Wörterbuch der Soziologie. Группа авторов

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Überlegenheit der eigenen kulturellen Werte, Lebensweise, Weltanschauung, Religion, Rasse, Nation, Region und ethnischen Zugehörigkeit. Die Fremdenfeindlichkeit kann gesetzlich verankert und staatlich legitimiert werden, wie z. B. in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. In der Fachliteratur wird zwischen latenter (versteckter) und manifester (offener) Fremdenfeindlichkeit unterschieden.

      Entwicklung des Begriffs

      Die Fremdenfeindlichkeit ist ein altes Phänomen. Dieses beruht auf der Erfassung der Welt durch binäre Kategorien, z. B. »gut« und »böse«, »groß« und »klein«, »weiß« und »schwarz«, »unsere« und »fremde« etc. Ursprünglich bedeutete das Wort »Xenophobie« »Angst vor den Fremden«. In der Fachliteratur wird die Bedeutung auf das komplette Spektrum der negativen Einstellungen und Handlungen ausgeweitet. Die ursprüngliche Anwendung des Begriffs fokussierte auf Gruppen und Personen, die außerhalb eines Territorialstaates lebten – die »Ausländer«. Fremdenfeindlichkeit gehört, historisch gesehen, zu den wichtigsten Konflikt- und Kriegsursachen.

      Prozesse wie Globalisierung und Pluralisierung der Kulturen, sowie die zunehmenden Migrationsbewegungen stellen moderne Gesellschaften vor die Herausforderung, das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen im Alltag zu gestalten. Aus diesem Grund beziehen sich sowohl die analytische Kategorie als auch das Phänomen »Fremdenfeindlichkeit« immer mehr auf Personen und Gruppen, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen, aber innerhalb einer Gesellschaft oder eines Staates leben, z. B. Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund. Sie werden von einzelnen sozialen Gruppen oder von der ganzen Gesellschaft als »anders« oder als »fremd« gekennzeichnet und in ihrer »Fremdheit« benachteiligt. In den modernen kulturpluralistischen Gesellschaften gehört die Fremdenfeindlichkeit zu den wichtigsten Ursachen der Diskriminierung. Eine weitere Anwendung des Begriffs »Fremdenfeindlichkeit« geht über die ethnischen, nationalen und religiösen Dimensionen hinaus. Als »fremd« können Minderheiten, Subgruppen oder Randgruppen empfunden und stigmatisiert werden.

      Typologisierung der Fremdenfeindlichkeit

      Der Begriff der Fremdenfeindlichkeit ist definitorisch unscharf. Er umfasst die »Ausländerfeindlichkeit«, die als eine Unterart der Fremdenfeindlichkeit primär auf die nationalen Unterschiede fokussiert: Eine Person wird aufgrund einer realen oder vermuteten nationalen Zugehörigkeit ausgegrenzt und diskriminiert. Vor allem in Einwanderungsgesellschaften verliert das Kriterium Staatsangehörigkeit an Bedeutung. Die fremdenfeindlichen, im Unterschied zu den ausländerfeindlichen, Einstellungen beziehen sich auf Personen, die aufgrund ihres Äußeren, ihre Sprache oder ihre Kultur als »fremd« empfunden werden. In der Forschung gewinnt der Begriff »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« (engl. »group-focused enmity«) zunehmend an Bedeutung. Dieser Begriff ist umfangreicher und reduziert die feindlichen Einstellungen nicht auf die ethnischen und nationalen Aspekte der Problematik. Vielmehr fokussiert der Begriff »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« auf reale oder vorgestellte Gruppenzugehörigkeiten, die folgende Merkmale berücksichtigen: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie, Abwertung von Obdachlosen, Abwertung von Behinderten, Islamophobie, klassischer Sexismus, Etabliertenvorrechte, Abwertung von Langzeitarbeitslosen. Der Begriff wurde von W. Heitmeyer und dem Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld geprägt. Die Formen der Fremdenfeindlichkeit sind unterschiedlich: Sie reichen von verbaler Stigmatisierung (»hate speech«) bis hin zur Ausgrenzung, Vertreibung oder Vernichtung.

      Determinanten der Fremdenfeindlichkeit

      Das Phänomen der Fremdenfeindlichkeit wird von vielen Fachdisziplinen analysiert, unter anderem von der Anthropologie, (Sozial-)Psychologie, Pädagogik, Soziologie und Medienwissenschaften. Sie machen unterschiedliche Ursachen für die Entstehung der Fremdenfeindlichkeit aus. In der Forschung wird diskutiert, ob die Fremdenfeindlichkeit auf ein Abwehrmuster, das bei allen Kulturen und Individuen vorhanden und damit universal ist, zurückzuführen ist oder ob sie sozial hergestellt und erlernt wird und damit typisch für einige Gesellschaftsformen und individuelle Problemlagen ist.

      Die Anthropologie und die Soziobiologie versuchen, die Fremdenfeindlichkeit als eine »natürliche« [131]Reaktion und eine instinkthafte Abwehrhaltung des Individuums gegen Einwirkungen von außen darzustellen und den universalen Charakter der Fremdenfeindlichkeit zu beweisen. Die Sozialpsychologie hingegen betont die Bedeutung der sozialen Anbindung der Individuen für die Entstehung der Fremdenfeindlichkeit. Klassisch in dieser Hinsicht ist die Kontakthypothese von G. Allport. Nach dieser führt der Kontakt zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen zum Abbau der Vorurteile und der fremdenfeindlichen Einstellungen. Die Grundlage dieser Hypothese ist die Annahme, dass die fremdenfeindlichen Einstellungen aus Mangel an Information und Interaktion resultieren. Diese Hypothese wird oft diskutiert in den Sozialwissenschaften, denn nicht jeder Kontakt führt nachweislich zum Abbau von Vorurteilen und dadurch zur Reduzierung fremdenfeindlicher Einstellungen. Unter Umständen können Kontakte sogar die fremdenfeindlichen Einstellungen erhöhen. Die Qualität des Kontakts, der (gleiche) Status der Kontaktpartner und die (gemeinsamen) Ziele, die durch den Kontakt verfolgt werden, sind von Bedeutung.

      Die Psychologie akzentuiert die Bedeutung der »autoritären Persönlichkeit« für die Entstehung fremdenfeindlicher Einstellungen auf individueller Ebene. Die repressiven Einwirkungen der Eltern und der Gesellschaft können zu einer Schwäche der Persönlichkeit führen, die kompensatorisch hierarchische Strukturen sucht und Gewalt billigt. Auch die Pädagogik betont die Bedeutung der Sozialisation für die fremdenfeindlichen Einstellungen: Erlebte Gewalt in der Familie und in den sog. »Peer-Gruppen« wirken in diese Richtung ein. Präventiv können hingegen Bildung und Erziehung sein.

      Die soziologische Perspektive auf die Fremdenfeindlichkeit betont die Frage nach den sozial-strukturellen Ursachen. Die Zu- bzw. Abnahme der fremdenfeindlichen Einstellungen hängt u. a. auch von der wirtschaftlichen Entwicklung einer Gesellschaft ab. Gesellschaften, die wirtschaftlich stabil sind, sind in geringerem Maß fremdenfeindlich. Hingegen erhöhen sich in einer wirtschaftlichen Krise die fremdenfeindlichen Einstellungen. Diese These wird von der sog. »Konkurrenztheorie« unterstützt. Die reale oder empfundene Konkurrenz um knappe Ressourcen (z. B. Arbeitsplätze oder Wohnungen) erhöht die fremdenfeindlichen Einstellungen in einer Gesellschaft. Insgesamt wirkt sich die gesellschaftliche Desintegration, z. B. die Auflösung familiärer Strukturen, Verunsicherung, Perspektivlosigkeit, Verlust verbindlicher Normen auf die fremdenfeindlichen Einstellungen aus und kann als eine Ursache der Fremdenfeindlichkeit angesehen werden.

      In der soziologischen Forschung wird diskutiert, in wieweit Fremdenfeindlichkeit schicht-, milieu-, und genderspezifisch ist. Die These, dass fremdenfeindliche Einstellungen bei bestimmten sozialen Schichten häufiger vorkommen, ist nicht unumstritten. Auch bei sozial etablierten Schichten sind fremdenfeindliche Einstellungen festzustellen. Besonders im Kontext der sog. »Sarrazin-Debatte« ist die Rede von einem zunehmenden »Extremismus der Mitte«. Umstritten in den Sozialwissenschaften ist die These, dass die Fremdenfeindlichkeit von der Anzahl der Fremden in einer Gesellschaft, von der Dauer ihres Aufenthaltes und von ihrem Aufenthaltsstatus abhängig ist. Es ist lediglich nachgewiesen, dass die öffentliche Wahrnehmung der »Fremden« auf Problemgruppen, z. B. Asylbewerber und Flüchtlinge, fokussiert. Dieses Forschungsthema ist zentral für die Medienwissenschaften. Sie befassen sich mit der diskursiven Konstruktion und mit den Techniken der medialen Darstellung der »Fremdheit«.

      Ausblick

      In der öffentlichen Debatte über Fremdenfeindlichkeit wird die These vertreten, dass durch die Demokratisierung und durch die Erhöhung des Lebensstandards die Fremdenfeindlichkeit abnehmen würde. Allerdings zeigt sie sich resistent: Komparative europaweite Studien verdeutlichen, dass die Fremdenfeindlichkeit ein fester Bestandteil der europäischen Gesellschaften ist. Die Zunahme fremdenfeindlicher, insbesondere antisemitischer und homophober, Einstellungen und eine Verschlechterung der Lage der Roma in Osteuropa sind auch nach der EU-Osterweiterung festzustellen. In einer kulturpluralistischen Gesellschaft stellt sich die Frage nach der Begründung der Abgrenzung einer Gruppe als fremd und auch nach dem, aus welcher Perspektive definiert werden kann, was »fremd« ist. Zur gesellschaftlichen und politischen Diskussion steht die Frage, ob eine kulturpluralistische Gesellschaft verbindliche Werte und Normen


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