Grundkurs Sozialverwaltungsrecht für die Soziale Arbeit. Jörg Reinhardt

Grundkurs Sozialverwaltungsrecht für die Soziale Arbeit - Jörg Reinhardt


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Straßenverkehrsrecht.

      Angesichts dieser enormen Aufgabenvielfalt wird grundsätzlich unterschieden zwischen der Leistungsverwaltung und der Eingriffsverwaltung: Die Eingriffsverwaltung dient der Durchsetzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, indem sie Bürgerinnen und Bürgern konkrete Verhaltensvorgaben macht (z. B. eine bestimmte Art des Bauens vorschreibt, Demonstrationen untersagt, Lärmschutzauflagen durchsetzt etc.) und damit zwangsläufig hoheitlich, d. h. „von oben“, in die Rechts- und Freiheitssphäre der Bürger eingreift.

      Beispiele

      Weitere Beispiele für die Eingriffsverwaltung sind polizeiliche Maßnahmen (z. B. ein Platzverweis, die Ingewahrsamnahme oder die Feststellung von Personalien); ordnungs- und sicherheitspolitische Schutzmaßnahmen (z. B. Baustopps, Badeverbote, Gewerbeuntersagungen); ausländerrechtliche Maßnahmen (z. B. Ausweisung, Abschiebung) oder eingreifende Jugendhilfemaßnahmen (z. B. Inobhutnahme, Heim- und KiTa-Aufsicht).

      Die Verwaltung hat aber nicht nur den Auftrag zur Durchsetzung von Regeln und Verboten, sondern sie erbringt auch verschiedenste Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger. Diesen Teilbereich behördlicher Aufgaben bezeichnet man als Leistungsverwaltung.

      Beispiele

      Beispiele für die Leistungsverwaltung sind die Wasser- und Elektrizitätsversorgung; Müllabfuhr; Krankenhausversorgung; Förderung kultureller und sportlicher Angebote; familienpolitische Leistungen; öffentlicher Personennahverkehr; Kindertagesbetreuung; Versorgung mit Schulen und Hochschulen; Wirtschaftsförderung; Arbeitsförderung; Grundsicherung; Sozialhilfe etc.

      Die Sozialverwaltung hat den Auftrag zur Umsetzung der sozialen Leistungsgesetze, d. h. der zwölf Bücher des SGB und der zugehörigen Gesetze nach § 68 SGB I. Sie ist damit „klassische“ Leistungsverwaltung, denn sie erbringt gemäß § 11 SGB I Sozialleistungen in der Form von Dienstleistungen (z. B. Arbeitsvermittlung, Erziehungsberatung), Sachleistungen (z. B. Hilfsmittel für kranke und behinderte Menschen) und Geldleistungen (z. B. Grundsicherung, Unterhaltsvorschuss, Elterngeld, BAföG oder Opferentschädigungsrenten).

      Das Verwaltungsrecht regelt die hoheitliche Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung gegenüber dem Bürger. Es ist deshalb – neben dem Staatsorganisations- und Verfassungsrecht sowie dem Strafrecht – Teil des öffentlichen Rechts. Hoheitliche Tätigkeit bedeutet dabei nicht zwingend, dass eine Behörde nur eingreifende Maßnahmen trifft: Auch die Entscheidung über Leistungen ist hoheitlich, denn auch die Leistungsverwaltung erfüllt staatliche Aufgaben in einem Über- / Unterordnungsverhältnis gegenüber dem Bürger (Kap. 3.1). Damit gehört auch die Leistungsverwaltung zum öffentlichen Recht.

      Innerhalb des weiten Feldes des Verwaltungsrechts unterscheidet man das allgemeine Verwaltungsrecht (Kap. 1.2.1) und das besondere Verwaltungsrecht (Kap. 1.2.2).

      Für die hoheitliche Tätigkeit der Verwaltung gelten bestimmte, letztlich auf das Rechtsstaatsprinzip zurückgehende Grundsätze, die von so grundlegender Bedeutung sind, dass sie für alle Verwaltungsbereiche in gleicher Weise gelten müssen. Diese Grundsätze sind Gegenstand des allgemeinen Verwaltungsrechts. Hierzu gehören etwa der Gleichbehandlungsgrundsatz und das Willkürverbot (Art. 3 GG), aber auch grundlegende Vorgaben für ein faires und rechtsstaatliches Verwaltungshandeln wie das Recht des Bürgers, vor negativen Verwaltungsentscheidungen angehört zu werden. Zudem sind zentrale Begriffe (z. B. die Definition des Verwaltungsakts und des öffentlich-rechtlichen Vertrags) sowie elementare Verfahrensfragen (etwa diejenige, ob auch Minderjährige oder juristische Personen Anträge stellen und an einem Verwaltungsverfahren beteiligt sein können) im allgemeinen Verwaltungsrecht geregelt.

      Die Verfahrensvorgaben des allgemeinen Verwaltungsrechts, die von den Bundesbehörden (z. B. dem Zoll oder der Bundespolizei) zu beachten sind, sind bundesrechtlich geregelt, nämlich im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), dem Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) und dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) des Bundes. Im Bereich der Landesbehörden und der Kommunen haben dagegen die Länder die Organisationshoheit (Art. 83 GG). Diese haben deshalb eigene Landesverwaltungsverfahrensgesetze (z. B. in Bayern das Bayerische Verwaltungsverfahrensgesetz, in Nordrhein-Westfalen das VwVfG NRW, in Thüringen das Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz) sowie landesrechtliche Regelungen zur Zustellung von Schriftstücken und der zwangsweisen Durchsetzung von Regelungen erlassen (z. B. das Bayerische oder das Thüringer Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz; in Nordrhein-Westfalen das dortige Landeszustellungsgesetz und das VwVG NRW). In diesen Landesgesetzen ist das allgemeine Verwaltungsrecht für die Behörden der Länder und der Kommunen geregelt.

      Für die Anwendung des Bundes- oder Landesverwaltungsverfahrensrechts kommt es also nicht darauf an, ob ein Bundes- oder ein Landesgesetz vollzogen wird; entscheidend ist ausschließlich, ob eine Bundes- oder eine Landesbehörde tätig wird!

      Beispiele

      Wird der Zoll tätig, dann ergeben sich die allgemeinen Bestimmungen zum Verfahren aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG), denn die Zollbehörden sind Bundesbehörden. Die Zustellung von Bescheiden hat gemäß dem Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) und die Vollstreckung, also die Durchsetzung von Regelungen der Zollbehörden, nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) des Bundes zu erfolgen. Handelt dagegen eine Landes- oder eine Kommunalbehörde (etwa die Ausländerbehörde, das Bauamt, die Polizei oder das Ordnungsamt), dann hat diese die allgemeinen Verwaltungsgesetze des Landes zu beachten, in Bayern also das Bayerische Verwaltungsverfahrensgesetz sowie das Bayerische Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz.

      Da die Verwaltung höchst unterschiedliche Tätigkeitsfelder abzudecken hat, benötigt sie bereichsspezifisch unterschiedlich ausgestaltete Verfahren, um jeweils auf sinnvollem Wege zu praktikablen Ergebnissen zu kommen. Naturgemäß werden für eine erfolgreiche polizeiliche Tätigkeit andere Verfahrensbestimmungen sinnvoll sein als für das Pflegekinderwesen, das Baurecht oder die Krankenhausplanung. Würden alle Verwaltungsbereiche nach denselben Kriterien arbeiten, wären häufig kaum passgerechte Verfahren zu erwarten. Daher gibt es eine Vielzahl von Gesetzen mit fachspezifischen Sondervorschriften und Spezialregelungen, die nur für bestimmte, abgegrenzte Verwaltungsbereiche gelten. Diese Sondervorschriften sind niedergelegt im besonderen Verwaltungsrecht.

      Beispiele

      Beispiele für Vorschriften des besonderen Verwaltungsrechts sind etwa die Bestimmungen im Zusammenhang mit der Erteilung einer Baugenehmigung in den Baugesetzen des Bundes und der Länder, die Voraussetzungen für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers nach dem AufenthG, die Regelungen über lebensmittelrechtliche Verbote oder die Zulassung von Arzneimitteln im Arzneimittelrecht.

      Gemäß dem juristischen Grundsatz „lex specialis vor lex generalis“ geht das besondere Verwaltungsrecht dem allgemeinen Verwaltungsrecht vor. Bei der Gesetzesanwendung ist daher zunächst immer zu überlegen, ob für einen konkreten Fall spezialgesetzliche Bestimmungen existieren. Ist dies der Fall, dann hat die Verwaltung diese zu berücksichtigen. Gibt es dagegen keine Sonderregelungen, dann (und nur dann!) darf die Verwaltung auf die Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsrechts zurückgreifen.

      Übersicht 1

      Allgemeines und besonderes Verwaltungsrecht

      Beispiel

      Das Gaststättengesetz ermöglicht, dass jederzeit Auflagen zum Schutz von Gästen, in der Gaststätte Beschäftigten oder Anwohnern getroffen werden können (§ 5 GastG). Diese Regelung ist vorrangig gegenüber der allgemeinen Möglichkeit im jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetz, Auflagen zu erlassen (z. B. Art. 36 BayVwVfG).

      Das Sozialrecht


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