BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil. Harm Peter Westermann
Die gesetzlichen Formvorschriften verfolgen verschiedene, oft jedoch auch zusammenhängende Zwecke, die je nach Regelungskontext und mit Blick auf die jeweilige Formart unterschiedliches Gewicht haben. Die jeweiligen Zwecke müssen durch Auslegung der jeweils in Rede stehenden Formvorschrift ermittelt werden. Oft sind Geschäfte betroffen, die für einen der Beteiligten typischer Weise mit besonders hohen Gefahren einhergehen – so etwa Bürgschaftsverträge oder Grundstückskaufverträge. Das zeigt sich etwa in § 311b Abs. 1 und Abs. 3, aber auch in § 766. Durch die Form des Rechtsgeschäfts werden die Betroffenen vor dem Abschluss besonders riskanter Geschäfte gewarnt (Warnfunktion) und vor übereilten Entscheidungen geschützt (Übereilungsfunktion). Daneben stellen Formvorschriften oft sicher, dass Einzelheiten eines Geschäfts angemessen dokumentiert werden und dienen so auch der Beweiserleichterung in denkbaren Streitsituationen (Informationsfunktion, Dokumentationsfunktion, Beweisfunktion).
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Auch im Allgemeinen Schuldrecht finden sich praktisch wichtige und prüfungsrelevante Formvorschriften, die typischer Weise bedeutsame und regelmäßig riskante Rechtsgeschäfte in den Blick nehmen. Nur diese Formvorschriften werden im Folgenden in ihren wesentlichen prüfungsrelevanten Inhalten dargestellt.
a) Praktische Bedeutung
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§ 311b Abs. 1 betrifft eine der wohl praktisch bedeutsamsten Formvorschriften überhaupt: Den Grundstücksvertrag. Täglich werden in Deutschland viele solcher Kaufverträge in den Amtsstuben (oder Besprechungszimmern) der Notare geschlossen. Dass sie nicht etwa schlicht am heimischen Küchentisch oder gar per Handschlag geschlossen werden, liegt an § 311b Abs. 1: Verträge, durch die sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, bedürfen gem. § 311b Abs. 1 S. 1 grundsätzlich der notariellen Beurkundung. Allerdings kann der Formmangel durch Auflassung und Eintragung in das Grundbuch geheilt werden (§ 311b Abs. 2).
b) Zwecke des § 311b Abs. 1
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§ 311b Abs. 1 berücksichtigt die meist hohe wirtschaftliche Bedeutung von Grundstücksgeschäften, die für beide Vertragspartner weitreichende Konsequenzen haben können. Die notarielle Beurkundung stellt zudem sicher, dass die Vertragspartner über die Folgen und die rechtlichen Hintergründe des Geschäfts aufgeklärt werden. Das ist gerade dann wichtig, wenn die Beteiligten solche Geschäfte nicht häufig abschließen. Die Abwicklung von Grundstückskaufverträgen geht oft mit Sicherungsgeschäften (Grundschulden oder Hypotheken) einher, die für Laien nur schwer verständlich sind. Warnfunktion, Übereilungsfunktion und Informationsfunktion sind für § 311b Abs. 1 bedeutsam. Aber natürlich werden viele Einzelheiten durch den notariell beurkundeten Vertrag auch sicher dokumentiert (Dokumentationsfunktion), so dass sie im Streitfall auch leichter beweisbar sind (Beweisfunktion).
In Fall 14 soll die notarielle Beurkundung beispielsweise A davor schützen, unüberlegt eine derart hohe Summe auszugeben, die möglicherweise langfristige Kredite o.ä. erfordert. Auf diesem Wege wird sie regelmäßig auch über bestehende Belastungen und deren Rechtsfolgen aufgeklärt, damit darüber im Nachgang kein Streit entsteht. Dass A und B angesichts der Höhe der entstehenden Kosten und eigener Gewinnvorstellungen die Entscheidung treffen, vor dem Notar einen falschen Kaufpreis anzugeben, ist vom Gesetz freilich nicht intendiert.
c) Voraussetzungen des § 311b Abs. 1
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§ 311b Abs. 1 greift bei allen schuldrechtlichen Verträgen ein, die für eine Partei eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung oder zum Erwerb eines Grundstücks begründen. Es geht also um Pflichten, die auf Veränderung der bestehenden Eigentumsverhältnisse an einem Grundstück gerichtet sind. Paradigma ist der Kaufvertrag über ein Grundstück. Aber auch Schenkungsverträge oder Tauschverträge kommen in Betracht.[48] Gleiches gilt für den Aufhebungsvertrag, wenn der ursprüngliche Vertrag bereits vollzogen war, also bereits die Auflassung und die Eintragung in das Grundbuch erfolgt sind. Denn dann verpflichtet der Aufhebungsvertrag zur Rückübertragung eines Grundstücks.[49] Anders liegt es, wenn der Kaufvertrag noch nicht vollzogen war: Dann kann der Aufhebungsvertrag formfrei geschlossen werden.[50] Die Rechtsprechung hält den Aufhebungsvertrag auch dann für formbedürftig, wenn zwar noch kein vollständiger Vollzug stattgefunden hat, der Erwerber aber bereits ein Anwartschaftsrecht innehält. Das ist dann der Fall, wenn die Auflassung erklärt und ein Antrag auf Eintragung gem. § 13 GBO gestellt wurde.[51] Auch der „Kauf eines Hauses“ ist ein Kaufvertrag über ein Grundstück: Denn Häuser sind mit dem Grundstück fest verbunden und daher wesentliche Bestandteile des Grundstücks iSd §§ 94 Abs. 1, 93. § 311b Abs. 1 betrifft aber nur das Verpflichtungsgeschäft, nicht etwa auch das Verfügungsgeschäft. Für letzteres gelten vielmehr die §§ 925, 873. Keine Verpflichtung zur Übertragung oder zum Erwerb eines Grundstücks liegt vor, wenn lediglich die Nutzung eines Grundstücks Vertragsgegenstand ist, also bei Miet- oder Pachtverträgen.
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Wenn eine Vollmacht zum Erwerb oder zur Veräußerung eines Grundstücks erteilt wird, greift § 311b Abs. 1 seinem Wortlaut nach nicht ein. Gem. § 167 Abs. 2 bedarf die Vollmacht selbst nicht der Form, die für das Rechtsgeschäft bestimmt ist, auf das sie sich bezieht. Nach dem Gesetzeswortlaut könnte eine Vollmacht zum Erwerb oder zur Veräußerung eines Grundstücks also immer formfrei erteilt werden. Das ist jedoch mit Blick auf die Warnfunktion des § 311b Abs. 1 problematisch, wenn die Vollmacht schon zu einer ähnlich weitgehenden Bindung des Vollmachtgebers führt wie der Abschluss des Kaufvertrags selbst. § 311b Abs. 1 gilt deshalb auch für die Vollmacht, wenn schon die Vollmachtserteilung den Vollmachtgeber rechtlich oder tatsächlich bindet, also vor allem bei der unwiderruflichen Vollmacht.[52] Die unwiderrufliche Vollmacht zur Vornahme eines Grundstücksgeschäfts nach § 311b Abs. 1 S. 1 muss deshalb notariell beurkundet werden.[53] Nach wohl hM kann dagegen der durch einen vollmachtlosen Vertreter abgeschlossene Grundstückskaufvertrag vom Vertretenen formlos genehmigt werden.[54] Dafür wird § 182 Abs. 2 ins Feld geführt, wonach die Zustimmung nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form bedarf. Das steht freilich in einem gewissen Widerspruch zur Anwendung des § 311b Abs. 1 auf unwiderrufliche Vollmachten zu Grundstücksgeschäften – trotz § 167 Abs. 2.
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Das Beurkundungserfordernis aus § 311b Abs. 1 S. 1 erstreckt sich auf den gesamten Vertrag einschließlich etwaiger Nebenabreden. Das ergibt sich vor allem aus der Beweissicherungsfunktion der Norm. Ein Verweis in dem beurkundeten Vertrag auf etwaige Vertragsanlagen genügt nicht.[55] Allerdings genügt es, dass der rechtsgeschäftliche Wille in der Urkunde zumindest angedeutet ist (Andeutungstheorie).[56] Wenn versehentlich ein anderes als das wirklich gewollte Grundstück als Vertragsgegenstand bezeichnet ist, liegt eine unschädliche Falschbezeichnung vor (falsa demonstratio non nocet).[57] Für die Wahrung der Beurkundungspflicht kommt es nämlich nicht auf den objektiven Wortlaut, sondern – wie auch in Fällen außerhalb des § 311b Abs. 1 – auf das von den Parteien tatsächlich Gewollte an. Darin liegt zwar eine Einschränkung