Film- und Fernsehanalyse. Lothar Mikos
Fernsehanalyse in der Medienpädagogik. In: Medien Concret, 9, S. 64–67
Mikos, Lothar (2008): Understanding Text as Cultural Practice and Dynamic Process of Making Meaning. In: Barker, Martin/Mathijs, Ernest (Hrsg.): Watching the »Lord of the Rings«. Tolkien’s World Audiences. New York u.a., S. 207–212
Mikos, Lothar/Eichner, Susanne/Prommer, Elizabeth/Wedel, Michael (2007): Die »Herr der Ringe«-Trilogie. Attraktion und Faszination eines populärkulturellen Phänomens. Konstanz
Miller, Toby (2002): Television Studies. London
Mitry, Jean (2000): Semiotics and the Analysis of Film. Bloomington/Indianapolis (Originalausgabe 1987: La Sémiologie en Question. Langage et Cinéma)
Monaco, James (2009): Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Neuen Medien. Reinbek (3. Auflage, Erstausgabe 1980, Originalausgabe 1977)
Nelmes, Jill (Hrsg.) (1996): An Introduction to Film Studies. London/New York
Phillips, William H. (1999): Film. An Introduction. Boston/New York
Pudowkin, Wsewolod (1928): Filmregie und Filmmanuskript. Berlin
Salt, Barry (1992): Film Style and Technology: History and Analysis. London (2. Auflage; Erstausgabe 1983)
Salt, Barry (2006): Moving into Pictures. More on Film History, Style, and Analysis. London
Schnell, Ralf (2000): Medienästhetik. Zu Geschichte und Theorie audiovisueller Wahrnehmungsformen. Stuttgart/Weimar
Thompson, Kristin (2007): The Frodo Franchise. »The Lord of the Rings« and Modern Hollywood. Berkeley, CA u.a.
Truffaut, François (1972): A Kind Word for Critics. In: Harpers, 10, 1972
Wagner, Ulrike/Gebel, Christa/Eggert, Susanne (2006): Muster konvergenzbezogener Medienaneignung. In: Wagner, Ulrike/Theunert, Helga (Hrsg.): Neue Wege durch die konvergente Medienwelt. München, S. 83–124
Wasko, Janet (2008): »The Lord of the Rings« Selling the Franchise. In: Barker, Martin/ Mathijs, Ernest (Hrsg.): Watching »The Lord of the Rings«. Tolkien’s World Audiences. New York u.a., S. 21–36
Wharton, David/Grant, Jeremy (2007): Teaching Analysis of Film Language. London
Wickham, Phil (2007): Understanding Television Texts. London
Wulff, Hans J. (1999): Darstellen und Mitteilen. Elemente der Pragmasemiotik des Films. Tübingen
Teil I: Theorie und Methodik
1. Die Kommunikationsmedien Film und Fernsehen
Filme und Fernsehsendungen sind als Medien der Kommunikation in die gesellschaftlichen Kommunikations- und Interaktionsverhältnisse eingebettet. Filme und Fernsehsendungen müssen daher grundsätzlich als Kommunikationsmedien verstanden werden. Ein Film ist zwar zunächst das Ergebnis eines künstlerischen Produktionsprozesses und in diesem Sinn als Werk zu sehen, doch verfolgen selbst Filmkünstler, die sich als Autoren verstehen, die Absicht, mit einem Publikum in Kommunikation zu treten, sei es, weil sie etwas mitzuteilen haben, sei es, weil sie von der Arbeit des Filmemachens leben und ihren Lebensunterhalt nur verdienen können, wenn ein zahlendes Publikum den Film zu einem mehr oder minder kommerziellen Erfolg macht. Soll die Kommunikation mit dem Publikum gelingen, muss im Prozess des Filmemachens bereits auf mögliche Erwartungen des Publikums sowie auf kognitive und emotionale Fähigkeiten der Zuschauer Bezug genommen werden. Eine Fernsehsendung kann zwar als pure Unterhaltung genutzt werden, dennoch wird der Zuschauer die Sendung vielleicht langweilig finden und sich Gedanken über die Absicht der Produzenten machen. Die Beispiele zeigen, dass Filme und Fernsehsendungen als bedeutungsvolles symbolisches Material gesehen werden müssen, das nur im Rahmen bedeutungsvoller Diskurse Sinn ergibt. Sie dienen der indirekten Kommunikation zwischen Menschen. Von der direkten, sogenannten Face-to-Face-Kommunikation unterscheidet sich die indirekte Kommunikation dadurch, dass sie über technische Medien vermittelt ist: Medien, die sich an eine anonyme, heterogene Masse richten (Massenmedien), und Medien, die sich an einzelne Personen richten (Individualmedien). Film und Fernsehen sind den Massenmedien zuzuordnen. Einzelne Filme und Fernsehsendungen sind dann Bedeutungsträger in der indirekten Kommunikation. Sie ergeben sowohl für Produzenten als auch für Zuschauer Sinn.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass es in der Kommunikation zwischen audiovisuellen Werken und Zuschauern nicht nur um Bedeutungsbildung geht. Darauf hat auch James B. Twitchell (1992, S. 203) hingewiesen, der in Bezug auf das Fernsehen kritisch angemerkt hat, dass sich die Auseinandersetzung mit diesem Medium vor allem auf die Inhalte konzentriert hat, nicht aber auf das Fernsehen als Erlebnis. Rituelles Fernsehen als Tätigkeit eines zuschauenden Subjekts erschöpft sich im Akt des Sehens selbst und zielt nicht auf eine Bedeutungsproduktion anhand gesendeter Inhalte ab. Das Sinnhafte der Tätigkeit ist nur aus den sozialen Kontexten zu erschließen, in die sie eingebettet ist. Allerdings sind frühere Erfahrungen mit dem Fernsehen bereits im Ritual selbst kondensiert.
Die Film- und Fernsehanalyse muss davon ausgehen, dass die zu untersuchenden Gegenstände (Filme und Fernsehsendungen) eine Kommunikation mit ihren Zuschauern eingehen. Das geschieht auf zweifache Weise: Einerseits werden sie von Zuschauern betrachtet bzw. rezipiert, andererseits werden sie von Zuschauern benutzt bzw. angeeignet. Meines Erachtens ist es wichtig, diese Unterscheidung zwischen Rezeption und Aneignung zu treffen, denn dadurch wird ermöglicht, die konkrete Interaktion zwischen einem Film und seinen Zuschauern analytisch von der weiteren Aneignung des Films, z.B. im Gespräch mit Freunden und Bekannten, zu trennen. Mit Rezeption ist die konkrete Zuwendung zu einem Film oder einer Fernsehsendung gemeint. In der Rezeption verschränken sich die Strukturen des Film- oder Fernsehtextes und die Bedeutungszuweisung sowie das Erleben durch die Zuschauer. Es findet eine Interaktion zwischen den Film- und Fernsehtexten und den Zuschauern statt (vgl. Hackenberg 2004; Höijer 1992a und 1992b). Der aktive Rezipient erschafft in der Rezeption den sogenannten rezipierten Text (vgl. auch Mikos 2001a, S. 71 ff.; Mikos 2001b, S. 59 f.), der gewissermaßen die konkretisierte Bedeutung des »Originaltextes« darstellt. Der rezipierte Text ist der Film, den der Zuschauer gesehen hat, der mit seinen Bedeutungszuweisungen und seinen Erlebnisstrukturen angereicherte Film. Er ist das Ergebnis der Interaktion zwischen Film- oder Fernsehtext und Zuschauer. Mit Aneignung ist dagegen die Übernahme des rezipierten Textes in den alltags- und lebensweltlichen Diskurs und die soziokulturelle Praxis der Zuschauer gemeint. Eine Fernsehsendung kann Gegenstand weiterer Interaktionen und Handlungen sein, wenn sie z.B. dazu dient, in der Mittagspause am Arbeitsplatz ein Gespräch zu eröffnen. Menschen benutzen Filme und Fernsehsendungen sowohl zur Gestaltung ihrer eigenen Identität als auch zur Gestaltung ihre sozialen Beziehungen. Die Unterscheidung zwischen Rezeption und Aneignung ist analytischer Natur, empirisch sind sie als Handlungen der Zuschauer nicht zu trennen. Warum nun sind Rezeption und Aneignung für die Analyse von Filmen und Fernsehsendungen wichtig?
Für die Beantwortung dieser Frage muss man sich über die Beschaffenheit der Film- und Fernsehtexte klar werden. Wenn sich, wie es Angela Keppler (2001, S. 131) formuliert hat, im medialen Produkt »die Perspektiven der Produktion und der Rezeption auf eine bestimmte Weise« treffen, ist es Aufgabe der Analyse herauszufinden, auf welche Weise dies genau geschieht. Aus einer rezeptionsästhetischen Perspektive können dann nicht nur die »Medieninhalte als Kommunikationsangebote« (ebd.) verstanden werden, sondern das gesamte symbolische Material der Fernsehsendungen und Filme, also auch Narration und Dramaturgie sowie die gestalterischen Mittel, mit denen die Aufmerksamkeit der Zuschauer erregt werden soll. Film- und Fernsehtexte werden in diesem Zusammenhang als Anweisungen zur Rezeption und Aneignung verstanden. Die Texte enthalten Handlungsanweisungen für die Zuschauer (vgl. Mikos 2001a, S. 177 ff.) und strukturieren auf diese Weise deren Aktivitäten vor. »Nicht das Medium ist die Message, sondern seine Rolle in der sozialen Anwendung« (Hienzsch/Prommer 2004, S. 148). Film – und auch Fernsehen – kann daher als soziale Praxis gesehen werden (vgl. Turner 2006). Das heißt nicht, dass Film- und Fernsehtexte die Rezeption durch die Zuschauer determinieren. Sie machen lediglich Angebote, die von den Zuschauern genutzt werden können, indem sie sich auf eine Interaktion mit dem jeweiligen Text einlassen.