Internationale Beziehungen. Christian Tuschhoff
Zuge eines sich zuspitzenden Konfliktes einen entscheidenden militärischen Vorteil vom Angriff verspricht. In diesem Fall spricht man von Präemptivkrieg.
3.2 | Geographische Verteilung von Kriegen
Die räumliche Verteilung von Kriegen auf die einzelnen Kontinente ist sehr unausgewogen. Dies geht aus Abbildung 3.2 hervor.
Zwischen 1946 und 2008 fanden die meisten Kriege in Asien und Afrika statt. An dritter Stelle liegt der Mittlere Osten. Die Zahlen kriegerischer Konflikte in Nord- und Südamerika sowie in Europa sind dagegen vergleichsweise gering. In Amerika war ein signifikanter Anstieg von 1970 bis 1990 zu verzeichnen, seither hat die Zahl der Konflikte jedoch stetig abgenommen. In Europa bewirkte das Ende des Kalten Krieges einen erheblichen Anstieg der Kriegstätigkeit in den 1990er Jahren. Doch seither ist auch hier die Anzahl der Kriege erheblich zurückgegangen.
Zusammenwirken von Faktoren
Die Forschung hat ergeben, dass in Asien und (Sub-Sahara-)Afrika mehrere Faktoren zusammenwirken, die zu einer erhöhten Kriegsgefahr führen. Staatliche Institutionen sind schwach ausgeprägt; es gibt große wirtschaftliche und soziale Ungleichheit; die Gesellschaften sind häufig ethnisch und/oder religiös fragmentiert und die gute Verfügbarkeit großer Mengen leicht abbaubarer Rohstoffe ermöglicht die Finanzierung militärischer Gewalt (Rittberger/Kruck/Romund 2010: 377).
Abb. 3.2 | Kriege nach Region
Quelle: eigene Darstellung nach Gleditsch et al. (2002); Uppsala Conflict Data Program (UCDP)/ International Peace Research Institute Oslo (PRIO) (2009); Harbom (2009).
3.3 | Kriegsverhinderung und friedliche Konfliktregelung
Abschreckung
Wenn man die Ursachen für Kriege kennt, kann man ihnen entgegenwirken und auf diese Weise die friedliche Beilegung von Konflikten begünstigen. Wenn Krieg kein Selbstzweck ist, sondern einem übergeordneten Ziel dient und zugleich nur eine Alternative zu einer friedlichen Streitbeilegung durch Verhandlungen darstellt, werden die Konfliktparteien Kosten und Nutzen sorgfältig abwägen. Konfliktparteien können dann dadurch von einem Krieg abgeschreckt werden, dass man dessen Kosten möglichst weit hochschraubt (Frieden/Lake/Schultz 2012: 118). Denn so erscheinen Kompromisse durch Verhandlungen weit attraktiver als Krieg.
Zweitschlagsfähigkeit
Langer Friede
Während des Kalten Krieges wurde ausgehend von dieser Überlegung den Kernwaffen eine pazifizierende Wirkung zugeschrieben. Die Drohung mit der sogenannten gegenseitigen gesicherten Zerstörung, die durch die Zweitschlagfähigkeit sichergestellt wurde, veranlasste die Entscheidungsträger in Ost und West (Bundy 1988) zu extrem vorsichtigem Verhalten in dem anhaltenden Konflikt (Gaddis 2005; Link 1988). John L. Gaddis argumentierte, dass der sogenannte lange Frieden maßgeblich darauf beruht habe, dass ein Krieg zwischen den beiden Supermächten Sowjetunion und USA auf beiden Seiten inakzeptable Kosten verursacht hätte (Gaddis 1986; 1987). Diese Einsicht sei dem Kristallkugeleffekt von Kernwaffen entsprungen: Wie beim Blick in der Kristallkugel könne unzweideutig festgestellt werden, welch zerstörerische Wirkung von diesen Waffen ausgehe (Carnesale et al. 1983).
Definition
Abschreckung
Die grundsätzliche Überlegung, die Kosten eines Krieges so hoch und seinen Nutzen so gering wie möglich zu machen, wird als Abschreckung bezeichnet. Beruht die Steigerung der Kosten auf Kernwaffen, spricht man von nuklearer Abschreckung.
Internationale Verflechtung
Die Veränderung der Kosten-Nutzen-Kalkulation zugunsten einer friedlichen Streitbeilegung ist jedoch nicht nur durch die drastischen Maßnahmen militärischer Abschreckung möglich, die zudem das Risiko in sich birgt, dass — wie im Ersten Weltkrieg — die handelnden Entscheidungsträger die Kontrolle über die Ereignisse verlieren (Clark 2013; Münkler 2013). Vielmehr kann die arbeitsteilig organisierte Weltwirtschaft eine erhebliche Rolle in der Konfliktvermeidung spielen (
Liberaler Friede
Aus diesem Grund werden Freihandel und freier Kapitalverkehr (
Verflechtungsgewinner und -verlierer
Gegen diese optimistische Sicht der friedensstiftenden Wirkung wechselseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit ist jedoch eingewandt worden, dass es nicht allein auf die Kosten-Nutzen-Kalkulation im Sinne des Gemeinwohls — also für eine Gesellschaft insgesamt — ankomme. Konfliktparteien richteten ihre Entscheidungen nicht ausschließlich an diesem aus. Vielmehr gebe es Beispiele, in denen es Koalitionen aus Trägern von Partikularinteressen gelungen sei, ihre Positionen gegen die Interessen der überwältigenden Mehrheit durchzusetzen (Müller 2002: 59). Dies bedeutet, dass die Kosten-Nutzen-Kalkulationen eines Gemeinwesens erheblich von denen einzelner Gruppen abweichen können. Unter diesen Bedingungen ist es möglich, dass sich der Nutzen wirtschaftlicher Verflechtung sehr verschieden auf partikulare Interessengruppen auswirkt. Daher sprechen wir heute z. B. von Globalisierungs- oder Verflechtungsgewinnern und Globalisierungs- oder Verflechtungsverlierern. Krieg wird dann selbst bei hoher internationaler Verflechtung wahrscheinlich, wenn Verflechtungsverlierer durch ihn ihre Position durchsetzen können und/oder die Kosten einer Kriegführung hauptsächlich von den ursprünglichen Verflechtungsgewinnern getragen werden müssten.
Beispiel Erster Weltkrieg
Einige Historiker vertraten die These, dass im deutschen Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges genau dieser ursächliche Zusammenhang wirksam gewesen sei. Eine Koalition aus ostelbischen adligen Landbesitzern einerseits und Industriellen der Stahlindustrie andererseits hätte sich als Verflechtungsverlierer gesehen (Conrad 2006; Puhle 1975; Torp 2010; Wehler 1976; 1985; 1994).27 Unter ihrem Druck sei das Kaiserreich in einen verheerenden Krieg gezogen, dessen Hauptkosten jedoch anderen Gruppen aufgebürdet worden seien (Geiss 1985). Diese Interpretation der Ursachen des Ersten Weltkrieges ist zwar mittlerweile erheblich in Zweifel gezogen und relativiert worden (Münkler 2013: 94–96; Neitzel 2002), sie gehört aber dennoch in die Liste von möglichen Kriegsursachen nicht nur des Ersten Weltkrieges.28
Ursachenkette
Die