Römisches Theater. Gesine Manuwald

Römisches Theater - Gesine Manuwald


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nicht ein einmaliges Ereignis blieb, muss durch die Politik der Nobilität gefördert und durch den Erfolg des Stücks (oder der Stücke) beim Publikum unterstützt worden sein. Eine Institutionalisierung hin zu öffentlicher Präsentation von Geschichten und für das Publikum interessanter Handlungsabläufe und Themen stimmt überein mit einer Blüte von Kommunikation und Darstellung im späten dritten Jahrhundert v. Chr., wie sie sich an Entwicklungen in anderen literarischen Gattungen und in der Architektur zeigt.

      Auch wenn die Tatsache, dass ein qualifizierter Dichter wie Livius Andronicus zur Verfügung stand, vermutlich für die Einführung des griechischen Dramas in Rom förderlich war, war die Übertragung in erster Linie das Resultat einer Entscheidung der Magistrate und nicht ein organischer Prozess, der von Schauspielern und Dichtern getragen wurde, die neue Betätigungsfelder suchten. Daher sind die frühen Phasen des römischen ‚literarischen‘ Dramas nicht eine rein literarische Fortsetzung des damals zeitgenössischen griechischen Dramas; stattdessen führte eine politische Entscheidung zu einer neuen Situation für die Dichter, die dann auf der Basis von mittlerweile als klassisch geltenden Vorbildern Konventionen für das römische Drama entwickelten.

      Die punktuelle Implantation der griechischen Dramentradition in die Literaturgeschichte Roms markiert einen klar zu benennenden Einschnitt in der Kulturpolitik und Literaturgeschichte Roms. Jedoch bedeutet die zusätzliche dauerhafte Etablierung von Dramenaufführungen im griechischen Stil keine völlige Veränderung oder Abwendung von vorausgehenden italischen Traditionen. Sie wirkten indirekt auf das sich allmählich ausdifferenzierende ‚römische literarische Drama‘ ein, da die römischen Dichter daraus Elemente, die für ein römisches Publikum möglicherweise interessant oder attraktiv waren, in Dramen griechischen Stils übernehmen konnten.

      Als um 240 v. Chr. römische dramatische Aufführungen in ein ‚literarisches‘ Stadium eintraten, mögen sich die ersten Dramatiker bewusst gewesen sein, dass sie etwas Neues taten; doch können sie kaum die Dimension ihrer innovativen Leistung und deren Weiterwirken vorhergesehen haben. Diese Bedeutung wurde erst in spätrepublikanischer und frühaugusteischer Zeit allmählich deutlicher wahrgenommen. Die Anerkennung der Werke der frühen Dichter als Literatur beruht daher nicht auf einer Einschätzung im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr., als die Dramentexte verfasst wurden, sondern auf einer historischen Betrachtungsweise, wie sie im zweiten Jahrhundert v. Chr. einsetzte und von spätrepublikanischen und frühaugusteischen Wissenschaftlern systematischer verfolgt wurde. Man begann, die ersten Dramatiker als Teil der eigenen Kultur zu betrachten und chronologische und biographische Fragen in Bezug auf diese Texte zu erforschen. Dadurch erhielten die Dramentexte den Status von ‚Literatur‘.

      Autoren der späten Republik und der frühen augusteischen Zeit wie Cicero, Varro und Horaz waren selbstverständlich ebenso vertraut mit der Geschichte der griechischen Literatur, und diese galt ihnen als Paradigma. Einige Autoren, die sich bei ihren Überlegungen zum Theater auf literarische Dramen in griechischem Stil konzentrierten, sahen daher das römische Theater als importiert an und hoben das griechische und/oder etruskische Element hervor. Entsprechend schlossen sie, dass in Rom Literatur eher spät aufgekommen sei, wobei Formen des vorliterarischen Dramas und einheimische Traditionen ignoriert wurden. Oder es wurde angenommen, dass es eine Weile gedauert habe, bis das schriftliche Drama einen akzeptablen Status erreicht hatte.

      So gab es neben der verbreiteten Chronologie, wonach das römische Drama mit Livius Andronicus 240 v. Chr. anfing, die Auffassung, dass ‚die Muse‘ in Rom während des Zweiten Punischen Kriegs (218–201 v. Chr.) ‚ankam‘ (Porcius Licinus, ap. Gell. 17,21,45), und eine andere, wonach sich die Römer erst nach dem Zweiten Punischen Krieg der Tragödie zuwandten und in der Lage waren, ausgefeilte Dichtung zu produzieren (Hor. epist. 2,1,156–167 [▶ T 2]).

Graecia capta ferum victorem cepit et artis Das eroberte Griechenland eroberte den ungeschlachten Sieger und
intulit agresti Latio. sic horridus ille brachte die Künste in das ländliche Latium. So verlor sich jenes ungepflegte
defluxit numerus Saturnius et grave virus saturnische Versmaß, und Reinlichkeit
munditiae pepulere; sed in longum tamen aevum vertrieb den üblen Geruch; aber dennoch blieben für eine lange Zeit
[160] manserunt hodieque manent vestigia ruris. [160] und bestehen heute noch Spuren des Bäurischen.
serus enim Graecis admovit acumina chartis Denn spät wandte er [der Römer] seinen scharfsinnigen Verstand griechischen Schriften zu,
et post Punica bella quietus quaerere coepit und [erst] in der Ruhe nach den Punischen Kriegen begann er zu fragen,
quid Sophocles et Thespis et Aeschylus utile ferrent. was Nützliches Sophokles, Thespis und Aischylos brächten.
temptavit quoque rem, si digne vertere posset, Er versuchte sich auch daran, ob er den Stoff angemessen übertragen könne,
[165] et placuit sibi, natura sublimis et acer; [165] und es gefiel ihm, der von Natur aus erhaben und leidenschaftlich ist;
nam spirat tragicum satis et feliciter audet, denn er atmet ausreichend tragischen Geist und geht mit glücklicher Hand ein Wagnis ein,
sed turpem putat inscite metuitque lituram. aber in seiner Unwissenheit hält er verbesserndes Überarbeiten für schändlich und scheut es.

      Solche Aussagen scheinen den Anfang der Literatur in Rom auf Naevius oder sogar Ennius (geb. 239 v. Chr.) zu datieren. Sie sind jedoch nicht notwendigerweise ein Widerspruch zu der früheren Datierung: Solche Bemerkungen mögen eher darauf hinweisen, dass die Werke der Archegeten nicht als eigentliche Literatur und daher Ennius (der selbstbewusst seine Stellung propagierte) als der eigentliche Gründer der römischen Literatur angesehen wurde. Horaz beispielsweise lässt die römische Literatur in der Zeit von Livius Andronicus beginnen und scheint sich daher der verbreiteten Auffassung anzuschließen; gleichzeitig nennt er Livius Andronicus scriptor (‚Schreiber‘, ‚Verfasser‘) im Gegensatz zu poetae (‚Dichter‘), die ihm später in der republikanischen Zeit folgten (Hor. epist. 2,1,61–62). Dass er Livius Andronicus’ Dichtung nicht als ausreichend kultiviert betrachtet, kann die andere Perspektive in einem anderen Kontext erklären. Auch Cicero scheint nicht viel von Livius Andronicus’ Werken gehalten zu haben (Cic. Brut. 71).

      In Verbindung mit einem schlechten Erhaltungszustand der Stücke vieler republikanischer Dramatiker (wofür diese frühen Beurteilungen ein Grund sein können) haben solche Werturteile die Auffassung über die frühe römische dramatische Literatur bis in die moderne Zeit beeinflusst. Auch wenn die antiken Äußerungen eine Fülle von Informationen über die Anfänge des römischen Dramas überliefern, sind die Darstellungen häufig bestimmt durch die Einschätzungen der jeweiligen Verfasser. Beispielsweise stellten die antiken Autoren Kanons der besten Dichter zusammen und etablierten ein evolutionäres Modell, nach dem die Archegeten hinsichtlich ihrer literarischen Raffinesse im Vergleich zu ihren Nachfolgern beurteilt werden anstatt in Bezug auf die Relevanz ihrer innovativen Leistungen. Dennoch empfand man offenbar, dass diese Männer für Roms Literatur wichtig und ihre Werke relevant waren. Diese Ansicht konnte sich dann zu der Überzeugung entwickeln, dass ‚Fehler‘ in den Werken früherer Dichter eher ihrer Zeit als den Dichtern selbst geschuldet seien (Quint. inst. 10,1,97).

      3. Theaterwesen

      3.1. Spiele und Aufführungsgelegenheiten


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