Bildethik. Christian Schicha

Bildethik - Christian Schicha


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Prozess im Verständnis eines stabilen Senders/Empfänger-Modells darstellt. Hall differenziert zwischen drei unterschiedlichen Lesarten eines medialen Produktes:

       Bei der Vorzugslesart (dominant-hegemonic position) wird der durch den Text und die Bilder strukturierte und begrenzte Interpre­tationsspielraum vom Rezipienten weitestgehend übernommen. Insofern erfolgt hier eine Zustimmung hinsichtlich der vorgelegten Inhalte.

       Bei der ausgehandelten Lesart (negotiated position) werden die in einem Beitrag dominierenden Ereignisse von den Rezipienten zwar akzeptiert, jedoch in den eigenen Wissens- und Er­fahrungshorizont und weitergehende Zusammenhänge eingeordnet. Die kodierte Bedeutung wird nicht einfach übernom­men, sondern mit den subjektiven Hintergründen und Erfahrungshorizonten assoziiert. Es liegt demzufolge eine kritischere Haltung als bei der Vorzugslesart vor.

       Bei der oppositionellen Lesart (oppositional code) werden die dargestellten Informationen rundweg abgelehnt und in einem alternativen Bezugsrahmen interpretiert (vgl. weiterführend Winter 1999, Lobinger 2012, Schicha 2021b).

      Es wird in diesem Verständnis von einem produktiven Zuschauer (vgl. Winter 2010) ausgegangen, der über eigene Wertmaßstäbe bei der Beurteilung von Medieninhalten verfügt. Diese Vorstellung basiert auf der Modellvorstellung eines aktiven Publikums, das die Botschaft für sich selbst autonom interpretiert und bewertet (vgl. Machart 2008). Dies gilt weiterhin bei der Interpretation von Bildinhalten:

      „Die optische Wahrnehmung, das Paradigma des Betrachters auratischer Werke, erfolgt durch thematische Aufmerksamkeit und Kontemplation, Einstellungen, in denen sich der Betrachter sammeln kann und einbringen muss. Seine eigenen Erfahrungen und Wertvorstellungen wie auch seine momentane Befindlichkeit werden mit dem Geschehen abgeglichen. Während der Rezeption bezieht der Betrachter sozusagen permanent und interpretierend Stellung zum Werk.“ (Fischer 2006, S. 201)

      Insofern kann es nicht die Bildwirkung geben, da jeder Betrachter über unterschiedliche Haltungen, Bewertungsmaßstäbe und Präferenzen verfügt:

      „Individuelle Dispositionen wie Erfahrungen, Vorwissen, kulturelle Prägungen, Sozialisation, Normen, Werte und Überzeugungen spielen nicht nur bei der Herstellung von […] Bildern, sondern auch bei der Entschlüsselung eine wichtige Rolle.“ (Bernhardt/Liebhart 2020, S. 19)

      So sind etwa Studien, die die Wirkung von Mediengewalt analysiert haben, zu dem Ergebnis gekommen, dass Gewaltdarstellungen in Abhängigkeit von der dramaturgischen Einbettung sozialverträgliche oder -unverträgliche Effekte erzeugen können. Sie hängen zusätzlich vom sozialen Umfeld, den Einstellungen und Erfahrungen sowie der psychischen Dispositionen des jeweiligen Rezipientenkreises ab (vgl. Grimm 1999). Nach einer weiteren qualitativen Rezeptionsanalyse auf der Basis von Gruppendiskussionen zeigte sich, dass das Spektrum der emotionalen Reaktionen auf Mediengewalt von Angst über Langeweile bis hin zu Vergnügen und Irritation reicht (vgl. Röser 2000). Nach Sichtung der wissenschaftlichen Befunde der Medien-und-Gewalt-Forschung kann insgesamt davon ausgegangen werden, dass auftretende Aggressionen ein Phänomen darstellen, das von zahlreichen Faktoren abhängt und nicht allein durch die Rezeption von Mediengewalt verursacht wird (vgl. Zipfel 2021).

      3 Normative Zugänge

      Im Gegensatz zur Bildethik, die auf freiwillige Reflexion und Steuerung bei der Beurteilung der angebotenen visuellen Inhalte setzt, hat das Bildrecht auf der Basis verbindlicher Gesetze die Möglichkeit, entsprechende Sanktionen bei Verstößen festzulegen und durchzusetzen. Beide Zugänge orientieren sich an Grundwerten wie dem Schutz der Menschenwürde, der Durchsetzung von Freiheit und Demokratie, dem Postulat von Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sowie der Einhaltung der Menschenrechte. Als Leitbilder gelten die Förderung des Pluralismus, die Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Gleichberechtigung (vgl. Losch 2006).

      3.1 Bildrecht

      Das Bildrecht ist Teil des Medienrechtes, das das Presserecht, Rundfunkrecht und Multimediarecht einschließt. Medien in Demokratien vom Typ der Bundesrepublik Deutschland dienen der pluralistischen Meinungsbildung. Sie fungieren als Wirtschaftsfaktor und Kulturträger. Dabei übernehmen sie im Rahmen der so genannten Grundversorgung eine Bildungs-, Informations- und Unterhaltungsfunktion. Zu den Mediengrundrechten gehören u.a. die Meinungs-, Informations- und Kunstfreiheit sowie das Zensurverbot.

      In Bezug auf das Eigentum von Texten, Grafiken sowie bewegten und unbewegten Bildern greift das Urheberrecht, das die Rahmenbedingungen der Besitzverhältnisse und Nutzungsrechte festlegt (vgl. Steckler 2004). Weiterhin existieren Gesetze zum Schutz gegen jugendgefährdende Medieninhalte in Wort und Bild (vgl. Fechner 2001).

      Fotos als Lichtbildwerke sind urheberrechtlich geschützt, sofern eine gewisse Gestaltungshöhe in Form einer besonderen Perspektivenwahl oder Lichteinstellung vorgenommen worden ist. Dies gilt zusätzlich für Filme aus dem fiktiven und dokumentarischen Bereich. So stellt die bloße Aufzeichnung eines Sportereignisses kein schützenswertes Filmwerk dar. Gleichwohl können die Rechteinhaber der Veranstaltung entscheiden, welcher Medienanbieter zu welchem Umfang auf welchem Kanal z. B. ein Fußballbundesligaspiel übertragen darf (vgl. Kaessler 2007).

      Grundsätzlich dürfen Bildnisse, zu denen Fotos, Film- und Fernsehaufnahmen, Fotomontagen und weitere Formen des künstlerischen Schaffens wie Zeichnungen und Gemälde gehören, nur mit der Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.

      Es ist bei der juristischen Bewertung hinsichtlich einer angemessenen Verbreitung von Bildern aber zu differenzieren, ob es sich um relative und absolute Personen der Zeitgeschichte handelt. Als absolute Personen der Zeitgeschichte werden diejenigen Akteure klassifiziert, bei denen ein hohes öffentliches Interesse über deren Leben besteht. Dazu gehören unter anderem prominente Politiker, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, Erfinder, Künstler, Schauspieler und Sportler.

      Relative Personen der Zeitgeschichte treten in der Regel mit Bezug auf ein bestimmtes Ereignis in den Blick der Öffentlichkeit. Dazu gehören zum Beispiel Vertreter der Judikative (Staatsanwälte, Richter, Rechtsanwälte), Legislative (Abgeordnete) oder Exekutive (Polizisten) und Begleiter von Prominenten, die als absolute Personen der Zeitgeschichte klassifiziert sind, aber auch Verbrecher (vgl. Leifert 2007). Sie genießen einen größeren Schutz am eigenen Bild, da ihre Aktivitäten kein derart großes Interesse umfassen wie die absoluten Personen der Zeitgeschichte, bei der das öffentliche Interesse stärker eingeschätzt wird.

      Das Recht am eigenen Bild, das weitgehend im Kunst- und Urhebergesetz (KUG) geregelt ist, verbietet es anderen, entsprechende Aufnahmen ohne Einwilligung der Betroffenen zu verbreiten oder öffentlich zur Schau zu stellen (vgl. Petersen 2003, Sachsse 2003, Dörr/Schwartmann 2008, Isermann/Knieper 2010). Dies gilt weiterhin für Bilder von Prominenten. Hierbei hat das sogenannte Caroline-Urteil einen wichtigen Beitrag geleistet (vgl. Ladeur 2007, Ruchartz 2007, Rau 2008, Keller/Häger 2011). Es gelangte nach einer Klage der Prinzessin gegen Paparazzi-Fotografien aus ihrem Privatleben nach mehreren Prozessen u.a. beim Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht zu folgender Einschätzung:

      „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem bekannten Urteil vom Juni 2004 zur Zulässigkeit der Veröffentlichung von Fotos, die Caroline von Monaco am Strand, beim Skifahren, beim Einkaufen, auf dem Markt und auf dem Fahrrad zeigen, entschieden, dass eine Veröffentlichung von Bildern davon abhängig ist, ob diese einen ‚Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leisten‘.“ (Fricke 2010, S. 200)

      Aufnahmen von privaten Feiern der Prominenten dürfen ohne Einwilligung der Beteiligten demnach nicht mehr publiziert werden. Es geht hierbei demzufolge um das Spannungsfeld des öffentlichen Interesses einerseits und den Schutz der Privatsphäre andererseits. Letztere wird als Bedeutungsraum klassifiziert. Grimm und Krah (2016, S. 178) zufolge handelt es sich dabei um den Bereich,

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