, sich einen zu wünschen.
Sie nahm das Päckchen vom Tisch und wog es in der Hand. Es war so groß wie eine Honigmelone und deutlich schwerer, als sie gedacht hatte. Ein Kleid war es sicher nicht, dafür fühlte es sich zu hart an. Eine Taschenlampe kam auch nicht infrage, denn es hatte eine unregelmäßige Form. Und ein Meerschweinchen würde sich bewegen. Ein Schutzengel wäre sicher auch weicher. Blieb nur die Spardose. Nein, das konnte nicht sein, denn es hatte keine glatte Seite zum Hinstellen. Also konnte sie es wohl öffnen, ohne Gefahr zu laufen, es nicht mehr hergeben zu wollen. Lola löste die gelbe Schleife und faltete das Papier vorsichtig zur Seite. Sie wollte es auf keinen Fall beschädigen. Wenn sie Kurt das Päckchen zurückgab, sollte er nicht merken, dass sie es geöffnet hatte.
Vorsichtig ließ sie den Inhalt auf ihre Bettdecke gleiten. Vor ihr lag ein wunderschönes pyramidenförmiges Schneckenhaus. Das Äußere war ganz hell und fühlte sich etwas rau an. Im Inneren glänzte die blanke Fläche zartrosa. Es war ungefähr so groß wie ihr Meerschweinchen, das ganz aufgeregt in seinem Käfig herumhüpfte. »Damit haben wir nicht gerechnet, was?«, sagte Lola zu Nadu. Sie nahm das Schneckenhaus andächtig in ihre Hände und betrachtete es. Dann legte sie sich aufs Bett und hielt die Öffnung an ihr Ohr. Und tatsächlich: Man konnte das Meer rauschen hören! Lola schloss die Augen und lauschte. Sie stellte sich das Meer vor, ein blauer welliger Teppich, der sich bis zum Horizont ausdehnte und salzig roch. Sie lächelte. Und dann hörte sie plötzlich auf zu lächeln, denn sie hatte eine schwierige Entscheidung zu treffen. Entweder musste sie diesen Schatz wieder hergeben, oder sie musste Kurt zeigen, dass ihr sein Geschenk gefiel.
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