Fleisch-Codex. Ludwig Maurer
ruhig. Das getötete Tier sendet keine negativen Signale aus, und die Herde grast weiter, denn es fehlt das Abstraktionsvermögen, welches den Tod negativ besetzt. Wenn einmal ein ranghohes Tier (zum Beispiel ein Leitrind) geschossen wurde, kommt es vor, dass dieses beklagt wird und eine Neusortierung in der Herde stattfindet.
Nach der Schussabgabe und der Tötung durch Blutentzug kann das Rind in Ruhe für den Transport zum Schlachtbetrieb zur Weiterverarbeitung verladen werden; dem Landwirt bleibt die schlaflose Nacht und der Akt des Einfangens, Separierens und Verladens erspart. Auch muss der Schlachter kein lebendes Tier entladen und der Betäubung zuführen. Das Rind kann dort sterben, wo es gelebt hat: auf der Weide.
Wer sich fragt, warum nicht alle Landwirte so schlachten, sei auf die Rechtslage verwiesen und den bürokratischen Aufwand, der dahintersteht: Die Weidetötung ist nur zulässig für Rinder, die ganzjährig im Freien leben. Die Hoftötung kann seit 2021 für Rinder, die saisonal im Stall leben, aber auch für eine kleine Anzahl Pferde und Schweine pro Schlachtung angewendet werden. Beide Verfahren benötigen eine Genehmigung durch die zuständige Veterinärbehörde und die entsprechende Sachkunde zum Schießen, Betäuben und Töten von Tieren. Neben diesen Voraussetzungen ist der Mut zu Neuem, zum Umdenken und zu nachhaltigem, verantwortungsvollem Handeln ein wesentlicher Bestandteil bei der Hof- und Weidetötung.
DIE PROZESSQUALITÄT IM FOKUS
Nicht nur die Genetik und die Fütterung, sondern auch die Haltung, die Tötung und die Fleischreifung haben einen Einfluss auf die Schlachtkörperqualität und somit auf die Fleischqualität. Hierbei spricht man von prämortalen und postmortalen Einflussfaktoren.
Die Schlachtkörperqualität selbst beschreibt die Beschaffenheit und Ausformung des Schlachtkörpers in den Merkmalen Muskelanteil, Fettanteil, Gewebeanteil und chemische Zusammensetzung.
Die Fleischqualität umfasst die ernährungsphysiologischen (Nährwert), hygienisch-toxikologischen (Gesundheitswert), verarbeitungstechnologischen (Eignungswert) sowie die sensorischen (Genusswert) Merkmale. Diese werden nach definierten Parametern beurteilt. Der Genusswert setzt sich zusammen aus Fleischfarbe, Marmorierung, Safthaltevermögen, Geruch, Geschmack, Aroma und nicht zuletzt der Zartheit, die bis heute als ein wesentliches Beurteilungskriterium unter Fleischessern gilt. Werden alle Merkmale des gesamten Erzeugungsprozesses berücksichtigt, sprechen wir von Prozessqualität.
Die Prozessqualität beschreibt die Verfahrensweise innerhalb der Erzeugungskette. Dabei finden folgende Merkmale in ihren Ausprägungen auf die Schlachtkörper- wie Fleischqualität Berücksichtigung: Rasse, Alter, Geschlecht, außerdem Haltungssysteme (z. B. Stall, saisonale Weide, Ganzjahresweide), Schlachtverfahren (z. B. Schlachthof, kleine Metzgerei, Hofschlachtung, Weideschlachtung) und schließlich Reifeverfahren und Kriterien wie Hygiene, Temperatur, Zerlegung und Zuschnitte.
Mit dem Eintritt des Todes beginnt in der Muskulatur ein Ablauf chemischer, biochemischer, physikalischer und morphologischer Veränderungen. Das Glykogen wird zu Milchsäure abgebaut, und das Muskelgewebe verwandelt sich zu Fleisch.
Im Fall starker prämortaler Belastungen ist das Muskelglykogen bereits verbraucht und kann nicht zu Milchsäure abgebaut werden – damit bleibt die Säuerung des Fleisches aus, und der Reifeprozess ist in der optimalen Entwicklung gestört. Das kann bei Rindfleisch zu negativen Merkmalen führen wie fest, leimig und muffig, sogenanntes DFD-Fleisch.
Um also ein hervorragendes Stück Fleisch genießen zu können, bedarf es der Optimierung aller Prozesse der gesamten Erzeugungskette: Haltung, Schlachtung und Reifung. Wir nennen das dann Prozessqualität.
Lea Trampenau zu Besuch in unserem Stall.
Dipl.-Ing. Lea Trampenau
geboren 1974, absolvierte zunächst eine gärtnerische Ausbildung im Gemüsebau, bevor sie an der Uni Kassel/Witzenhausen ökologische Agrarwissenschaften studierte. In ihrer Diplomarbeit im Jahr 2007 setzte sie sich intensiv mit dem Thema Weidetötung auseinander. 2009 gründete sie die Firma ISS – Innovative Schlachtsysteme und etablierte 2013 in Lüneburg den Foodtruck Goldburger, spezialisiert auf den Verkauf von regionalem, hochwertigem Fleisch aus Weidetötung.
Lea Trampenau verfügt über den Sachkundenachweis (Distanzinjektion, Immobilisation und Töten von Gatterwild und Rindern) nach § 4 TierSchlV.
Zudem hält sie regelmäßig Vorträge und Fortbildungsveranstaltungen zur tierschutzgerechten Rinderschlachtung, ist beratend tätig und engagiert sich im Vertrieb von Schlachtanhängern (T-Trailer).
von Dr. Bruno Siegmund |
Geschlecht, Kastration, Auswirkungen auf die Fleischqualität
Eine friedvoll grasende Rinderherde – satte Almwiesen von üppigen Blumen und saftigen Kräutern durchsetzt – strahlend blauer Himmel – schneebedeckte Berggipfel im Hintergrund. Eine Sennerin kommt ins Bild, die sich auf der Terrasse einer urigen Almhütte um ihre Käselaibe und den luftgetrockneten Speck kümmert. Kuhglocken und ein plätschernder Gebirgsbach untermalen ihr fröhliches Schaffen.
Wünschen wir uns nicht alle insgeheim, solche Lebensmittel zu konsumieren? Würde eine ganze Werbeindustrie ein derart nostalgisches Szenario mit ihren Produkten assoziieren, wenn dabei nicht unsere verborgenen Sehnsüchte ausgesprochen würden? Wie aber schaut die Wirklichkeit – in unserem spezifischen Fall – bei der Fleischproduktion in Deutschland aus?
Welche Rolle spielt dabei die Kastration?
Um Sinn, Notwendigkeit und tierschutzgerechtes Prozedere der Kastration männlicher Rinder verstehen und diskutieren zu können, ist es nötig, einen kurzen Überblick über die Entwicklung und Struktur der heutigen Rinderhaltung zu gewinnen.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang „konventionelle“ oder „intensive“ Haltung von Rindern? Wie sieht demgegenüber eine „extensive“ Rinderhaltung aus?
KONVENTIONELLE HALTUNG
Deutschland ist in erster Linie ein Standort der Milchproduktion und damit führend in der EU. Erst mit der Geburt ihres ersten Kalbs, im zweiten bis dritten Lebensjahr, wird das weibliche Rind als Kuh bezeichnet und gibt auch jetzt erst Milch. Im besten Fall bringt sie nun jährlich bis an ihr Lebensende ein Kalb auf die Welt. Für dieses Kalb produziert sie Milch.
Kein Kalb … keine Milch – so viel Milch, dass es für den Landwirt und uns auch noch reicht.
Ein Kalb kommt nach einer Tragezeit von neun Monaten und zehn Tagen zur Welt. Weibliche Tiere dienen primär zur Ergänzung des Milchviehbetriebs; das männliche Kalb spielt außer in speziellen Ausnahmefällen als Deck- bzw. Zuchttier für die Milchproduktion keine Rolle. Es wird meist nach einigen Lebenswochen mit einem Gewicht von 80–100 kg auf spezialisierte Betriebe zur Mast- und Fleischgewinnung verkauft. Dort nehmen die Tiere bis zu 1,5 kg und mehr pro Tag an Körpermasse zu. Mit etwa 1,5–2 Jahren haben sie die Schlachtreife erreicht.
Diese zeitliche und fütterungsabhängige Intensivierung der Mast ist natürlich der Rentabilität der Rindfleischproduktion geschuldet, die sich auf dem globalen Markt mit einem immensen Konkurrenz- und Preisdruck konfrontiert sieht und sich dementsprechend behaupten muss.
Was einst in kleinbäuerlichen Strukturen die Ernährung der Bevölkerung gewährleistet hat, ist einem Prozess zunehmender Zentralisierung und