Politisch motivierte Kriminalität und Radikalisierung. Stefan Goertz
– sowohl in der realen Welt als auch in der virtuellen Welt –, zielen politische Salafisten darauf ab, die Gesellschaft, in der sie leben – hier also Deutschland bzw. Europa – durch ein salafistisches Religionsverständnis grundlegend zu verändern.[3] Problematischerweise lehnen viele politische Salafisten Gewalt als Mittel zur Erreichung ihrer politischen Ziele nicht grundsätzlich ab, so dass ihr Verhältnis zum Jihadismus (bzw. islamistischen Terrorismus) als ambivalent bezeichnet werden muss. Diese Ambivalenz des politisch-salafistischen Spektrums und daraus abgeleitet eine Nähe zum Jihadismus stellen ein erhebliches Problem für westliche Demokratien wie Deutschland dar, da sich viele Tausend politische Salafisten scheinbar auf legalem, verfassungskonformem Terrain bewegen, allerdings ein erhebliches Rekrutierungspotenzial für den jihadistischen Salafismus aufweisen.[4] Zusammenfassend ist das Spektrum des politischen Salafismus eine strukturell amorphe, hybrid strukturierte, aggressiv missionierende, vordergründig Gewalt ablehnende Bewegung, deren Übergang zum jihadistischen Salafismus fließend ist.
Anmerkungen
Ebd, S. 20.
Ebd.
Vgl. dazu die Website von „LIES! Die wahre Religion (DWR)“, http://www.diewahrereligion.de, welche bis zu ihrem Verbot durch den Bundesminister des Innern am 15.11.2016 noch abrufbar war. Ausführlich dazu Goertz 2017h, S. 59-71.
Goertz 2017d, S. 20-21.
c) Jihadistischer Salafismus
Der Übergang vom politischen zum jihadistischen Salafismus ist fließend, weil bei diesen beiden unterschiedlichen salafistischen Strömungen kein Konsens herrscht, unter welchen Voraussetzungen die Anwendung von Gewalt als legitim erachtet wird. Nach Einschätzung deutscher Verfassungsschutzbehörden werden ca. 10% bis 20% aller Salafisten jihadistische Terroristen, 80% bis 90% bleiben puristische und politische Salafisten.[1] Aus dieser Einschätzung der deutschen Verfassungsschutzbehörden kann folgende Faustformel abgeleitet werden: Nicht jeder Salafist wird Jihadist, aber quasi alle Jihadisten waren bzw. sind Salafisten, da Salafismus den religiös-ideologischen Nährboden für den jihadistischen Terrorismus darstellt. Jihadistische Salafisten befürworten ganz offen eine unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung, sowohl gegen Regierungen in muslimisch geprägten Ländern, denen sie vorwerfen, vom „wahren Islam“ abgefallen zu sein, als auch gegen westliche Demokratien.[2] Ein besonders prägendes Merkmal der jihadistischen Salafisten in Europa allerdings ist ihre ideologische, organisatorische und strategisch-taktische Nähe zu internationalen jihadistischen Bewegungen wie dem „Islamischen Staat“ und der Al Qaida bzw. zu den mit ihr assoziierten Gruppen wie der Al Qaida im islamischen Maghreb, der Jabhat Al Nusra/Jabhat Fatah Al Sham, der Al-Shabab und anderen Regionalablegern der Al Qaida.
Anmerkungen
Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht aktuell offiziell von ca. 12.000 Salafisten allein in Deutschland und von ca. 1.060 deutschen Jihad-Reisenden aus. https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-islamismus-und-islamistischer-terrorismus/zahlen-und-fakten-islamismus/zuf-is-reisebewegungen-in-richtung-syrien-irak; 2.1.2021.
Al Suri 2005; Maliach 2010; Azzam 1989.
1.2.2 Definition und Kurzzusammenfassung
Salafismus
ist eine besonders fundamentalistische islamistische Ausprägung, die einen stilisierten und idealisierten Ur-Islam des siebten und achten Jahrhunderts als Vorbild für eine Umgestaltung von Staat und Gesellschaft auf der Grundlage salafistischer Interpretationen islamischer Werte und Normen anstrebt.[1]
Salafismus
• | ist eine besonders fundamentalistische Form des islamistischen Extremismus; |
• | ist ein besonders heterogener Phänomenbereich, der ineinander übergehende salafistische Strömungen beinhaltet; |
• | viele politische Salafisten lehnen Gewalt als Mittel zur Erreichung ihrer politischen Ziele nicht grundsätzlich ab; |
• | die salafistische Szene ist strukturell amorph, hybrid strukturiert; |
• | jihadistische Salafisten befürworten eine offene, unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung gegen jeden, der vom „wahren Islam“ abgefallen ist; |
• | besonders prägendes Merkmal der jihadistischen Salafisten in Europa ist ihre ideologische, organisatorische und strategisch-taktische Nähe zu internationalen jihadistischen Bewegungen wie dem Islamischen Staat und der Al Qaida; |
• | Salafismus als eine islamistische Islaminterpretation strebt die Reinigung und die Wiederherstellung des Islam in seiner als „ursprünglich“ deklarierten Form an; |
• | glorifiziert den Ur-Islam Mohammeds und seiner „Gefährten“ sowie inhaltlich den Koran und die Sunna als Vorbilder für das „richtige“ gesellschaftliche und politische Verhalten in der Gegenwart und Zukunft; |
• | die salafistischen Islaminterpretationen richten sich an der religiösen Praxis und Lebensführung des Propheten Mohammed und seiner Gefährten (den „rechtschaffenen Altvorderen“) aus; |
• | Salafisten wollen die Gesellschaft, in der sie leben, durch ein salafistisches Islamverständnis grundlegend verändern; |
• | Salafismus ist wie Islamismus als extremistische Ideologie zu beurteilen, die außerhalb der fdGO steht; |
• | die religiös-theologisch-ideologische Grundlage aller drei salafistischer Strömungen ist im Wesentlichen gleich, was höchst problematisch für die Sicherheitsbehörden ist; |
• | politische Salafisten legen ihren taktischen Schwerpunkt auf die Verbreitung ihrer islamistisch-salafistischen Ideologie durch Dawa, also Missionierung und Rekrutierung neuer Anhänger durch Propagandaaktivitäten; (spätestens) hier beginnt der strafrechtlich relevante Bereich; |
• | nach Einschätzung deutscher Verfassungsschutzbehörden sind ca. 10% bis 20% aller Salafisten jihadistische Terroristen, 80% bis 90% bleiben politische Salafisten, woraus sich die folgende Regel ergibt: „Nicht jeder Salafist wird Jihadist, aber quasi alle Jihadisten waren bzw. sind Salafisten“.[2] |
Anmerkungen
Goertz 2017d, S. 22.
Ebd.,