Schuldrecht Allgemeiner Teil II. Achim Bönninghaus
der Zurechnungsfähigkeit nach § 276 Abs. 1 S. 2 ist dann zu fragen, ob die Person – individuell – die Einsichtsfähigkeit hatte, die Sorgfaltsmaßstäbe zu erkennen.
Beispiel[24]
Der 9 Jahre alte A und der 12 Jahre alte B beteiligen sich mit Gleichaltrigen an einem „Ritterspiel“, bei der eine Gruppe eine Mauer („Burg“) erstürmen soll, die von der anderen Gruppe verteidigt wird. Die Kinder „bewaffnen“ sich mit Holzlatten und spitzen Stöcken. A schleudert seinen Stock in den Rücken des ihm abgewandten und weglaufenden B. Als der Stock bereits durch die Luft fliegt, dreht sich der B plötzlich um und wird vom Stock im Auge getroffen. Ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Rahmen einer Haftung des A aus § 823 Abs. 1 kommt nicht in Betracht, da Kinder im Alter des A nicht erkennen können, dass durch ein solches Spiel derartige Verletzungen hervorgerufen werden können. Gleiches gilt für das Werfen von Stöcken in den Rücken weglaufender Personen. Minderjährige in diesem Alter können üblicherweise nicht vorhersehen, dass durch plötzliches Umdrehen weglaufender Personen und dem damit verbundenen Überraschungseffekt die Gefahr besonders schwerer Schäden durch Wurfgeschosse besteht. Auf die individuelle Einsichtsfähigkeit des A nach § 828 Abs. 3 kommt es deshalb nicht mehr an. Zu denken ist aber an eine Haftung aus § 829.
2. Teil Vertretenmüssen › C. Vertretenmüssen wegen Verschuldens des Schuldners › III. Eigenes Verschulden bei „unnatürlichen“ Schuldnern
1. Verschulden eines Repräsentanten
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Menschen können selbst handeln und sich daher – unter den Voraussetzungen der §§ 276 Abs. 1 S. 2, 827, 828 – selbst schuldhaft verhalten. Juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften können als abstrakte Gebilde hingegen nicht als solche handeln. Ihre reale Handlungsfähigkeit in der Lebenswirklichkeit wird erst durch die sog. Organe hergestellt. Diese Rechtsträger handeln durch ihre Organe. Organhandeln ist Eigenhandeln des jeweiligen Rechtsträgers, dem das Organ angehört.
Beispiel für Organe
Vorstand eines Vereins (§§ 26 ff.), einer Aktiengesellschaft (§§ 76 ff. AktG) und einer Genossenschaft (§ 24 ff. GenG); der Geschäftsführer einer GmbH (§§ 35 ff. GmbHG); die Gesellschafter einer OHG (§§ 125 ff. HGB); die Komplementäre einer KG (nicht die Kommanditisten, vgl. §§ 125 ff., 161 Abs. 2, 170 HGB); die Partner einer Partnerschaftsgesellschaft (§ 7 Abs. 3 PartGG i.V.m. § 125 HGB).
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Deswegen ist beim Punkt „eigenes Verschulden“ auf das Verhalten der jeweiligen Organe, Organmitglieder bzw. sonstiger Repräsentanten abzustellen. Dies folgt für den Verein ausdrücklich aus § 31.
Hinweis
§ 31 ist keine Anspruchsgrundlage, sondern eine Hilfsnorm, mit der das Verhalten einer Person einem anderen Rechtsträger zugerechnet wird. Die Haftung selbst ergibt sich aus der jeweiligen Anspruchsgrundlage.
Die Regel des § 31 wird außerhalb des Vereinsrechts auf jedes Organhandeln angewendet.[25] Die Einbeziehung der „sonstigen Repräsentanten“ folgt daraus, dass § 31 nicht nur auf den (mehrköpfigen) Gesamtvorstand, sondern auch auf die einzelnen Vorstandsmitglieder und „andere verfassungsmäßig berufene Vertreter“ i.S.d. § 30 abstellt. Das sind solche Personen, denen kraft Satzung wichtige Aufgabenbereiche innerhalb einer rechtsfähigen Vereinigung zur eigenverantwortlichen Erledigung zugewiesen sind und die die Vereinigung insoweit repräsentieren. Dabei setzt man sich allgemein über den Wortlaut der §§ 30, 31 hinweg, indem man auch solche Personen als „Repräsentanten“ i.S.d. § 31 ansieht, die die eigenverantwortliche Repräsentation eines Unternehmens für einen bestimmten Bereich nicht kraft Satzung, sondern durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung übernommen haben.[26] Diese Ausweitung soll verhindern, dass die Vereinigung sonst durch entsprechende Satzungsgestaltung selbst entscheiden könnte, für welche Person sie über § 31 unmittelbar einstehen muss.[27]
Zu den unter § 31 fallenden Repräsentanten gehören neben den Organmitgliedern solche Personen, denen kraft Satzung oder durch interne Betriebsregelung wichtige Aufgabenbereiche innerhalb einer rechtsfähigen Vereinigung zur eigenverantwortlichen Erledigung zugewiesen sind und die die Vereinigung insoweit repräsentieren.
Beispiele
Filialleiter einer Bank, Chefarzt eines Krankenhauses, Ressortleiter einer Zeitungsredaktion, Leiter einer Rechtsabteilung, Sozius einer Anwaltssozietät ohne Geschäftsführungsbefugnis (sonst Organ der GbR).[28]
2. Bezug zur Stellung als Repräsentant
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Die Zurechnung nach § 31 (analog) setzt neben der Repräsentanteneigenschaft der betreffenden Person auch voraus, dass die Person „in Ausführung der ihr zustehenden Verrichtungen“ gehandelt hat. Damit soll einerseits klargestellt werden, dass privates Verhalten der Repräsentanten kein Eigenhandeln der Vereinigung darstellt. Andererseits stellt § 31 nicht darauf ab, ob der Repräsentant innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht gehandelt hat.
Zwischen dem Verhalten der Person und der Aufgabe innerhalb der Vereinigung muss daher ein mehr als zufälliger Zusammenhang in der Weise bestehen, dass sich die Handlung aus Sicht einen Außenstehenden noch im generellen Rahmen der der Person zugewiesenen Handlungsmöglichkeiten bewegt.[29]
Beispiel
A und B sind Partner einer Rechtsanwaltssozietät (GbR). Der bei der Sozietät angestellte Rechtsanwalt R zieht im Auftrag des von ihm alleine betreuten Mandanten M Forderungen ein, die zunächst auf ein Fremdgeldkonto der Sozietät eingezahlt werden. Sodann hebt der R eigenmächtig die Gelder ab und verwendet die Beträge für private Zwecke.
Die Sozietät haftet hier dem M wegen Pflichtverletzung im Rahmen des zwischen M und ihr geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 sowie aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 266 StGB, 826 BGB. Sie muss sich das vorsätzliche Verhalten des R analog § 31 zurechnen lassen. R ist als Angestellter zwar mangels Vertretungsmacht nach §§ 709, 714 kein Organmitglied der Sozietät. Für die Annahme eines „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ i.S.d. § 31 genügt es aber, dass dem in einer Sozietät tätigen Rechtsanwalt die selbstständige und eigenverantwortliche Bearbeitung von Mandaten überlassen worden ist. Die Bearbeitung von Mandaten ist als anwaltstypische Hauptaufgabe eine wichtige Angelegenheit der Sozietät. Der Rechtsanwalt vertritt hierbei nicht nur den Mandanten, sondern tritt bei der Wahrnehmung des Mandats auch als Repräsentant der Sozietät in Erscheinung.[30] Daraus ergibt sich sogleich, dass der Rechtsanwalt, der eine vorsätzliche unerlaubte Handlung bei der Bearbeitung eines Mandats begangen hat, „in Ausführung einer ihm zustehenden Verrichtung“ i.S.v. § 31 tätig geworden ist.
Hinweis
Aus § 31 folgt nicht, dass die Organe bzw. sonstigen Repräsentanten selbst keiner persönlichen Haftung unterworfen sind, wenn sie eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begehen. Die in § 31 angeordnete Haftung begründet vielmehr eine zusätzliche Haftung der Vereinigung, die sie repräsentieren!
Mit den „gesetzlichen Vertretern“ i.S.d. § 278 S. 1 Var. 1 sind nicht die Organe, sondern die gesetzlichen Vertreter der nicht voll geschäftsfähigen Menschen gemeint.[31]
Anmerkungen