Ius Publicum Europaeum. Robert Thomas
wichtigste Regelung zum Status der Richter trifft die Verfassung: Nach Art. 97 Abs. 1 GG sind die Richter „unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen“. Ferner wird in Art. 97 Abs. 2 GG festgelegt, dass die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur auf gesetzlicher Grundlage vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden können. Art. 97 Abs. 2 GG sieht ferner vor, dass einfachgesetzlich Altersgrenzen festgesetzt werden können, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.
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Nach Art. 98 Abs. 1 GG ist die Rechtsstellung der Bundesrichter durch besonderes Bundesgesetz zu regeln. Art. 98 Abs. 2 GG legt fest, dass die Enthebung eines Bundesrichters von seinem Amt dem BVerfG obliegt, das mit Zweidrittelmehrheit auf Antrag des Bundestages entscheidet. Für die Länder bestehen ähnliche Regelungen (Art. 98 Abs. 5 GG).
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Die VwGO trifft in §§ 15 ff. weitere Festlegungen zur Stellung der Verwaltungsrichter. Danach werden diese auf Lebenszeit ernannt. Ein Mindestalter ist lediglich für Richter des BVerwG bestimmt, diese müssen mindestens 35 Jahre alt sein. Vor der Ernennung auf Lebenszeit steht eine bestimmte Zeit als Richter auf Probe, in aller Regel drei Jahre. Als Richter im Nebenamt können ordentliche Professoren des Rechts (Universitätsprofessoren) und Richter anderer Gerichte ernannt werden. Ehrenamtliche Richter sind bei VGs vorgesehen, bei OVGs sind sie zum Teil nach Landesrecht vorgesehen.[173] Sie wirken bei der mündlichen Verhandlung mit gleichen Rechten wie die Berufsrichter mit.
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Die Dienstaufsicht über die Richter obliegt den Präsidenten des jeweiligen Gerichts (§ 38 VwGO); übergeordnete Dienstaufsichtsbehörde für die VGs ist der Präsident des OVG. Die oberste Dienstaufsichtsbehörde über die Verwaltungsgerichte ist in den meisten Ländern der Justizminister, für das BVerwG der Bundesjustizminister. In Bayern ist demgegenüber oberste Dienstaufsichtsbehörde über die Verwaltungsgerichte der Innenminister, was sich als letztes schwaches Echo der unterschiedlichen Traditionslinien der Verwaltungskontrolle (Verwaltungsrechtspflege versus unabhängige Gerichtsbarkeit) darstellt.[174]
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Die Verortung der Aufsicht bei der Exekutive ist in Deutschland kein kontroverses Diskussionsthema. Der europäische Vergleich etwa mit der Schweiz[175] veranlasst zu der Frage, ob eine Verortung der Aufsicht beim Parlament oder unabhängigen Sondergremien nicht systemgerechter wäre.
aa) Zuständigkeiten
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Der allgemeine Verwaltungsrechtsweg ist in Deutschland dreizügig angelegt. Die erste Instanz ist daher grundsätzlich das VG, als zweite Instanz besteht das OVG bzw. der VGH. Dritte und letzte Instanz ist das BVerwG. Das BVerfG kann im Wege der Richtervorlage oder vermittels einer Urteilsverfassungsbeschwerde[176] mit einem Rechtsstreit befasst werden, es steht jedoch ebenso außerhalb des Instanzenzugs wie beispielsweise der EuGH oder der EGMR.
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Nach § 45 VwGO ist die Entscheidung durch das VG in erster Instanz der Regelfall. Es bestehen jedoch in §§ 47 und 48 VwGO Ausnahmen, die eine erstinstanzliche Zuständigkeit des OVG vorsehen. Dann bestehen nur zwei Instanzen. Neben der Normenkontrolle untergesetzlicher Normen nach § 47 VwGO sind dies beispielsweise bestimmte atomrechtliche Streitigkeiten. § 50 VwGO sieht sogar für einige seltene Konstellationen die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG vor, beispielsweise für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht-verfassungsrechtlicher Art zwischen den Ländern oder für dienstrechtliche Streitigkeiten im Bereich des deutschen Auslandsgeheimdienstes, des Bundesnachrichtendienstes.
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Die Ausnahmen illustrieren, dass die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG offenbar nicht so zu verstehen ist, dass es zwingend in jedem Verfahren mindestens zwei oder gar drei Instanzen geben muss. Gleichwohl bewährt sich in der Praxis der dreizügige Aufbau, weil damit in den allermeisten Fällen die Aufbereitung eines Rechtsstreits in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht so umfassend erfolgt, dass die letzte Instanz sich auf die zentralen ungeklärten Rechtsfragen konzentrieren kann.
bb) Rechtsmittel
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Das OVG entscheidet nach § 46 VwGO grundsätzlich über das Rechtsmittel der Berufung[177] gegen Urteile des VG sowie über das Rechtsmittel der Beschwerde[178], die gegen alle anderen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts eingelegt werden kann, soweit es sich nicht um unanfechtbare Beschlüsse[179] handelt. Die Berufung muss allerdings nach §§ 124, 124a VwGO zugelassen werden. Dies kann bereits mit dem Urteil des VG erfolgen. Falls nicht, entscheidet das OVG auf Antrag über die Zulassung der Berufung durch Beschluss (§ 124a Abs. 5 VwGO). Das OVG prüft im gleichen Umfang wie das VG rechtlich und tatsächlich, was in der Praxis zu hohen Zugangshürden führt.
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Gegen die Entscheidung des OVG ist die Revision[180] zum BVerwG möglich. Auch hier besteht wieder ein Zulassungsfilter (§ 132 VwGO). Die Revision ist möglich, wenn das OVG diese zulässt. Andernfalls kann das BVerwG auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung die Revision zulassen.
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In einigen wenigen Fällen ist auch eine Revision direkt vom VG zum BVerwG möglich (Sprungrevision, §§ 134 und 135 VwGO).
c) Besonderheiten der Organisationsstruktur im Bundesstaat
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Im Bundesstaat stellen sich mit Blick auf den Rechtsschutz gegen die Verwaltung zusätzliche Fragen zwischen nationaler Standardisierung und bunter föderalistischer Vielfalt. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit kann als primäre Aufgabe entweder den Gliedstaaten oder dem Bund anvertraut sein, denkbar sind parallele Instanzenzüge oder sich überlagernde Instanzenzüge.
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Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland ist unter den Bedingungen eines Bundesstaates zu organisieren. Es besteht ein Mischsystem, in dem die institutionelle Seite hybrid angelegt ist: Für die VGs und die OVGs sind die Länder zuständig, für das BVerwG der Bund.[181] Gleichwohl lautet die Urteilsformel bei allen Gerichten „Im Namen des Volkes“.[182]
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Das für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aller Ebenen maßgebliche Prozessrecht ist in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) niedergelegt. Dabei handelt es sich um ein Bundesgesetz. Dieses vereinheitlicht in weiten Teilen das Verwaltungsprozessrecht[183] und die Organisation der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Abweichungen und Variationen werden dem Landesrecht allerdings an einigen Stellen zugestanden. So entscheiden beispielsweise nach § 9 Abs. 2 VwGO die Senate des OVG in der Besetzung von drei Richtern. Zugleich wird aber festgelegt, dass die Landesgesetzgebung vorsehen kann, dass die Senate in der Besetzung von fünf Richtern entscheiden, von denen zwei auch ehrenamtliche Richter sein können.
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Auf der Ebene des Landesrechts finden sich die länderspezifischen Regelungen in den jeweiligen Ausführungsgesetzen zur VwGO (AGVwGO) bzw. Justizgesetzen.[184]
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