Soziologische Kommunikationstheorien. Rainer Schützeichel
großer Beliebtheit erfreut (Lasswell 1966: 178):
A convenient way to describe an act of communication is to answer the following questions:
Who
Says What
In Which Channel
To Whom
With What Effect?
Abb. 1.3: Baduras Kommunikationsmodell (nach Badura 1971: 20, stark modifziert)
Die Kommunikationsforschung hat es dieser Konzeption zufolge mit den klassischen W-Fragen zu tun. Lasswell legte diesem Entwurf das behavioristische Stimulus-Response-Modell zugrunde: Massenmedien funktionieren so, dass sie bestimmte Stimuli mit bestimmten Reaktionen verknüpfen und dabei möglichst diejenigen Stimuli, die zu unerwünschten Reaktionen führen könnten, vermeiden (vgl. Lasswell 1927: 630).
Das klassische Modell unterscheidet folgende Komponenten:
Kommunikation ist eine Relation zwischen mindestens zwei Kommunikatoren, einem Sender und einem Empfänger;
es liegen zwei kommunikative Handlungen vor, eine Mitteilung seitens eines Senders, eine Rezeption oder ein Empfangen dieser Mitteilung durch einen Empfänger;
Sender und Empfänger müssen über einen hinreichend ähnlichen, in ihrer Bedeutung weitgehend isomorphen Vorrat an Zeichen und Symbolen verfügen.
Ein Kanal stellt den materiellen Träger der Kommunikation dar.
Das klassische Modell von Shannon / Weaver wie auch die in dieser Tradition stehenden Erweiterungen und Modifikationen formalisieren die in der alltagsweltlichen Auffassung von der Kommunikation als einer Übertragung oder einem Transport von Gütern unterstellten Annahmen. Es kann als eine Kodifizierung dieser Auffassung gewertet werden. Das Modell war, wie schon erwähnt, ursprünglich zur Modellierung von technisch übertragener und gestützter Information vorgesehen. Es enthält allein physikalische Größen, keine semantischen oder, wie Soziologen sagen würden, sinnhaften Elemente. Leider wurde und wird es aber häufig entgegen der Absicht ihrer Urheber als ein allgemeines kommunikationstheoretisches Modell betrachtet, als ein Modell, welches ausreichend sei, um auch die menschliche Kommunikation beschreiben zu können. Von daher sah man sich sehr schnell vor die Notwendigkeit gestellt, dieses Modell weiter zu entwickeln. Neben dem Desiderat des ›Sinns‹ musste das Modell vor allem in einer zweiten Hinsicht erweitert werden. Shannon / Weaver konzeptualieren Kommunikation als einen linearen Prozess und vernachlässigen dabei zirkulare, rekursive und reziproke Momente.
In diesem Modell findet ein quantitativer oder syntaktischer Informationsbegriff Verwendung. Der Informationswert von Zeichen wird mit der Wahrscheinlichkeit ihres Vorkommens gleichgesetzt. Der syntaktische Informationsgehalt ist ein Maß für den Neuigkeitswert oder Überraschungsgrad eines Zeichens. Oder kurz: Information ist ein Maß für die Unwahrscheinlichkeit von Zeichen. Im Alltag und im sozialen Leben überhaupt verwenden wir einen qualitativen Informationsbegriff. Während sich der syntaktische Informationsbegriff allein auf die Kombination von Zeichen bezieht, umfasst der qualitative Informationsbegriff, so wie er in der Soziologie Verwendung findet, darüber hinaus aber noch andere Kontexte, wie etwa das Vorwissen der Kommunikatoren, ihr Interesse oder ihre Aufmerksamkeit. Er ist im Unterschied zum syntaktischen nicht formalisierbar. Kennzeichnend ist einerseits die pragmatische These, dass nur das Information ist, was Information erzeugen kann, und die semantische These andererseits, dass nur das Information sein kann, was als Information verstanden wird. Gemeinsam scheint beiden Varianten der Bezug auf die Unterscheidung von Varietät und Redundanz zu sein. Informationen beruhen auf Varietät, also auf codierten Unterscheidungen oder Differenzen. Varietäten, die nicht für ein oder von einem System codiert sind, stellen bloßes ›noise‹ dar. Redundanz heißt, dass mehr Zeichen oder Signale gesendet werden müssen, um Informationen darzustellen, als notwendig ist. Ob Informationen redundant sind, hängt davon ab, ob sie schon in den jeweiligen Kontexten enthalten sind, so dass die Informationen von Zeichen oder Signalen notfalls auch auf dem Umwege über den Gebrauchskontext erschlossen werden könnten. Natürliche Zahlen sind z. B. nicht redundant. Wenn Sie die Zahlenkombination 156?899 haben, dann können sie bei einem Verlust der vierten Ziffer aus dem Kontext nicht erschließen, um welche es sich handelt. Anders ist das z. B. in der Alltagssprache, bei der man eine Redundanz von 50 Prozent annimmt. Ähnlich dürfte es sich im Fall der Schrift verhalten, denn Sie k.nnen. anz g.wiß erschl..ssen, was ich Ihnen gerade sagen will. Auch in sozialen Beziehungen spielt die Redundanz des Mitgeteilten eine erhebliche Rolle. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Leben unserer Eheleute Schmidt, die wir an dieser Stelle zum ersten Mal einführen, ein nunmehr seit 30 Jahren verheiratetes Ehepaar. Heute weiß Herr Schmidt sicherlich ganz genau, was das Naserümpfen seiner Frau zu bedeuten hat. Am Beginn ihrer Beziehung dürfte die Redundanz der Informationen wesentlich geringer gewesen sein – ein Naserümpfen hätte wohl kaum als Mitteilung genügt, um den gerüffelten Sachverhalt zu erschließen.
Welche Veränderungen erfährt dieses klassische Modell? Eine erste Modifikation wird an der Komponente des ›Codes‹ vorgenommen. Man geht davon aus, dass sowohl der Sprecher als auch der Adressat über eigene Zeichenrepertoires verfügen und eine Verständigung nur dann zustande kommt, wenn es eine genügend große Schnittmenge zwischen beiden Zeichenmengen gibt. Zeichen, die nur einem Repertoire angehören, können nicht zur Kommunikation benutzt werden. Dabei wird der Begriff ›Code‹ von den Kommunikationstheoretikern mehrdeutig verwendet. Er lässt sich auf zwei Wurzeln zurückführen, auf die juristische Terminologie, in welcher ein Code einen Gesetzestext bzw. eine Vorschrift darstellt (z. B. ›Code Napoléon‹), und auf die Kryptografie, in welcher ein Code eine Zuordnungsvorschrift für die Übertragung von Zeichenelementen einer natürlichen Sprache in die eine Geheimsprache darstellt. Kommunikationstheoretisch wird dieser Terminus in einer engeren und in einer weiteren Bedeutung verwendet. Er kann in einer zusätzlichen Bedeutung mit Zeichensystemen als solchen synonymisiert werden, und er kann in einer engeren Bedeutung als Zuordnungsregel zwischen Zeichensystemen benannt werden. Die Soziologie verwendet den Code-Begriff mit einer wesentlichen Ausnahme allgemein im Sinne einer Zuordnungsregel. Sie benutzt also den linguistischen Code-Begriff. Eine Ausnahme stellt die Systemtheorie dar, die einen kybernetischen Code-Begriff verwendet, der eine strikte Binarisierung der möglichen Werte des Codes beinhaltet und damit nicht Zuordnungen reguliert, sondern Unterscheidungen.
Eine zweite Modifikation an dem ursprünglichen Modell wird erreicht, wenn man Kommunikationskreisläufe oder Rückkopplungsschleifen einbezieht. Dabei konnten sich die Kommunikationstheoretiker an dem frühen Modell des Redekreislaufs von Ferdinand de Saussure orientieren, der Kommunikation als einen sich in zwei Richtungen vollziehenden Informationsfluss beschrieb: vom Sprecher zum Hörer und vom Hörer, der nun seinerseits zum Sprecher wird, zurück zum ersten Sprecher oder nunmehr dem Hörer. Von besonderer Bedeutung ist auch die Theorie des Feedbacks von Watzlawick, Beavin und Jackson (vgl. Watzlawick u. a. 1967). Wenn der Sprecher das eigene kommunikative Handeln, die eigene Zeichenproduktion und deren Wirkung auf den Rezipienten betrachtet und beurteilt, entsteht möglicherweise eine Rückkopplung, wodurch er selbst zum Rezipienten seiner eigenen Mitteilung wird und seine Folgemitteilungen entsprechend beeinflussen oder korrigieren kann. Dabei kann zwischen negativen und positiven Rückkopplungen unterschieden werden. Positive Rückkopplungen liegen vor, wenn Zeichen, mit denen bereits eine positive bzw. erstrebte Wirkung erzielt wurde, verstärkt und bestätigt werden. Negative Rückkopplungen hingegen können den Sprecher veranlassen, seine Mitteilungen zu korrigieren, um die als negativ beurteilten Wirkungen auszugleichen. Dabei können in dem Kommunikationssystem selbst wieder weitere verschiedene Rückkopplungsschleifen identifiziert werden.
Damit wird die Linearität des Kommunikationsmodells in Frage gestellt. Denn dieses Sender-Empfänger-Modell verteilt einseitig Aktivitäten und Passivitäten. Der Sender erhält den aktiven Part, der Empfänger den passiven Part. Kommunikation wird stattdessen von Watzlawick / Beavin 1966 als ein reziproker Prozess betrachtet, in welchem beide Beteiligten zugleich agieren und reagieren, handeln und erleben. Dabei lehnen sie sich an eine Beschreibung von Birdwhistell an, die die systemtheoretische Position schon früh vorwegnimmt: »Ein Individuum kommuniziert