Handbuch Jüdische Studien. Группа авторов

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dass der Begriff Hellenismos zuerst existierte und Ioudaismos von diesem abgeleitet wurde. Der semantische Effekt ist aber ein anderer, als von Mason postuliert. Wenn nämlich davon ausgegangen wird, dass Judäer Hellenismos als Charakterisierung ihrer Landsleute in Analogie zur griechischen Verwendung von Medismos in Bezug auf andere Griechen nutzen, dann wird deutlich, dass es sich hier um den primären Ausdruck einer binären Gegenüberstellung handelt. Angeblich abtrünnigen Juden wurde Hellenismos vorgeworfen, genau wie abtrünnigen Griechen Medismos vorgehalten wurde. Hellenismos bedeutet also, sich wie ein Grieche zu verhalten und dem Griechentum gegenüber loyal zu sein. Ioudaimos wäre dann das davon abgeleitete Gegenteil, also sich loyal zur jüdischen Lebensweise und der jüdischen Gemeinschaft zu verhalten.23 Diese Verwendung schien nur den Judäern vorbehalten zu sein, doch es handelt sich um eine natürliche Entwicklung der besonderen Umstände der makkabäischen Konflikte. Statt also davon auszugehen, dass Hellenismos von den Juden als Gegenstück zu Ioudaismus geprägt wurde, behaupte ich, dass Ioudaismos als Gegenstück zur hellenisierenden Abtrünnigkeit die judaisierende Loyalität bezeichnete. Dies ist aber gewiss kein Beweis für ein angeblich neues Bewusstsein der Juden von dieser Institution des „Judentums“. Der Begriff passt gut in sämtliche (vorchristlichen) Kontexte und umgeht auch die Einschränkungen von Schwartz, der die Loyalität gegenüber dem Jüdischen (dem Judäischen) bzw. das Festhalten daran nicht auf die Religionsangehörigkeit reduziert, die wir heute Judentum nennen. Da sämtliche Vertreter des Paradigmas solcher Nomen, wie etwa der oben genannte Medismos – „das den Persern Zuneigende“ –, sowie der Attikismos – „das den Athenern Zuneigende“ – Gerundien und keine abstrakten Substantive sind, gibt es keinen Grund, Ioudaismos nicht auch als solches Gerundium aufzufassen. Im Griechischen sind zwar nur Ioudaismos und Hellenismos (im Sinne von „Schreiben wie ein Grieche“) positiv belegt, aber sie sollten dennoch als „Judaisieren“ verstanden und übersetzt werden.

      Der antike Ioudaismos muss also als Glied dieses semantischen und morphologischen Paradigmas verstanden werden. Die seltene Verwendung des Begriffs in den jüdischen Quellen hängt mit der Tatsache zusammen, dass es sich eben nicht um eine allgemeine Bezeichnung für etwas Zusammenfassendes wie das moderne Judentum handelt. Diese Interpretation stützt sich auf alle Erwähnungen in den Büchern der Makkabäer. Masons Ansatz, den Begriff „Judaismus“ bei keiner dieser Erwähnungen als Abstraktion, System oder Institution zu sehen, ist schlüssig, doch wird dabei aus Judaisieren eine „Rückführung jener, die fremde Wege gegangen sind“. Ein ‚Judaisieren‘ oder eine ‚Judaisierung‘, die der Autor des 2. Buches der Makkabäer programmatisch als ‚Iουδαϊσμός‘ bezeichnet.24 Allerdings ist das nicht die einzige Alternative zur Interpretation von ‚Iουδαϊσμός‘ als Bezeichnung für eine Religion. Vermutlich führte einfach das „Sich-dem-Hellenismos-Verweigern“ zur Ableitung Ioudaismos.

      Die letzte Verwendung des Wortes im 2. Buch der Makkabäer bestätigt diese Behauptung. Zum ersten Mal überhaupt taucht das Wort in Abschnitt 2:21 auf: „[…] die himmlischen Erscheinungen, die denen zuteil wurden, die für das Judentum [Ioudaismos] ruhmvoll und als Helden stritten.“25 Jenen, die miteinander um das Judentum [Ioudaismos] wetteiferten, sollen also himmlische Erscheinungen zuteil geworden sein. Ioudaismos meint demnach das Wetteifern um die Hingabe zur Lebensweise der Judäer und die Parteinahme für ihren Kampf gegen ihre Unterdrücker, die „Barbaren“.26 Nur ein vorgefasstes Konzept des Ioudaismos als Abstraktum oder die Bezeichnung einer Institution könnte hier dazu führen, sich ihn als „Judentum“ vorzustellen.

      Das „Judentum“ des Paulus

      Diese Interpretation erklärt auch die Verwendung von Ioudaismos in den Paulusbriefen. Wenn der Apostel behauptet, er sei früher sehr im Ioudaismos fortgeschritten gewesen, meint er sicher keine abstrakte Kategorie oder eine Institution, sondern die jüdische Treue zum traditionellen Brauchtum der Juden, das von seinem Zeitgenossen Josephus als „das Angestammte [die Traditionen] der Ioudaioi“ beschrieben wird (τὰ πάτρια τῶν Iουδαίων; [Ant 20.41 und passim]). Auch das könnte schlicht als jüdische Religion gedeutet werden, wäre da nicht die Tatsache, dass auch Thucydides diesen Begriff verwendet. Er schreibt, die medezierenden Platäer wurden beschuldigt, „ihre angestammten Traditionen aufzugeben“ (παραβαίνοντϵς τὰ πάτρια; [Thucydides 3.61.2]).27 Dass auch Paulus den Begriff in diesem Sinne verwendet, zeigt Masons Beobachtung, wonach „Paulus Petrus verurteilt, weil Petrus wie ein Fremder und nicht wie ein Judäer lebe (έθνικῶς καὶ οὐχὶ Iουδαϊκῶς), dadurch zwinge er die Fremden, sich zu judaisieren“ (τὰ ἔθνη ἀναγκάζϵις Iουδαΐζϵιν; [Gal 2,14]) – also einer Kulturbewegung anzugehören, die Paulus eng mit der Beschneidung und der Beachtung der judäischen Gesetze verbindet (2.12,21).28 Da Ethnisierung gewiss nicht mit der Ausübung einer Religion gleichzusetzen ist, kann das hier auch nicht für das Judaisieren gelten und somit auch nicht für das oft von diesem Verb abgeleitete Nomen Ioudaismos.

      Die vorliegenden Verwendungen von Ioudaismos scheinen die Interpretation von Ioudaismos als Verbalnomen, also als Praxis und nicht als Institution, ebenfalls zu bestätigen. Paradoxerweise wurde die Verwendung, die Paulus davon in den Galaterbriefen macht, in der Regel als Beweis für das genaue Gegenteil gewertet. Die zentrale Stelle ist der Brief an die Galater, Kap. 1,13–14, wo Folgendes steht [die Worte, die im Folgenden diskutiert werden, bleiben unübersetzt]:

      Ihr habt ja von meinem einstmaligen anastrophe im Ioudaismos gehört: dass ich nämlich die Gemeinde Gottes maßlos (= wütend) verfolgt habe und sie zu vernichten suchte und dass ich es an Leidenschaft für den Ioudaismos vielen meiner Altersgenossen in meinem Volk zuvorgetan habe, indem ich ein ganz besonderer Eiferer für die von meinen Vätern überkommenen Überlieferungen war.

      Das Wort anastrophe wird gewöhnlich mit „Leben“, hier mit „einstmaligem Leben“ übersetzt. Mason behauptet: „In Anbetracht dessen, dass das begleitende Nomen ἀναστροϕή stärker ist als ‚[mein einstmaliges] Leben‘, wie es oft übersetzt wird, sollte es eine gewisse Form von ‚Hang‘ oder ‚Hinwendung‘, eine ‚Rückbesinnung‘ auf etwas oder eine Beschäftigung mit etwas andeuten. Der in 1,14 erwähnte Eifer bestätigt diese Bedeutung.“29 „Einstmaliges Leben“ gibt in der Tat eine vorgefasste Meinung wieder und stimmt nicht mit den häufigsten Verwendungen dieses Wortes im Griechischen überein. Meines Erachtens eignet sich die Übersetzung „Benehmen“ besser, wie sie beispielsweise bei Tobias 4,14 zu finden ist: πρόσϵχϵ σϵαυτῷ, παιδίον, ῶν πᾶσι τοῖς ἔργοις σου καì imageσθι πϵπαιδϵυμένος ἐν πάση ὰναστροϕῇ σου, wobei der letzte Satz gut als „Benimm dich wohlerzogen in deinem ganzen Wandel“ übersetzt werden kann, was wiederum dem ersten Satz entspricht, dessen Übersetzung „Gib’ acht auf dich, […], in allem, was du tust“ lauten würde. Paulus meinte demnach sein früheres Solidarisieren mit den Judäern, namentlich die Verfolgung der Gemeinde Gottes. Die Verwendung von Ioudaismos im zweiten Vers hebt diesen Punkt noch stärker hervor. Man zeichnet sich nicht durch Leidenschaften aus in einer Institution, etwa religiöser Art (außer vielleicht, um darin aufzusteigen, was hier offensichtlich nicht passt), sondern durch die Praxis des Judaisierens, in der sich Paulus besonders hervortat, weil er größeren Eifer zeigte als andere. Schließlich muss die Verwendung, die Paulus vom Verbalnomen Ioudaismos macht, auch mit Blick auf seine Verwendung des Verbs interpretiert werden. Wie oben erwähnt, schimpft Paulus in den Galaterbriefen 2,14:

      Als ich jedoch sah, dass sie nicht den rechten Weg in Übereinstimmung mit der Wahrheit der Heilsbotschaft wandelten, sagte ich zu Kephas offen im Beisein aller: ‚Wenn du, der du doch ein Jude bist [Ioudaios], nach heidnischer [ethnikos] und nicht nach jüdischer Weise [Ioudaikos] lebst, wie kannst du da die Heiden zwingen wollen, die jüdischen Bräuche (= Lebensform) zu beobachten [zu judaisieren]’?

      Hier ist also klar gemeint: Es soll nach judäischen und nicht nach heidnischen Bräuchen gelebt werden. Ioudaismos, das von diesem Verb abgeleitete Nomen Judaisieren bedeutet dann entsprechend: nach judäischen/jüdischen Bräuchen zu leben


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