Friedens- und Konfliktforschung. Ines-Jacqueline Werkner

Friedens- und Konfliktforschung - Ines-Jacqueline Werkner


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– und zwar nicht nur in der Friedensforschung – häufig nicht eingelöst (vgl. Jahn 2012, S.27; Brühl 2012, S.178; Sukopp 2013, S.14ff.)). Bestenfalls lassen sich, wenn überhaupt, multidisziplinäre Ansätze erkennen. So konstatiert auch Jürgen Kocka (1987, S.8): „Der Glanz des Begriffs ist ein wenig verblaßt. […] einstmals hochgespannte Erwartungen [sind] angesichts zäher Schwierigkeiten reduziert worden“. Zu den Schwierigkeiten inter- und transdisziplinärer Arbeit zählen unter anderem die unterschiedlichen disziplinären Codes und Sprachen, die mangelnde „Kopulationsfähigkeit“ grundsätzlich verschiedener Theorieentwürfe aus den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften, die jeweils in den einzelnen Fachdisziplinen vorherrschenden spezifischen Methoden oder auch die in den einzelnen Disziplinen etablierten Denkweisen und Anschauungen, die häufig als unhintergehbar gelten (vgl. Kocka 1987, S.8f.; Sukopp 2013, S.14f.).

      3.4 Fazit

      Normativität, Praxisorientierung und Inter- beziehungsweise Transdisziplinarität – diese Merkmale prägten von Beginn an die Friedensforschung. In der Literatur werden sie häufig sogar als konstitutiv angesehen. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Systemwandel in Europa ist – das haben die obigen Ausführungen aufzeigen können – ein Wandel im Selbstverständnis der Friedensforschung unverkennbar. Dieser führt aber nicht zwangsweise zu einer Aufgabe der genannten Ansprüche. So fordert der zu verzeichnende Trend von einer „Forschung für den Frieden“ zu einer „Forschung über den Frieden“ sicherlich eine stärkere empirische Unterfütterung ein, er negiert aber nicht per se das normative Selbstverständnis der Friedensforschung. Bereits jede Forschungsfrage stellt eine normative Setzung dar. So mag beispielsweise die Frage nach der Effektivität von targeting killing als Forschungsthema unter die Freiheit der Forschung nach Artikel 5 des Grundgesetzes fallen und sich in den Internationalen Beziehungen als relevant erweisen, in der Friedensforschung aber auf normative Vorbehalte stoßen. Im Vergleich zu Hochzeiten der kritischen Friedensforschung, deren normative Aussagen sich am weiten Friedensbegriff orientierten, wird seit den 1990er Jahren verstärkt ein enger (substanzieller) Friedensbegriff vertreten (vgl. Kapitel I in diesem Lehrbuch). Normative Aussagen bestehen weiterhin, verweisen aber auf einen anderen Bezugspunkt.

      Vor diesem Hintergrund erweisen sich für Friedensforscher und -forscherinnen zwei Aspekte als dringlich: Erforderlich ist erstens ein fortwährendes Austarieren: Darauf verweisen nicht nur Debatten über die Zivilklausel. Auch stellt die Praxisorientierung für Friedensforscher und -forscherinnen eine stete Gratwanderung dar: Zum einen verfolgen sie den Anspruch, mit ihren Handlungsempfehlungen gehört zu werden; zugleich gehen sie die Gefahr ein, von politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren für ihre Ziele im Sinne eines „Flankenschutzes“ missbraucht zu werden. Benötigt wird hier eine immer neu zu justierende Balance von Nähe und Distanz.

      Zweitens bedarf es der Transparenz: sowohl im Hinblick auf das eigene Selbstverständnis als auch in Bezug auf die Vorgehensweise. Unerlässlich ist bei Letzterem auch ein ehrlicher Ausweis verfolgter mono-, inter- beziehungsweise transdisziplinärer Ansätze und ihrer Schwierigkeiten, auch einer sich in diesem Kontext abzeichnenden Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Denn auch wenn Inter- und Transdisziplinarität oft gefordert wird, wird sie nur selten betrieben. Dieser Sachverhalt ist zumindest offenzulegen.

       Weiterführende Literatur:

      Bonacker, Thorsten. 2011. Forschung für oder Forschung über den Frieden? Zum Selbstverständnis der Friedens- und Konfliktforschung. In Friedens- und Konfliktforschung, hrsg. von Peter Schlotter und Simone Wisotzki, 46-77. Baden-Baden: Nomos. Mit dieser im Beitrag diskutierten Frage markiert der Autor einen wichtigen Wendepunkt im Selbstverständnis der Friedensforschung.

      Jaberg, Sabine. 2009. Vom Unbehagen am Normverlust zum Unbehagen mit der Norm? Zu einem fundamentalen Problem der neueren Friedensforschung. Hamburger Beiträge zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Heft 152. Hamburg: IFSH. Dieser Text setzt sich in Reflexion zweier historischer Debatten – der Tyrannei der Werte und dem Werturteilsstreit – kritisch mit den Argumenten der Skeptikerinnen und Skeptiker einer normativen Wissenschaft auseinander und plädiert für die Beibehaltung einer wert- und normbasierten Friedensforschung.

      Zeitschrift für Internationale Beziehungen 19 (1). Die Zeitschrift veröffentlicht in diesem Heft die Beiträge des von ihr im Oktober 2011 organisierten Symposiums zum Verhältnis zwischen den Internationalen Beziehungen und der Friedens- und Konfliktforschung. Hier finden sich die zum Teil konträren Positionen unter anderem von Michael Brzoska, Tanja Brühl, Harald Müller und Klaus Schlichte.

Part II: Weltpolitische Konflikte – Begriff, Formationen und Austragungsformen

      4 Konflikt – Konzeptionelle Vorüberlegungen

      Konflikt zählt zu den zentralen Grundbegriffen – nicht nur der Friedens- und Konfliktforschung, sondern der gesamten Sozialwissenschaften. Konflikte sind allgegenwärtig: Sie sind auf weltpolitischer Ebene, zwischenstaatlich, innergesellschaftlich sowie zwischenmenschlich und sogar intrapersonal anzutreffen. Zugleich gehört der Konfliktbegriff zu den umstrittensten seines Fachs. Er kann auf verschiedenste Weise verstanden und unterschiedlich eng und weit gefasst werden. Diese Debatten hat der Konfliktbegriff mit dem des Friedens gemeinsam. In der normativen Bewertung zeigen sich jedoch fundamentale Unterschiede: Zählt der Frieden als höchstes und anzustrebendes Gut, verbindet sich mit dem Terminus des Konflikts – insbesondere in seinem Alltagsverständnis – eine in der Regel negative Konnotation. Konflikte gelten gemeinhin als gewaltsame Erscheinungen, die einem friedlichen Miteinander abträglich und zu vermeiden beziehungsweise, sofern ausgebrochen, zu beenden sind. Ist ein solches Konfliktverständnis aber auch wissenschaftlich zu rechtfertigen und zu stützen? Dafür ist zunächst der Terminus selbst in den Blick zu nehmen.

      4.1 Zum Konfliktbegriff

      Konflikt ist dem lateinischen Ausdruck conflictus entlehnt und steht für Widerstreit und Zwiespalt. Etymologisch geht er auf confligere zurück, zusammengesetzt aus dem Präfix con (lateinisch für mit, zusammen) und dem Verb fligere (lateinisch für prallen). In dieser Ableitung stellen Konflikte – zunächst völlig wertneutral und unvoreingenommen – soziale Interaktionen beziehungsweise „soziale Tatbestände“ (Bonacker und Imbusch 2006, S.68) dar, an denen mindestens zwei Akteure1 (Individuen, Gruppen, Organisationen, Staaten etc.) beteiligt sind, charakterisiert durch unvereinbare Positionsdifferenzen.

      Johan Galtung (2007, S.135f.) betrachtet Konflikte als „triadisches Konstrukt“ (vgl. Schaubild 5), bestehend aus:

       dem Verhalten der Konfliktakteure, die den Konflikt anzeigen und bewusst werden lassen,

       den Einstellungen und Annahmen der Konfliktakteure in Bezug auf die angenommenen Konfliktursachen, die Wahrnehmung der eigenen Position und die Bewertung der anderen Partei sowie

       dem Widerspruch, ausgedrückt in inkompatiblen Zielzuständen.

      Schaubild 5:

      Das Konfliktdreieck nach Johan Galtung (2007, S.136)

      „Konflikt = Annahmen/Einstellungen + Verhalten + Widerspruch/Inhalt“ – so die Galtungsche Kurzformel (2007, S.135). Zwischen allen drei Komponenten besteht ein enger Zusammenhang; sie sind stets im Kontext zu betrachten. Dabei könne ein Konflikt von jedem Punkt aus beginnen: Beispielsweise könne ein Widerspruch, der ein gewünschtes Ziel versperrt, als Frustration erlebt werden und zu einer aggressiven Einstellung und einem aggressiven Verhalten führen. Aber auch negative Einstellungen oder Verhaltensdispositionen können – sofern „etwas ‚auftaucht’, das nach einem Problem aussieht“ (Galtung 2007, S.137) – aktiviert werden und zu einem manifesten Konflikt führen. Diese Mechanismen bergen das Potenzial, Gewaltspiralen auszulösen. Zugleich lassen sich aber auch negative Einstellungen und negatives Verhalten zügeln und Widersprüche überwinden.

      Galtung unterscheidet zudem zwischen der manifesten (sichtbaren) und latenten (unsichtbaren) Ebene eines Konflikts. Das Konfliktverhalten bildet


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