BGB Allgemeiner Teil I. Achim Bönninghaus
(am Beispiel eines Kaufpreiszahlungsanspruches): Anspruch „aus Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 2“.[28]
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Es gibt nach der Formulierung des § 311 Abs. 1 aber auch Ansprüche aus anderen Rechtsgeschäften, die keine Verträge sind, sondern einseitige Rechtsgeschäfte.
Beispiele
Ansprüche aus Auslobung gem. § 657 oder Vermächtnis gem. §§ 1939, 2147, 2174.
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Ansprüche werden außerdem durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht begründet.
Beispiele
Gesetzliche Ansprüche aus §§ 122, 179, 280 ff., 546, 546a Abs. 1, 604, 681, 683, 684 S. 1, 812 ff., 823 ff., 861 f., 985 ff., 1004 Abs. 1, 2018 ff.; Unterlassungsansprüche nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses als gewohnheitsrechtliche Ausprägung von § 242.
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Jede dieser möglichen Anspruchsgrundlagen hat ihre eigenen Voraussetzungen, die Sie Schritt für Schritt durchgehen.
Bei der Prüfung der jeweils einschlägigen Anspruchsvoraussetzungen können Sie auf Tatbestandsmerkmale stoßen, die mittels sog. „Hilfsnormen“ ausgefüllt werden müssen.
Hilfsnormen sollen uns bei der Anwendung von Tatbeständen helfen, indem sie Tatbestandsmerkmale definieren oder beschreiben.[29]
Beispiel
Der Tatbestand des Anspruchs aus § 288 Abs. 1 S. 1 lautet: „Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen.“ Zum Tatbestand des gesetzlichen Zinsanspruchs aus § 288 Abs. 1 S. 1 gehört also auch das Merkmal des Verzugs. Wann Verzug eintritt, ergibt sich aus der Hilfsnorm des § 286.
Außerdem hat uns § 288 Abs. 1 S. 1 noch keine Auskunft darüber gegeben, wie hoch der Verzugszinssatz denn eigentlich ist. Hier hilft § 288 Abs. 1 S. 2: „Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.“ Es stellt sich eine weitere Frage: Was ist der „Basiszinssatz“? Hier hilft wiederum § 247.
c) Rechtshindernde Einwendungen
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Wenn Sie nun alle Prüfungspunkte abgearbeitet haben, liegen die Voraussetzungen der jeweiligen Anspruchsgrundlage im Ergebnis entweder vor oder nicht. Liegen die Voraussetzungen vor, ist der Anspruch möglicherweise dennoch nicht entstanden. Es gibt nämlich Tatbestände, die die Entstehung des Anspruchs ausnahmsweise verhindern können. Man nennt diese Tatbestände „rechtshindernde Einwendungen“ (des Schuldners/Beklagten).[30] Um sich diesen Begriff besser merken zu können, müssen Sie sich Folgendes vor Augen führen:
Der Zivilrichter ermittelt im Prozess die relevanten Tatsachen nicht von Amts wegen. Vielmehr müssen die Prozessparteien dem Richter den Sachverhalt „liefern“. Für bestimmte Tatsachen ist der Kläger verantwortlich, für andere der Beklagte. Man nennt dies die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast.
Im Grundsatz gilt: Jede Partei muss diejenigen Tatsachen darlegen und im Streitfalle beweisen, die ihr günstig sind. Gelingt einer Partei der Beweis nicht, wird die ihr günstige Tatsache bei der Bewertung nicht berücksichtigt.
Die Anspruchsvoraussetzungen muss folglich der Kläger darlegen und ggfs. beweisen. Bei den rechtshindernden Tatsachen handelt es sich dagegen um Ausnahmen von der regelmäßigen Entstehung des Anspruchs. Also muss diese im Prozess welche Partei darlegen und beweisen? Richtig, der Beklagte – denn ihm sind diese anspruchsverhindernden Tatsachen günstig. Er wendet die rechtshindernden Tatsachen im Prozess gegen den anspruchsbegründenden Klägervortrag ein, indem er sie seinerseits dem Richter vorträgt.
Beispiele
Einwand fehlender Vertretungsmacht eines Vertreters bei Vertragsschluss (§ 177 Abs. 1), Einwand der Formnichtigkeit (§ 125 S. 1), Einwand der Sittenwidrigkeit (§ 138), Einwand anfänglicher Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1), Einwand der Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund zur Leistung nach § 814, Einwand bestehender Besitzberechtigung nach § 986, Einwand bestehender Duldungspflicht nach § 1004 Abs. 2, Einwand einer vereinbarten Haftungsbeschränkung.
JURIQ-Klausurtipp
In der Klausur müssen Sie nicht zwingend erst alle Anspruchsvoraussetzungen prüfen, um überhaupt ein Wort zu rechtshindernden Einwendungen verlieren zu können. Sie können rechtshindernde Einwendungen auch vorziehen, um überflüssige Ausführungen zu vermeiden oder weil es aus Gründen der Verständlichkeit und der Systematik geboten ist.
Prüfen Sie beispielsweise einen Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung wegen Leistungsverzögerung im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, gehört die Frage nach der Form(nichtigkeit) des Kaufvertrages nach § 125 S. 1 i.V.m. § 311b Abs. 1 S. 1 bereits zum ersten Prüfungspunkt „Schuldverhältnis“. Der Abschluss des Kaufvertrages begründet grundsätzlich ein Schuldverhältnis als erste Voraussetzung des § 280 Abs. 1. Der begründete Einwand einer Formnichtigkeit macht den Kaufvertrag aber unwirksam und verhindert so die Entstehung des geprüften Schadensersatzanspruches. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen müssten dann nicht mehr geprüft werden.
2. Anspruch erloschen?
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Als Zwischenergebnis Ihrer bisherigen Prüfung ist der Anspruch nun entweder entstanden oder nicht. Wenn er entstanden ist, stellt sich die weitere Frage, ob der Anspruch jetzt noch besteht. Er könnte ja in der Zwischenzeit wieder erloschen sein. Schuld daran wären entweder Rechtsgeschäfte (z.B. Aufrechnung gem. § 389, Erlassvertrag gem. § 397) oder gesetzliche Einwendungstatbestände, die sinngemäß die Rechtsfolge anordnen: Dieser Anspruch besteht jetzt nicht mehr – drastisch gesprochen: Der Anspruch wird „vernichtet“.
Welche Partei muss im Prozess solche rechtsvernichtenden Tatsachen darlegen und beweisen? Natürlich der beklagte Schuldner, denn ihm sind diese Tatsachen günstig. Man nennt sie deshalb rechtsvernichtende Einwendungen (des Schuldners/Beklagten).[31]
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Solche rechtsvernichtenden Tatbestände erkennen Sie zum einen an folgenden Formulierungen:
„Das Schuldverhältnis erlischt, wenn …“, vgl. z.B. §§ 362 Abs. 1, 364 Abs. 1, 389, 397;
„… der Schuldner wird befreit …“, vgl. z.B. § 378.
Andere rechtsvernichtende Wirknormen sind nach ihrem Wortlaut nicht so eindeutig zu erkennen. Die rechtsvernichtende Wirkung bestimmter Umstände zeigt sich häufig erst indirekt. Wir werden in dieser Skriptenreihe im jeweiligen Sachzusammenhang darauf zurückkommen.
Beispiel
Ein wirksam ausgeübter Rücktritt vernichtet die bisherigen vertraglichen Primäransprüche. Wenn ein Verkäufer beispielsweise von einem Kaufvertrag zurücktritt, kann er den Kaufpreis nicht mehr gem. § 433 Abs. 2 verlangen. Diese Folge ergibt sich indirekt aus § 346 Abs. 1: Wenn der Kaufpreis bereits gezahlt worden wäre, müsste er wieder zurückerstattet werden (§ 346 Abs. 1). Daraus folgt für den Fall, dass der Preis noch nicht gezahlt wurde, erst recht: Der Verkäufer kann die Zahlung des Kaufpreises nach einem wirksamen Rücktritt nicht mehr verlangen. Der Gesetzgeber hielt dies für so selbstverständlich, dass er uns in der Begründung seiner Regelungen zur Schuldrechtsreform mitgeteilt hat, diese Wirkung müsse man nicht eigens in § 346 Abs. 1 aussprechen.[32]
3. Anspruch durchsetzbar?