Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter. Christian Klicpera
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3 Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen
Obwohl das Auftreten einer Zwangsstörung bei Kindern bereits um die Jahrhundertwende (Janet, 1903) beschrieben wurde, haben diese Probleme erst in den letzten Jahren größere Aufmerksamkeit gefunden. Die erhöhte Beachtung dieser Störung ist einerseits dadurch bedingt, dass an erwachsenen PatientInnen gezeigt werden konnte, dass die Probleme meist schon im Kindes- bzw. Jugendalter begonnen hatten und dass auch Nachuntersuchungen von Kindern und Jugendlichen mit einer Zwangsstörung auf eine hohe Persistenz dieser Schwierigkeiten hinwiesen. Andererseits konnten einige sorgfältige Untersuchungen aufzeigen, dass die Zwangsstörung bei Kindern und Jugendlichen wesentlich häufiger vorkommt, als man früher vermutet hat.
3.1 Diagnostische Kriterien
Die Kriterien für die Diagnose einer Zwangsstörung unterscheiden sich bei Kindern und Jugendlichen kaum von jenen, die für die Diagnose dieser Störung bei Erwachsenen angewandt werden. Eine Zwangsstörung wird diagnostiziert, wenn es zum Auftreten von Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen kommt. Unter Zwangsgedanken wird das Erleben von Gedankeninhalten, Bildern oder Handlungsimpulsen verstanden, die als sinnlos, störend und unangemessen erfahren werden und von denen man sich nicht befreien kann, obwohl sie beängstigend und belastend sind. Zwangshandlungen sind repetitive Verrichtungen, die ausgeführt werden, um Angst oder Belastungen zu reduzieren. Die langjährige Beobachtung zeigt, dass 40 % der PatientInnen keine Zwangsgedanken haben, die unbedingt ausgeführt werden müssen. Vielmehr entsteht bei Unterlassung nur ein vages Unwohlsein (Rapoport & Swedo, 2002).
Ein wichtiger Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen betrifft die Einsicht in die Unsinnigkeit der Zwangsgedanken und -handlungen. Diese wird bei den meisten Erwachsenen mit einer Zwangsstörung als gegeben vorausgesetzt, während dies bei Kindern nicht der Fall sein muss. So haben nach Bloch und Storch (2015) ca. 30 bis 40 % der Kinder und Jugendlichen eine geringe oder fehlende Einsicht in die Übertriebenheit/Unsinnigkeit der Zwangsgedanken und -handlungen.
Im DSM-5 sind der Widerstand gegen die Zwangsgedanken und die Einsicht in die Unsinnigkeit der Zwangssymptome keine notwendigen Diagnosekriterien. Um den Grad der Einsicht zu definieren, wurde eine Zusatzkodierung eingeführt: gute, geringe oder fehlende Einsicht. Außerdem wird im DSM-5 auch bei Erwachsenen eine Untergruppe hervorgehoben, bei der nur eine geringe Einsicht in die Unsinnigkeit der Zwangsgedanken und -handlungen besteht (ca. 4 % der Betroffenen) (Falkai & Wittchen, 2015).
3.2 Symptomatik
Die Zwangsgedanken beziehen sich v. a. auf die Furcht vor Ansteckung und Verunreinigung, auf die Bedrohung durch Gewalt und aggressive Handlungen, auf potenzielle weitere Bedrohungen und die Furcht, gegen Gebote oder soziale Regeln zu verstoßen. Dies kann sich sowohl in bestimmten Gedankenfolgen als auch in Bildern äußern. Außerdem können bestimmte Worte, Zahlen oder Melodien in störender Weise immer wieder in den Sinn kommen.
Bei den Zwangshandlungen sind Wasch- und Reinigungszwänge bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten, recht verbreitet sind auch Wiederholungs- (z. B. wiederholtes Durchschreiten einer Tür) sowie Kontrollzwänge. Ordnungs-, Sammel- und Zählzwänge sind bereits deutlich seltener. Gelegentlich kommt auch eine zwanghafte Langsamkeit und Rigidität vor, mit der mehr oder weniger alle Alltagshandlungen ausgeführt werden müssen.
Insgesamt kann man die Zwangssymptome zwei großen Themenbereichen zuordnen:
– einerseits der Sorge um Sauberkeit bzw. der Vermeidung von Ansteckung und anderen Gefahren,
– andererseits einer starken Unsicherheit, alles richtig gemacht zu haben, das „not just-right phenomena“ (Sica et al., 2015).
Zwangshandlungen überwiegen bei Kindern und Jugendlichen deutlich gegenüber Zwangsgedanken. Letztere werden kaum als alleinige Symptome angetroffen (Vloet, Herpertz-Dahlmann, & Simons, 2017). Dies unterscheidet Kinder von Erwachsenen mit einer Zwangsstörung, bei denen Zwangsgedanken und -handlungen etwa gleich häufig vorkommen.
Kinder beziehen Eltern oft in ihre Zwänge ein, den BeobachterInnen fällt das feindselige, kontrollierende Element im Verhalten auf. Jugendliche sind zudem oft sozial ungeschickt und werden zunehmend isoliert, wobei dies zu einer weiteren Zunahme der Zwänge beitragen dürfte.
Verhältnis der Zwangssymptomatik zum normalen Hang zu ritualistischem Verhalten im Vorschulalter
Die Tendenz zur Ausbildung von Ritualen findet sich oft als Teil der normalen Entwicklung. Solche Rituale werden häufig beim Schlafengehen ausgebildet. Auch beim Anziehen (z. B. als starke Vorliebe für bestimmte Kleidungsstücke, die immer wieder getragen werden müssen, oder im Bestehen auf einer bestimmten Reihenfolge, in der die Kleidungsstücke angezogen werden sollen) und beim Essen (bestimmte Anordnung der Speisen auf dem Teller) werden von den Kindern v. a. zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr Rituale entwickelt. Diese Vorgänge sind bei scheuen, sensiblen Kindern häufiger.
Nach Judd (1965) unterscheidet sich diese normale Zwanghaftigkeit von pathologischer dadurch, dass sie nicht als fremd empfunden wird und kein Drang besteht, dem Impuls zu widerstehen. Die Rituale werden als angenehm erlebt und eifrig durchgeführt, der Impuls dauert nur kurz an, die Handlung muss nicht wiederholt werden und kann auf Druck aufgegeben werden, ohne dass Angst auftritt.
Umstritten ist allerdings das Verhältnis dieser normalen zur pathologischen Zwanghaftigkeit. Manche KlinikerInnen nehmen an, dass es hier einen Übergang gibt. So beschrieben Bender und Schilder (1940) „Impulsions“ bei Jungen, bestehend aus einer ungewöhnlichen Beschäftigung mit gewissen Interessen und Ideen sowie Aktivitäten, die länger andauern. Diesen Aktivitäten wird anfangs kein innerer Widerstand entgegengesetzt, ein Übergang in pathologischen Zwang ist jedoch möglich.
3.3 Epidemiologie