Clash. Belle Aurora

Clash - Belle Aurora


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einschätzen?“

      Oh, oh. Auf welcher Skala? Eins bis zehn? Ich brauchte zu lange. Wie sollte man so was aber auch einschätzen? Mir fiel nur eins ein: „Elefantös.“

      Micah verengte den Blick und sah mich absonderlich an. „Was soll das genau bedeuten?“

      Noah antwortete für mich. „Ein Elefant vergisst nie etwas.“

      Genau. Mein Mund öffnete sich leicht. Ich konnte es kaum glauben. Aber er verstand mich. Wie seltsam. Ich atmete aus. „Ganz genau.“

      Dieser Noah-Typ wurde mit jeder Minute weniger gruselig. Und irgendwie mochte ich ihn dafür, dass er so verständnisvoll war. Es war nicht immer leicht, mir gegenüber verständnisvoll zu sein. Ich war ein seltsamer Mensch und das wusste ich auch. Ich versuchte wirklich, nicht so zu sein, aber wie kann man aufhören man selbst zu sein?

      „Eine letzte Frage, okay?“

      Ich biss mir auf die Lippe und nickte leicht. Ich begann, ihn echt zu mögen.

      „Wie würdest du die Farbe Gelb einer blinden Person beschreiben?“

      „Hm“, murmelte ich und runzelte die Stirn. Eine gute Frage. Ich brauchte ein klein wenig länger, sie zu beantworten. „Gelb ist so warm wie das Licht, dass an einem kalten Tag ins Zimmer scheint.“ Meine Schreibkurse kamen mir in den Sinn und ich holte tief Luft. „Gelb ist weich und froh und aufregend, ohne neugierig oder unausstehlich zu sein.“ Ich lächelte in mich hinein und sah auf meinen Schoß hinab. „Spaß fühlt sich gelb an.“

      Als ich wieder hochsah, entglitt mir das Lächeln und mir blieb fast das Herz stehen. Beide sahen mich auf die gleiche Art an. Ich war nicht besonders gut darin, Körpersprache zu deuten, aber als sie sich ansahen, schrieb Noah etwas auf seinen Block und zeigte es Micah. Was immer Noah aufgeschrieben hatte, Micah schien damit einverstanden zu sein.

      „Wie alt sind Sie, Emily?“, fragte er.

      Verdammt. Er klang verwirrt. Warum klang er so verwirrt? Meine Antwort war vorsichtig und klang mehr wie eine Frage. „Im Juni werde ich vierundzwanzig …?“ Das Lächeln, das folgte, sah sicher schmerzhaft aus.

      Micah sah auf meine Bewerbungsunterlagen. „Sie sind sich darüber im Klaren, dass Sie in diesem Job nicht oft zu Hause bei Ihrer Familie sein werden?“ Er suchte meinen Blick. „Ich muss wissen, ob das für Sie ein Problem darstellen würde.“

      Das wusste ich nicht. Mein Magen zog sich zusammen. Ich musste die Ruhe bewahren, alles war gut, ich musste einfach nur weiteratmen. Also beinhaltete der Job viele Reisen. Hatte ich damit ein Problem? Ich meine, wirklich, was hielt mich hier noch? Ich beschloss, die Dinge anzunehmen, wie sie kamen. Ich würde das hinbekommen.

      „Ja, das ist mir klar. Ich glaube, dass man sich erst daran gewöhnen müsste, aber ich habe nur meine Großmutter. Sie ist alt und kommt sehr bald in ein Pflegeheim.“

      „Du wärst immer in unmittelbarer Nähe von vier erwachsenen Männern“, sagte Noah und wartete auf meine Reaktion.

      Mein Herz schrumpelte zusammen. Auch das wusste ich natürlich nicht. Meine Reaktion war schwach und unsicher. „Okay.“

      Er sprach weiter. „Sie sind laut und vulgär.“ Mein Magen machte Purzelbäume während er weitersprach. „Es wird Zeiten geben, da werden sie Frauen mitbringen. Privatsphäre gibt es so gut wie keine.“ Er sah mich genau an. „Es ist eine sehr stressige Arbeitsatmosphäre. Glaubst du, dass du das meistern kannst?“

      Ich meisterte schon mein ganzes Leben. Mittlerweile ging es schon gar nicht mehr nur ums Meistern. Es ging darum, dass ich etwas tun musste. Aus meiner Komfortzone ausbrechen, weil es das Richtige war.

      „Ganz ehrlich …“ Ich wusste nicht, warum ich das laut aussprach. „Etwas Gesellschaft zu haben wäre schön.“ Das Ganze rundete ich mit einem matten leisen Lachen ab. Ja. Ich war lächerlich. Noahs Gesichtsausdruck wurde weich. Oh nein, ich konnte Mitleid nicht ausstehen. Warum hatte ich das nur gesagt? Dumm, dumm, dumm.

      Gott sei Dank räusperte sich Noah und wechselte das Thema. „Welche Art von Musik hörst du gern?“

      Ich dachte an die Abende mit Nanna, ans Essen kochen, während der Schallplattenspieler lief. Einige meiner liebsten Erinnerungen beinhalteten den alten Plattenspieler und ich antwortete fröhlich: „Doris Day, Paul Anka, Nancy Sinatra.“ Ich gab einen zufriedenen Laut von mir. „ABBA.“ Micah sah mich an, als könnte das nicht mein Ernst sein. Ich wich seinem bohrenden Blick aus und schob mir die Brille hoch. Dann fing ich an zu erklären. „Wissen Sie, ich bin bei meiner Nanna aufgewachsen. Sie kommt aus einer anderen Generation und hat mich entsprechend erzogen.“

      Noah lächelte, zog aber die Augenbrauen zusammen. „Was weißt du über Rockmusik.“

      „Gar nichts“, gab ich offen zu und zuckte mit den Schultern. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von Rockmusik.

      Micah sah mich skeptisch an. „Wenn ich Ihnen also sagen würde, dass Sie die persönliche Assistentin von Left Turn …“

      Oh wie cool, eine Position als Assistentin. Das war gar nicht schlimm. Mein Magen entspannte sich bei dieser Information. Das konnte ich. Meiner Nanna zu helfen, hatte mich zu einer Expertin im Assistieren gemacht. Das war perfekt. Ich blinzelte erst Micah und dann Noah an. Sie schienen von mir eine Aussage zu erwarten. „Das ist schön.“ Mehr konnte ich gar nicht sagen. „Ist die Band … neu?“, erkundigte ich mich zaghaft.

      Mit dieser Frage erntete ich gleich zweimal einen ungläubigen Gesichtsausdruck.

      Noah erstickte fast an einem Lachen. „Äh, nicht wirklich. Sie sind …“ Er dachte einen Augenblick nach. „Etabliert.“

      „Cool“, war alles, was mir dazu einfiel. Ich nickte bestärkend.

      Der hübsche, tätowierte Noah sah aus, als wollte er schon wieder loslachen, als er sagte: „Ich habe noch ein paar Fragen, dann sind wir fertig.“ Er setzte sich aufrecht hin. „Deine letzte Anstellung ist schon ein paar Jahre her. Was hast du neben dem Studieren in der Zwischenzeit noch gemacht?“

      Die Frage traf einen Nerv, aber das war nicht seine Schuld. Ich brauchte einen Moment, bis ich antworten konnte. „Meine Nanna hat Demenz. Ich habe mich die ganze Zeit um sie gekümmert.“ Mehr konnte ich dazu nicht sagen.

      Noah schien zu verstehen, denn sein Gesichtsausdruck wurde sanft. „Du würdest also sagen, dass du eine verantwortungsvolle und fürsorgliche Person bist?“

      Ich neigte den Kopf etwas und verzog die Lippen, während ich darüber nachdachte. Das traf es perfekt. „Ja, das würde ich.“

      „Und wenn es mit dieser Bewerbung nicht klappt, hast du dann einen Plan B?“, bohrte Noah nach.

      Es fühlte sich an, als hätte ich einige Probleme in meinem Charakter. Ich war ein Routinemensch. Ich liebte nichts mehr, als ruhige Sonntagnachmittage, genau wie alle anderen introvertierten Menschen. Ich liebte es, zu lesen und zu schreiben. Gesellschaft zu haben war mir nicht besonders wichtig. Und letztlich war ich manchmal zu ehrlich. Genau wie jetzt gerade. „Ich habe keinen.“ Ich biss mir auf die Lippe, um nicht noch mehr von mir preiszugeben, was die Leute eindeutig nichts anging. Noah machte noch ein paar Notizen, während Micah mich neugierig betrachtete. Ich lächelte ihn an und er lächelte beinahe unsicher zurück. Dann blickte Noah kurz zu ihm.

      „Ich glaube, wir haben alles, Emily“, sagte er.

      Micah nickte. „Ja. Ich glaube auch, das ist alles, was wir wissen müssen.“

      Oh nein. Hatte ich es versaut? Ich seufzte innerlich. Na dann.

      „Vielen Dank noch mal“, sagte ich, warf mir den Rucksack über die Schulter und verließ den Raum. Im Warteraum sah ich mir die anderen Bewerber an und es versetzte mir einen Stich. Überall nur schöne Menschen. Nein. Ich würde diesen Job nicht kriegen. Und das war schon in Ordnung. Ich musste einfach versuchen, etwas anderes zu finden.

      Ich rührte gerade meine kochenden Nudeln um, als das Handy klingelte. Unbekannter Anrufer. Ich


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