Qualitative Medienforschung. Группа авторов

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      Ablauf einer Diskursanalyse

      Die diskursanalytische Vorgehensweise lässt je nach Untersuchungsfrage verschiedene Strategien zu. Mittlerweile liegen verschiedene Entwürfe für die Methodologie der Diskursanalyse vor, an denen sich Diskursforscher orientieren können. Die folgende konkretisierte Schrittfolge für Diskursanalysen berücksichtigt einige dieser Entwürfe, sie ist stark an den Arbeiten Foucaults orientiert und aus einer empirischen Diskursanalyse von kulturellen Wissensordnungen hervorgegangen. Sie ist aber auf unterschiedliche Diskursanalysen anwendbar. Als Unterstützung für die Handhabung größerer Korpora, für die Dokumentation der Schritte und die Organisation der prozessbegleitenden Reflexion hat sich der Einsatz einer qualitativen Datenanalysesoftware (QDAS) bewährt (vgl. dazu ausführlicher Diaz-Bone/Schneider 2010; → Kuckartz, S. 445 ff.)

      (1) Theorieformierung

      Wie bei jeder Sozialforschung steht am Anfang ein Untersuchungsinteresse. Für Diskursanalysen ist dabei kennzeichnend, dass zunächst nicht das Interesse an Diskursen per se im Zentrum steht. Ausgangspunkte sind sozialwissenschaftliche Fragestellungen, bei denen sich herausstellt, dass die Entstehung (Evolution) von Institutionen, Denkweisen, Handlungsformen, institutionellen Umgangsformen mit Menschen, Gesetzen, sozialen Bewegungen, Identitäten und Konflikten sowie anderen gut sichtbaren sozialen Phänomenen nur im Zusammenhang mit spezifischen diskursiven Praktiken zu verstehen ist. Diskursanalytische Fragestellungen versuchen zu rekonstruieren, wie der Ermöglichungszusammenhang von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken entstanden ist und oftmals auch warum er sich verändert. Oder: Diskursanalysen vergleichen verschiedene Wissensformationen und zeigen dann in synchroner Perspektive die Kontingenz der diskursiven Regelmäßigkeiten auf. Diese Kontingenz kann man dann zu erklären versuchen, indem man diese als systematische Variation von Diskursordnungen deuten kann. Ursachen für eine Variation können unterschiedliche Kontext-einbettungen (z. B. in Dispositive) sein.

      (2) Sondierungsphase

      In der Sondierungsphase wird die empirische Arbeit aufgenommen, wie das Untersuchungsfeld grob strukturiert ist, welche Institutionen, Akteure und Datenbestände vorliegen. Im Unterschied zur anschließenden Diskursanalyse dient die empirische Arbeit hier der Beschaffung von Informationen, die zur Feldsondierung dienen und von solchen Informationen, anhand derer die Korpuserstellung zunächst noch provisorisch begründet werden kann (Keller 2011; Diaz-Bone 2010).

      (3) Provisorische Korpuserstellung, Formulierung heuristischer Fragen

      Zusammenstellung von Materialien (Medientexte, Transkriptionen von Interviews, aber auch andere bedeutungstragende Materialien wie Plakate, Bilder usw.), von denen theoretisch gestützt behauptet werden kann, dass sich eine einheitliche Wissensordnung vorfinden lässt und sich deshalb ein kohärentes Regelsystem rekonstruieren lässt. Entwicklung eines Systems von heuristischen Fragestellungen, die auf die Elemente der diskursiven Formation hinführen und den »analytischen Blick« sensibilisieren helfen. Beispiele für solche heuristischen Fragestellungen finden sich in Jäger (2012), Kendall/Wickham (1999), Diaz-Bone (2010) oder Keller (2011).

      (4) Oberflächenanalyse

      Suche nach den im Sprachfluss auftretenden »Objekten«, »Begriffen« und thematischen Wahlen/Strategien. Welche wiederkehrenden Thematisierungen, Problematisierungen finden sich? Wie treten Sprecher auf, was sind die Modalitäten der Argumentation? Dabei geben die heuristischen Fragstellungen ein theoretisches Raster vor für das Auffinden relevanter Textstellen.2

      (5) Interpretative Analytik

      1. Schritt: Beginn der Rekonstruktion der diskursiven Beziehungen

      Ausarbeitung des Codesystems. Schluss auf erste Regeln der Aussagen. Was findet sich »regelmäßig« als Problematisierung als Kategorie, als Bewertung? Welche Verknüpfungen finden sich, welche Oppositionen werden ins Spiel gebracht? Identifizierung von Kohärenzen und Widersprüchlichkeiten. Rückbezug zu den Textstellen und Versuch einer rekursiven Prüfung an den codierten Aussagen mit evtl. anschließender Verfeinerung bzw. Korrektur. Klärung: Muss weiteres Material erhoben werden, um den Korpus zu vervollständigen? Dies wäre der Fall, wenn die gefundenen Elemente der diskursiven Formation nicht ausreichend belegt sind oder sich abzeichnet, dass der Korpus ein Regelsystem nicht vollständig abbildet.

      (6) Interpretative Analytik

      2. Schritt: Fertigstellung der Rekonstruktion Weitere Vernetzung der Diskurselemente. Schluss auf die unterliegende Organisation der Oppositionen und Schemata. Welche impliziten Klassifikationsprinzipien lassen sich erschließen? Lassen sich die gefundenen Oppositionen und Klassifikationen hierarchisch organisieren? Gibt es fundamentale Schemata? Anhand welcher fundamentalen Oppositionen sind die Elemente der diskursiven Formation angeordnet? Rekonstruktion der enthaltenen Tiefenstruktur (Episteme, System der Kollektivsymbole). Rücküberprüfung an den Ergebnissen der beiden vorherigen Schritte. Erneute Klärung: Ist die Regelhaftigkeit ausreichend hinsichtlich aller vier Bereiche rekonstruiert oder erscheint der Diskurs noch unvollständig abgebildet? Gegebenenfalls muss nun selektiv der Korpus noch erweitert werden. Verdichtung auf die zentralen Organisationsprinzipien der Diskursordnung.

      (7) Ergebnisaufbereitung und Rückbezug

      Darstellung der herausgearbeiteten Wissensordnung. Bei vergleichender Vorgehensweise können nun die verschiedenen Wissensordnungen gegenübergestellt werden. Interpretative Verknüpfung der gewonnenen Ergebnisse zur diskursiven Praxis mit nicht-diskursiven Praxisformen. Mit Bezug auf die Resultate der Theorieformierung und der Sondierungsphase kann nun der Rückbezug erfolgen. Was bedeuten die Befunde über die Diskursordnung und die Regeln der diskursiven Praxis für den Ermöglichungszusammenhang von diskursiven und nicht-diskursiven (institutionellen) Praktiken (= Dispositivanalyse)? Wie stehen verschiedene Diskurse in Beziehung zueinander und wie ist das Verhältnis von Spezialdiskursen und Interdiskursen zu denken (= Interdiskursanalyse)? Welche sozialen Kollektive, Identitäten und sozialen Konflikte sind durch Diskurse wie ermöglicht und artikuliert worden (= Lebensstil- und Sozialstrukturanalyse)? usw.

      Anwendungsbeispiel

      Theorieformierung: Pierre Bourdieu (1982) hat in seiner einflussreichen Untersuchung »Die feinen Unterschiede« aufgezeigt, dass die unterschiedlichen materiellen Lebensbedingungen in einer Gesellschaft sich in verschiedenen Lebensstilen niederschlagen. Anhand der symbolischen Distinktion, d. h. der Art und Weise, wie Lebensstilkollektive sich unbewusst in der Weise ihres Konsums von Kulturgütern und dem Ausüben kultureller Praktiken (inkl. Sportarten und Freizeittätigkeiten) symbolisch gegeneinander abgrenzen, zeigen sich die Trennlinien einer Gesellschaft. Die in einer Gesellschaft vorhandenen Kulturformen (Genres), also die kulturellen Praktiken und kulturellen Güter werden der Distinktionstheorie zufolge zum zentralen »Material« für die Artikulation von sozialen Unterschieden und damit Identitäten. Die Frage, die sich stellt, ist, wie die Zuordnung von Kultur zu den Lebensstilgruppen, wie also das identitätsstiftende Band zwischen den Dingen und Praktiken einerseits und den Menschen andererseits zustande kommt. Bourdieu hat hier wenig Hinweise gegeben (die dann letztlich materielle Erklärungen bleiben). Hinzu kommt, dass heutzutage die Exklusivität (also der Preis) bei nur wenigen Kulturformen ein Zuordnungskriterium ist. Die meisten Kulturformen sind massenmedial vermittelt, viele werden für Massenmärkte hergestellt, einige sind staatlich subventioniert, die Zugangsbarrieren sind daher zumeist gering. Und: Die heftigsten Distinktionen finden in den Milieus der Mitte statt, wo die Erklärung der Zuordnung durch die materiellen Eigenheiten der Kultur schwierig wird.

      Erweitert man die Distinktionstheorie um die Diskurstheorie wird folgende These denkbar: Die Konstruktion des Bandes zwischen Kultur und Lebensstilgruppen erfolgt diskursiv und das kulturelle Wissen ist Resultat einer diskursiven Praxis, sodass man eine »diskursive Kulturproduktion« in den Kulturwelten finden wird. Dort werden nicht nur die kulturellen »Objekte« diskursiv hervorgebracht, sondern auch kulturelle Wissenskonzepte (»Begriffe«) und Problematisierungen, die folgende ästhetische Aspekte diskursivieren: Wie die Kultur hergestellt werden soll, wie sie rezipiert werden soll und wie sie Sinn stiftender Teil der Lebensführung werden kann. Die Rekonstruktion der Tiefenstruktur des jeweiligen kulturellen Wissens verspricht deshalb, eine diskursiv verfasste Ästhetik zu Tage zu fördern, die als eine Erklärung für die


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