Die Melodie der Ruhe. Daniel Wilk

Die Melodie der Ruhe - Daniel Wilk


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nicht, dass sie etwas sind, auf das wir achten, das wir zu einer wichtigen Grundlage für unser Denken und Handeln machen sollten. Und doch bilden sie unser Sein in der Welt und unser Sein mit uns selbst vollständig ab, indem sich alle unsere Beziehungen auch im Kleinsten durch sie interpretiert finden. Wir fühlen uns – grob ausgedrückt – zumindest wohl oder unwohl in der Nähe von Menschen, Tieren, der Natur, Farben, Gegenständen – von allem, zu dem wir irgendwie in Beziehung treten. Die Herkunft dieses Gefühls (und aller anderen) ist vielfältig mit den Erlebnissen (und den daraus resultierenden Gefühlen) unserer Vergangenheit verbunden.

      Diese Verbindungen sind selten eindeutig nachvollziehbar. Zwar können einzelne Schwerpunkte erschlossen und ihre Beteiligung am späteren Fühlen und Erleben vermutet werden, aber letztlich ist die Bedeutung der Vergangenheit nicht mit Sicherheit anzunehmen. Ein Maß für die Direktheit und Intensität der Verbindung ist das »Wiederaufflammen« des alten Gefühls, wenn Ähnliches erlebt wird.

      Jedenfalls kann die Intensität der Gefühle reduziert werden, indem sie wahrgenommen und nicht bewertet werden. So kann es beispielsweise sein, dass beim Anblick eines Kindes, das ein bestimmtes Verhalten zeigt, Ärger empfunden wird, weil (möglicherweise) in der Vergangenheit ein Kind mit ähnlichem Verhalten das Spielzeug des eigenen Kindes beschädigt oder etwas gestohlen hat. Dann hilft es, den eigenen Ärger wahrzunehmen, ihn als »berechtigt« zu akzeptieren, das damit in Verbindung stehende Kind wahrzunehmen, sich aber gleichzeitig seine Unschuld an diesem Gefühl in sich selbst bewusst zu machen.

      Durch dieses Wahrnehmen und Akzeptieren entsteht Distanz. Man ist nicht mehr Spielball der Gefühle, sondern kann sie beobachten. Statt zu reagieren, agiert man. Die Gefühle und ihre Wirkungen entflechten sich.

      Indem wir also unsere Gefühle auf diese Weise behandeln, gewinnen wir Abstand zu den unbewussten Beziehungen, mit denen wir uns und der Welt begegnen. Dadurch nehmen wir uns zunehmend als getrennt von der Welt wahr, in dem Sinne, dass wir weniger fremdbestimmt sind und über unser Verhalten von Situation zu Situation selbst entscheiden können. Wir erhalten einen deutlich größeren Handlungsspielraum zu entscheiden, ob wir uns verknüpfen oder es sein lassen. Das führt zu einem Gefühl der inneren Zufriedenheit mit uns selbst und der Welt. Es entsteht eine sich allmählich vertiefende Ruhe aus uns selbst heraus. Sie schafft Heiterkeit und reduziert alle schädigenden Gefühle.

      So gesehen sind Gefühle nicht sinnvoll oder sinnlos und auch nicht gut oder schlecht, sie sind einfach und haben ihre Berechtigung durch ihre Existenz. Sie verändern sich in ihren Auswirkungen auf uns, indem sie wahrgenommen und akzeptiert werden.

      Man hört oft Aussprüche wie: »Wenn du das tust, muss ich mich ärgern.« Im eben beschriebenen Sinne verliert sich die angenommene Zwangsläufigkeit, sobald ich mir bewusst mache, dass mein Ärger nicht die einzige mögliche Reaktion ist. Er entsteht auf der Grundlage meiner bisherigen Erfahrungen. Ich sehe, dass sein Handeln von meinem Ärger getrennt existiert. Zwar kann ich mich ärgern – und das auch akzeptieren –, aber ich muss es nicht. Indem wir die Verbindung zwischen dem Ärger und dem vorausgegangenen Handeln erkennen und akzeptieren, verliert der Ärger seine Macht und seine schädigende Wirkung auf den Körper. Im idealen Fall entwickelt sich Verständnis sowohl für den Handelnden als auch für das eigene Re-Agieren. Beide werden nun frei, sich anders zu verhalten.

      Man wird das Ziel, alle Gefühle in dieser Weise stets akzeptierend wahrzunehmen, kaum je vollständig erreichen, aber alleine das Streben danach bringt mehr Freiheit, mehr Gesundheit, authentischere Beziehungen und mehr Weisheit.

      Die beschriebene wahrnehmende und akzeptierende Haltung gegenüber Gefühlen zu entwickeln wird in den Geschichten auf vielfältige Weise gefördert.

       Der Aufbau der Geschichten

      In den Geschichten realisiere ich Prinzipien aus der Hypnotherapie nach Milton H. Erickson, um durch Trancen konstruktive Veränderungen herbeizuführen. Die Begriffe »Entspannung« und »Trance« verwende ich oft synonym, weil durch die Texte ein entspannter Zustand hervorgerufen und eine Trance begünstigt wird. Trancen sind nicht immer von körperlicher Entspannung begleitet. Entspannungen müssen auch nicht immer in eine Trance münden. In meinen Texten verbinde ich jedoch beides.

      Trance in diesem Sinne ist ein wohlbekannter Zustand, der täglich vielfach unwillkürlich auftritt. Er bedeutet einen Bewusstseinszustand, der dem Schlaf ähneln kann. Die Aufmerksamkeit ist nicht fokussiert, das Bewusstsein wendet sich vom Alltagsgeschehen ab. Ein Gefühl des Schwebens zwischen Wachsein und Schlaf tritt ein, mal näher dem Wachsein, mal näher am Schlaf. Oft vergisst man, was man in diesem Zustand getan oder gehört hat.

      Man kennt Trance-Zustände von alltäglichen Verrichtungen, die sehr häufig durchgeführt werden, wie beispielsweise Zähneputzen, Rasieren, Autofahren, das Spielen eines Instruments oder auch berufliche Routinen. Der Klavierspieler bedient sich der sehr feinen Wahrnehmungen seines Unbewussten, das seine Fingermotorik mit seinem Gehör und seinem Gedächtnis sehr fein koordinieren kann, so dass wir schöne Melodien hören können. Sobald der Spieler dagegen dieses Zusammenspiel bewusst koordinieren möchte, werden seine Finger langsamer, das Spiel beginnt zu stocken. In diesem Sinne sind Trancen hilfreiche Zustände, um unbewusste Fähigkeiten nutzen zu können.

      Die Geschichten gliedern sich in:

      •Die Einleitung (Induktion), die meist mit der Wahrnehmung der momentanen Höreindrücke beginnt, dann auf den Körper überleitet, oft auf die Wahrnehmung seiner Schwere und seiner Wärme. Aus dem autogenen Training (Wilk 2004, 2007) ist bekannt, dass durch das Spüren der Schwere und Wärme des Körpers die Entspannung wesentlich gefördert und – nach mehrmaliger Anwendung – auch deutlich beschleunigt werden kann. Diese Wirkung begünstigt auch das Herbeiführen einer entspannten Trance.

      Das möglichst genaue Einstellen auf den Leser oder Hörer und die Rückmeldungen seiner Wahrnehmungen wird »Pacing« genannt. Durch die Einleitung löst sich das Denken leichter vom Alltag, von den eigenen beschränkenden Einstellungen und öffnet sich für Entspannung und die Beschäftigung mit anderen Inhalten. Dadurch wird der Boden für die Nutzung von eigenen Kräften (Lösungsmöglichkeiten, Heilkräften) bereitet, was im »normalen« Denken als nicht realistisch angesehen wird.

      •Leading mit Vertiefung: Dem Leser wird im nächsten Schritt angeboten, sich von den jeweiligen Inhalten des Textes leiten zu lassen und dabei unter anderem die Entspannung zu vertiefen. In der vertieften Trance ist der Leser seinem Unbewussten näher, in welchem die Fähigkeiten aufgerufen und koordiniert werden, die für die gewünschten Veränderungen genutzt werden sollen. Außerdem werden in jeder tiefen Entspannung ganz natürlich alle gesunden Vorgänge aus dem Menschen selbst heraus gefördert. Dazu gehört auch die konstruktive Integration traumatischer Erlebnisse.

      •Therapeutische Inhalte als Anregungen: Die therapeutischen Inhalte in meinen Texten fördern eine akzeptierende Öffnung der Wahrnehmung, eine konstruktive Veränderung der Perspektiven, mit denen das Leben gesehen werden kann und unterstützen eigene Ressourcen, insbesondere die Heilkräfte, die in jedem Menschen wirken. Sie werden oft indirekt angeboten, indem sie in Bilder oder Vergleiche »verpackt« sind, so dass sie die bewussten Einschränkungen leichter umgehen können.

      Das aufnehmende Unbewusste des Hörers interpretiert die Anregungen in seinem subjektiven Bezugsrahmen und entscheidet selbst über deren Verwendbarkeit. Um nicht zu manipulieren, sondern die Verwendung der Anregungen freizustellen, verwende ich Worte und Wendungen wie »vielleicht«, »kann«, »mag« und »wie es wohl wäre«.

      Bezüglich vergangener Traumatisierungen wird durch die Veränderungen der Perspektiven nahegelegt, sich zu dissoziieren, also innerlich Abstand von belastenden Ereignissen zu nehmen, indem die Ereignisse und ihre Wirkungen von anderen Standpunkten aus betrachtet werden, die weniger belastend wirken und neue Lösungswege eröffnen.

      •Die Rückführung ist sehr wichtig, weil wir in der Trance in tiefe unbewusste Bereiche »absinken« können. Das ist bekannt aus manchen, meist deutlich weniger tiefen


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